seiner Anheiterung hatte er, gereizt von Seppis Widerstand, prüfen wollen, ob er ihn nicht doch herumbringe. Ja, wenn die Sache zwischen ihm und Seppi geblieben wäre, dann hätte er schon rückwärts krebsen können, aber der Bäliälpler wußte davon, Bälzi – und der Garde. Ohne den offenen oder heimlichen Spott dieser herauszufordern, ging's nicht ab. Nun – und ob! Wieder griff er nach dem Papier.
Da klopfte es. Der krummmäulige, bogennasige Bäliälpler, der vorher ein rechter Mann gewesen war, aber seit dem Tod seiner zwei schönen Kinder den Halt verloren hatte, trat ein. Er zog den Hut: »Presi, mich drückt's – in die Geschichte will ich nicht gesponnen sein. Ich habe nichts gesehen und nichts gehört. Ich habe einen Rausch gehabt.«
»Das war doch nur ein zu weit getriebener Scherz!« erwiderte der Presi heiter; »natürlich kann Seppi nicht behaftet werden, wir müssen halt losen!«
Er hatte sich im Augenblick entschieden, der Bäliälpler schien ihm wie ein Helfer der Vernunft und er begleitete ihn wie aus Dankbarkeit zur Thüre. Da hörte er Binias glockenhelle Stimme:
»Nein, nein, alte Susi, zu Fränzi lasse ich mich nicht schicken, Seppi Blatter ist ein wüster Mann, der hat mir »Schlechthundekind« zugerufen und mich fortgejagt.«
Der Presi traute seinen Sinnen nicht – horchte – schnob: »Binia, daher!« und zog das Kind, das, nichts Gutes ahnend, flüchten wollte, in sein Zimmer.
»Wie hat dich Seppi Blatter genannt?« – Die Kleine schwieg. Da rüttelte er sie zornrot und wiederholte keuchend die Frage.
»Schlechthundekind,« weinte die Kleine leis.
»Schlechthundekind! Schlechthundekind! Schlechthundekind! Seppi, du mußt ans Brett!«
Wie ein wildes Tier lief der Presi hin und her, er stampfte, daß man es in der Stube unten hörte. Binia erspähte die Gelegenheit, um aus dem Zimmer zu wischen, wagte sich aber nicht an dem tobenden Manne vorbei, kletterte die kleine Ofentreppe empor, und als der Falldeckel, der auf den Estrich führte, wohl weil er durch Gerümpel verstellt war, dem Druck ihrer kleinen Hände nicht nachgab, verkroch sie sich in ihrer Angst auf den Specksteinofen.
Da pochte es.
»Herein! – Ihr, Fränzi Blatter? Was wollt Ihr?«
Der milde Mann meisterte seinen Zorn – er schob ihr einen Stuhl hin.
Fränzi war eine arme Wildheuerin, aber die Bauern, die ihresgleichen nicht aus dem Wege gingen, wurden kleinmütig vor ihr. Schon ihre Erzählkunst, die sie an langen Winterabenden im Kreise der Dörfer übte, gaben ihr etwas Geheimnisvolles, man betrachtete sie wie eine, die mehr erlebt hat, mehr weiß, mehr denkt, mehr fühlt als die andern. Ob sie gleich die Spuren schwerer Arbeit, an sich trug, so war sie doch ein Weib, dem der Wiederschein dessen, was sie reich in der Seele lebte, in Augen und Angesicht lag und einen eigenartigen Reiz verlieh. Und vor allem war sie eine rechtschaffene Frau.
Der Presi und sie maßen sich einen Augenblick, sie den Gegner in Bescheidenheit und tiefer Trauer.
»Gebt mir das gemeine Papier zurück, Presi!« sagte sie, indem sie ihn mit ihren großen blauen Augen ruhig, fast freundlich anblickte.
»Geschrieben ist geschrieben, Fränzi!« In barschem und bedauerndem Ton sprach es der Presi.
»Ihr besteht auf einer erschlichenen Unterschrift – – du bestehst darauf, Peter!«
Der Presi zuckte zusammen und krümmte sich, als sie ihn duzte, sein Gesicht wurde fahl. Eine Welt voll schöner und peinigender Erinnerungen stand in ihm auf.
»Peter! Es sind sechzehn Jahr', da hast du in der Nacht an mein Fensterchen gepocht. Du hast in meinem Kämmerchen geweint und auf den Knieen gefleht: »Fränzi, erhöre mich, ich bin verloren, wenn du mich nicht rettest, ich bin im Streit vom Vater gegangen, ich habe keinen guten Menschen als dich!' Wir verlobten uns heimlich und sechs Wochen warst du mir gut. Dann söhntest du dich mit dem Vater aus und nahmst auf sein Drängen Beth. Du warst treulos gegen mich, treuloser gegen sie, denn du hast sie nicht geliebt.«
»Wozu das, Fränzi?« sagte der Presi dumpf und hilflos vor der Würde des Weibes, das vor ihm saß.
»Weil ich meinte, ich habe mit dem unendlichen Leid, das du mir damals zufügtest, das Recht erworben. daß du meinen Mann und mein Haus in Ehren haltest und ihnen unnötig nichts Leides anthuest.«
Der Presi schluckte: »Ihr Frauen versteht nichts von dem – und Fränzi – ich muß mein Geld und die Gemeinde einen Mann haben. Keiner ist wie Seppi für das Werk geeignet. Es geschieht ihm auch nichts dabei!«
»Ich will dir sagen, warum Seppi gehen muß. Du hast es ihm nie verziehen, daß er mein Mann geworden ist. Du wolltest mich, das arme Mädchen, nicht mehr für dich, aber du gönntest mich auch keinem anderen. Wie David den Urias in den Krieg geschickt hat, schickst du Seppi an die Weißen Bretter – nicht daß du mich, das schon fast alte Weib, mehr möchtest, aber du hassest ihn!«
So sprach Fränzi mit ihrer tiefen und schönen Stimme.
Der Presi zitterte und mußte sich halten. Zog ihm Fränzi Schleier von den Augen? – Ja! Vorgestern, wie er als Frischverlobter von Hospel gegangen war, da war auf dem langen Weg die alte Zeit an ihm vorübergezogen. Beth hatte er nicht geliebt, in Frau Cresenz war er auch nicht recht verliebt, er nahm sie, weil sie eine tüchtige Wirtin war, die sechs heimlichen Wochen mit Fränzi waren sein einziges sonniges, großes Liebesglück gewesen. Er, Tölpel, hatte das jahrzehntelange Glück, das vor ihm lag, verscherzt. Und dann hatte der Wildheuersepp, was er selbst verloren, gefunden. Aus diesem Gefühl war er Seppi aufsässig gewesen. – Seit Fränzi gesprochen, wußte er es.
»Gieb mir den Vertrag, Peter!« sagte Fränzi gütig.
Er reckte sich, zauderte, dann donnerte er: »Ich lasse mein Kind von euch nicht Schlechthundekind nennen!« Fränzi fuhr zusammen: »Peter, vergieb Seppi, er hat in seiner Qual nicht gewußt, was er sagte!«
Sie war aufgestanden, sie hatte seine Hände ergriffen, sie sank vor ihm in die Kniee, umklammerte seine Fäuste: »Peter, Peter, sei barmherzig!«
Seltsam! – In ihrer wilden Erschütterung gefiel ihm Fränzi wieder – er mißtraute aber der Empfindung – er fürchtete eine Uebereilung – darum war er hart gegen sie. Er schleuderte sie röchelnd von sich: »Das Greinen und Betteln kann ich schon gar nicht leiden. – – Und das .Schlechthundekind' muß gestraft sein!«
Als er sie von sich stieß, löste sich Fränzis prächtiges dunkles Haar, mit fliegender Brust stand sie einige Schritte entfernt vor ihm; die Leidenschaft hatte sie um zehn Jahre verjüngt, aber ihre Stimme zitterte.
»Wenn nicht um meinet- und meiner Kinder willen, so sei's um deinet- und Binias willen – sei barmherzig gegen dich selbst – und gegen dein Kind!«
Der Presi blickte das leidenschaftliche Weib begehrerisch an, wüste Züge entstellten sein Gesicht und gaben ihm einen tierischen Ausdruck; die Augen traten hervor und funkelten. Mit erstickter Stimme sagte er: »Fränzi – ich will alles wieder gut machen, Fränzi – – – –aber gieb mir einen Kuß – wie einst!«
Sie starrte ihn verständnislos an; dann fragte sie allen Ernstes: »Bist du wahnsinnig geworden, Peter,– ich habe ja einen Mann und Kinder!«
»Dann geh'!« knirschte er.
»Ich gehe, aber noch einmal: mache das Böse gut – sonst – Peter – bei der seligen Beth – die vom Himmel auf dich sieht – bei den armen Seelen, die im Eise stehen – es kommt ein Schaden über dein Kind – und Beth – das weißt du – hat auf dem Todbett gesagt, ich möchte dich mahnen, wenn Unglück für Binia im Verzuge sei. Peter, Peter, richte dich nicht selbst!«
»Seit wann bist du unter die Bußpfaffen gegangen, Fränzi?« Und mit steigender, kreischender Stimme schrie er: »Jetzt mache, daß du fortkommst, sonst –«
Er hob den Stuhl zum Schlage gegen Fränzi.
Da wich sie der Gewalt des Wütenden.
In der Aufregung