Jovana Reisinger

Spitzenreiterinnen


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lang sollen wir fort sein?«

      »Eine Stunde. Am besten du gehst, kurz bevor sie kommen. Sonst wissen sie nichts mit dir anzufangen, und das sorgt nur für Verwirrung.«

      »Ist gut.«

      »Weißt du was, geh sofort! Dann kann ich mich in Ruhe vorbereiten.«

      »Ist gut, Maxi.«

      Petra hat eine These in Bezug auf Hunde und Kinder: Wenn den Leuten nichts anderes mehr einfällt, kommt eins von beiden. Für den Sinn im Leben. Weil um den geht’s, den zu finden gilt’s. Sinnlos scheint ein Leben ohne Aufgabe. Eine Möglichkeit ist dabei, sich etwas Sinnstiftendes anzuschaffen. Etwas, worum sich gekümmert werden kann, nur dies sind gute Eigenschaften: Selbstaufopferung, Opferbereitschaft und hingebungsvolle Fürsorge. Mütterliche Eigenschaften. Fraueneigenschaften. Pflegende Eigenschaften. Die Eigenschaften, die die Welt beieinander halten. Fürchterlich findet das Petra.

      Petra möchte keine Kinder. Wenn sie das sagt, sagt ihre Mutter, dass sie ihren Muttertrieb schon noch entdecken werde, und ihre Freundinnen, dass das mitnichten eine natürliche Entscheidung sei. Petra hat gute Gründe, keine Kinder zu wollen, aber wird nicht danach gefragt. Nicht einmal ihr Coming-Out scheint noch eine besondere Hürde darzustellen.

      »Die biologische Uhr tickt, Petra, du wirst sie schon noch spüren und dich dann befruchten lassen«, säuselte die Tante Bella und griff weise in sich hineingrinsend nach ihrem Aperol Spritz. Befruchten lassen, als würde ihr ein netter, harmloser Herr eine Obstplatte reichen. Oder sie mit einem Smoothie einseifen. Prost!

      Petra und Grazia spazieren los. Schön vorbei an den alten Prachtbauten, vorbei an den Wohnhäusern und endlich hinein in die belebteren Straßen. Da sitzen die Leute draußen vor den Cafés, gierig nach Sonne, in ihren Daunenmänteln und ihren Winterstiefeln und ihren Wollhauben, die angesichts der Wetterlage bereits überflüssig sind. Den Leuten hier geht es gut, die Leute hier sehen gesund aus. Froh und munter. Vergnügt und nett. Rote Bäckchen, weiße Zähne, pralle Portemonnaies. Status, Status, Status. Petra wird richtig warm ums Herz, auch dank der gnadenlosen Sonne.

      Die Galerie befindet sich in einem beliebten Viertel unter Gutsituierten, ist jedoch ausgerechnet in der Nebenstraße einer Nebenstraße gelandet. Sie wird nicht allzu häufig zufällig gefunden. Ein echter Geheimtipp. Nur für Kenner. Nur für wirklich Interessierte. Nur für die, die Bescheid wissen. Es sind naturgemäß eher ruhige Arbeitstage.

      »Was für ein Luxus!«, sagt dazu die Tante. »Dass es solche Jobs überhaupt noch gibt. Bemerkenswert!« Solche Jobs, meint sie, seien völlig überflüssig, weil sie nur von wenigen Menschen in Anspruch genommen werden. Was zählt, sind die Jobs, die viele Menschen glücklich machen, nicht einige wenige. Ihrer zum Beispiel. Zugegeben, hin und wieder weint eine Frau, wenn sie nach einer faltenreduzierenden Spritze entgegen ihrer Warnung zu lange in der Sonne war und nun anstelle der Falten eine Narbe trägt. »Aber die fangen sich dann schon«, sagt die Tante. »Was bringt die Galeristin einer Gesellschaft?«, fragt die Tante und zieht dabei die Augenbraue hoch. »Und was bringt deren Assistentin der Gesellschaft?«, schiebt sie hinterher. »Eben«, schließt die Tante, »niemand weiß, dass es dich gibt. Meine Schusterin ist relevanter als du.«

      Autsch. Das saß. Der Petra wird ganz schwindelig bei so einem Gespräch. Nicht weil Petra glaubt, sie sei etwas Besseres als eine Fachkraft für Sohlen und Schuhwerk, nein, weil Petra sich selbst so sieht. Petra, die viel Zeit und Geld in ihre Ausbildung gesteckt hat, fühlt sich wie eine Bilderbuch-Versagerin, denn, so viel ist sicher, mit dreißig fängt die große Karriere nicht mehr an. Das Sorgenkind der Familie. Erst Langzeitstudentin, dann ohne Geld und ohne Einbauküche, mit einem Beruf, den niemand versteht, und obendrauf noch lesbisch. Oh weh! Ihre Mutter und ihre Tante lachen darüber. Bella und Elle sind immer fleißig am Sorgen-weglachen. Was einen nicht angreift, tut einem nicht weh. Was einem nicht weh tut, kann schnell vergessen werden. Immer schön weich bleiben. Harte Frauen wirken doch eher abschreckend, und verhärmte Frauen sind am allerabschreckendsten. Sanft soll sie sein, die Frau, sanft und lieb und nett. Ein gepflegtes Äußeres und ein außerordentlich liebreizendes Inneres. So ist’s recht.

      Petra lässt den Hund von der Leine. Grazia weiß zunächst nicht recht, wie ihr geschieht und rührt sich nicht vom Fleck. Sie betrachtet ihr Teilzeit-Frauchen und wartet auf deren Aktion. Aktion, Reaktion. Affirmation ist die bessere Strategie im Job. Freundlich nicken, freundlich lächeln, zustimmen. Ja und ja und ja! Petra ist darin geschult. Sie schaut den Hund an, geht in die Hocke und strahlt aufmunternd. Der Hund weiß immer noch nicht so recht. Da wirft sie ein Stöckchen tiefer in den Park. Und Grazia tut, was von ihr verlangt wird, und läuft dem Stöckchen hinterher. Petra kommt mit, und so gehen sie weiter in die Natur hinein. Die Vöglein zwitschern und das Bächlein sprudelt, und die Autos werden leiser, und die anderen Menschen sind auch ganz stumm. Endlich Ruhe. Die Enten schnattern, weil der Hund dahergerannt kommt und wenn Grazia endlich kackt, zögert Petra keine Sekunde, um die Plastiktüte aus der Jackentasche zu ziehen, die Scheiße aufzuklauben und geschickt das Tütchen zu verknoten. Petra ist geduldig.

      »Denn Geduld ist etwas, das wir Frauen brauchen«, gab ihr die Mutter mit auf den Weg, »Geduld und die Fähigkeit, nachsichtig zu sein.« Dabei zwinkerte sie und deutete auf ihren Mann, der lässig auf dem Sofa fernsah und dessen Hand im Hosenbund steckte. Typische Fernsehpose. Geduldig trägt sie die rote Tüte minutenlang durch den Park, bis endlich der nächste Mülleimer auftaucht.

      Als die Ehe für alle entschieden wurde, rief Petras Mutter ihre Tochter erleichtert an, denn auf die Hochzeit ihrer eigenen und einzigen Tochter wollte sie nun wirklich nicht verzichten müssen. Lesbisch oder nicht. Petra entfuhr nur ein schrilles Lachen. Schwamm drüber!

      Der Hund hat keine Lust mehr und rennt keinem Stöckchen hinterher. Zeit für eine Pause. Petra setzt sich, nimmt Grazia neben sich auf die Bank, sie warten. Auf bessere Zeiten. Auf noch besseres Wetter. Auf bessere Gründe, wieder zurückzugehen. Schwierig wird’s, wenn alles egal ist. Petra lässt Grazia auf ihren Schoß. Beide machen erschöpft die Äuglein zu.

      BARBARA

      Barbara sitzt auf einer nigelnagelneuen, dunkelgrünen Liege mit cremefarbenen Polstern, auf deren Waschzettel das Wort »Luxus« steht, und schaut starr geradeaus, über ihren Körper und den Pool hinweg, hinein ins Gebüsch, als wäre da was, doch da ist nichts. Sie zieht zur Beruhigung an ihrer dünnen, pastelllilafarbenen Zigarette der Marke Vogue, woraufhin ihr ein tiefer, aufgebender Seufzer entkommt, als wüsste sie, dass sie gleich erledigt ist und zwar so richtig.

      Die unbegründete Ahnung einer nahenden Katastrophe hat von ihr Besitz ergriffen, und Barbara ist darüber erleichtert, weil sich überhaupt was regt. Barbara lässt die Angst nicht mehr los, besser als sich an gar nichts mehr klammern zu können. Wenigstens eine Konstante im Leben. Und weil es mit der Angst als Begleiterin nie langweilig wird, steigert sie sich in besonders faden Momenten in sie hinein bis ins Unermessliche. Hinter jedem Schatten vermutet sie einen Mörder, von jedem Baum könnte sie in der nächsten Sekunde erschlagen werden, und in ihrem eigenen Pool sieht sie eine Todesfalle.

      Die Zigarette geht aus, sie steckt sich eine neue an. Jetzt ist es auch schon egal, ob der Krebs noch kommt. Vielleicht wär’s sogar besser. Die Vorsorgeuntersuchung hat sie abgesagt. Jetzt will sie auch nicht mehr gerettet werden. Wenigstens ist es angenehm mild. Klimawandel sei Dank sitzt sie heuer schon im Februar draußen.

      Im Gebüsch raschelt’s. Barbara ist bereit und wackelt nervös mit dem rechten Bein, das sie über das linke geschlagen hat. Sie schaut so angestrengt, dass sich ihr Oberkörper langsam nach vorne bewegt und sich ihre Augen dabei verengen.

      »Barbara! Jetzt sei nicht peinlich!«, schallt es da, »Es kommt kein böser Geist, um dich zu holen, der Postbote kommt gleich, das ist alles, und da vorn sitzt wahrscheinlich eine Amsel drin und du scheißt dich gleich an. Was soll denn das! Du bist doch eine erwachsene Frau!« Endlich, denkt sich Barbara, die zutiefst erschrak und eine erholsame Gänsehaut am ganzen Körper spürt, da ist sie wieder, die scheltende Stimme vom D. – sie wusste doch, dass gleich was kommt. Sie hat es immer schon gewusst. Dass der sich nicht abschütteln lässt, denkt Barbara und zieht an der Vogue. Im Gebüsch raschelt’s