Jakob Wassermann

Ulrike Woytich


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Geständnis beim Kaffee. Doch wollte Ulrike zur Feier des Tages selbst den Kaffee kochen, mit doppelter Bohnenration. Sie wagte sogar den Vorschlag, dass man das schöne Altnymphenburger Porzellan benutzen solle, Schaugepränge des Salons, und lachte ausgelassen über das dadurch hervorgerufene Entsetzen. Unter ihren ergötzlichen Sticheleien und paradoxen Argumenten fiel der Widerstand gegen das verbrecherische Beginnen, und die still verwunderte Josephe wurde beauftragt, das Porzellan herbeizutragen und den Tisch zu decken, indes die andern, auch Lothar, in die Küche stoben, um unter Plaudern und Scherzen den Kaffee zu bereiten. Selbst die mürrische Therese taute auf und steuerte, nicht immer freiwillig, zur Erlustigung bei. Lothar versicherte, dass er sich keines so herrlichen Tages entsinnen könne, es sei ihm so wohl wie noch nie.

      „Aber bedenkt, dass wir reif für den Kerker sind,“ sagte Ulrike, von Dampf umwallt, die Pelzkappe, die sie im Übermut aufgestülpt, schief auf dem Kopf; „wenn ein Judas unter uns ist, sind wir verloren. Verdientermassen; wir prassen und schwelgen und missachten das Gebot des Herrn. Feuer im Ofen, wirklicher Kaffee im Topf, echtes Geschirr auf der Tafel: es schreit zum Himmel, der Jüngste Tag ist nah.“

      Es schlug eben fünf Uhr, und mit dem letzten Schlag, wie wenn die gottlos-vermessene Rede sogleich bestraft werden solle, drehte sich in der Flurtür der Schlüssel im Schloss. Bleiche Angst: der Vater. Lothar spähte hinaus; sein stummes Zurückhuschen gab die Bestätigung. Therese bekreuzigte sich, Esther und Aimée versteckten sich hinterm Schrank. Lothar suchte einen Fluchtweg. Christine erschien mit verstörtem Gesicht.

      Seine Heimkunft zu dieser Stunde war durchaus ungewöhnlich. Sein Wandel, sein Kommen, sein Gehen war von uhrenhafter Regelmässigkeit. Wie sich später erwies, hatte er in einem Vorort geschäftlich zu tun gehabt; da er aus Sparsamkeit auch weite Entfernungen zu Fuss zurückzulegen pflegte, war er müde geworden; der Rückweg führte ihn am Haus vorbei und er wollte eine halbe Stunde ausruhen.

      Schon hörte man ihn dumpf grollen. Er hatte das Porzellan und den festlich gedeckten Tisch entdeckt. Josephe war es, die ihm Rede stehen musste. Auf einmal begann er mit ihr zu schreien; die Stimme überschlug sich; der Zorn machte sie schrill wie die eines Papageis. Josephe kam heraus und bewegte die Hände bittend gegen die Mutter.

      Aller Augen hingen an Ulrike: jetzt, Anstifterin, steh uns bei. Und mit Erstaunen sahen sie Ulrike völlig gelassen. „Setzt euch um mich herum,“ sprach sie; „erst wollen wir uns einmal einschenken, umsonst wollen wir nicht gekocht haben. Nehmt nur die Tassen vom Anricht dort, wir brauchen sein feines Geschirr nicht, der Kaffee wird uns auch so schmecken, denn ich kann euch sagen, er ist ausgezeichnet. Setzt euch nur; jeder hat Platz, auch Sie, Frau Christine; setzen Sie sich zum Herd, da ists am wärmsten. Ich will euch nämlich was erzählen. Ich will euch die Anfänge von Ulrike Woytichs irdischer Laufbahn erzählen. Herr Mylius mag einstweilen drinnen wüten, das geniert uns nicht weiter, und wenn er uns sucht und zu uns kommt, mag er sich zu uns setzen; stören lassen wir uns nicht.“

      Die Worte hatten eine solche Sicherheit, dass auf einmal niemand mehr Angst verspürte und sie nur in erregter Spannung warteten, was nun geschehen würde. Christine begab sich gehorsam auf die Bank beim Herd. Josephe liess sich an ihrer Seite nieder. Esther und Aimée setzten sich auf die zwei Stühle und lehnten die Köpfe aneinander. Lothar hüpfte auf die Kohlenkiste und baumelte befriedigt mit den Beinen. Therese stand stumm verwundert beim Fenster. Ulrike kauerte in der Mitte des Kreises auf dem Küchenschemel, eigentümlichen Spott in den Mienen, und strich bisweilen widerspenstige Haarsträhne von den Wangen, die die Herdfeuerhitze mit feuchter Purpurröte bedeckt hatte.

      Jedes hielt die Kaffeetasse in der Hand, und immer, wenn sie einen Schluck getan hatten, lauschten sie gegen das Zimmer, aus welchem das Unheil brechen musste.

      Ulrike erzählt

      Ich bin fünfundzwanzig Jahre alt,“ fing Ulrike an, „aber ich habe so viel erlebt, als hätt ich bereits fünfzig auf dem Rücken. Man sieht mirs nicht an, ich habe zähe Knochen, und eher brech ich mir den Wirbel nach hinten, als dass ich ihn nach vorn beuge. Sollt ich aufzählen, wie oft ich auf einer Bretterdiele statt in einem ordentlichen Bett geschlafen habe, so käm eine hübsche Summe heraus, aber das Jahr ist lang, und gibts Tage, wo man die Zähne in die Faust beisst, um das Schlimmste zu überstehen, so gibts wieder andre, wo einem die Sonne auf den Scheitel scheint, und man fühlt, dass man jung ist und stark und dass man zwei Arme hat, um sich damit zu regen, und ein Paar Augen, um damit zu schauen. Ihr Nesthäkchen, wie ihr dasitzt, wisst von alledem nichts, euch wird der Braten fertig aufgetragen und die Schuhe werden euch neu vom Schuster geliefert, wenn die alten zerschlissen sind, und wenn der Wind an den Fenstern rüttelt, denkt ihr höchstens: schlecht habens die Leute, die bei solchem Wetter sich draussen plagen müssen.“

      Schon nach ihren ersten Worten hatte sie langsam schleichende Schritte vernommen. Sie stellte sich aber ahnungslos, obwohl sich die Aufmerksamkeit der Zuhörer teilte und sie unbehaglich dem Geräusch lauschten, dessen Ursprung ihnen bekannt war. Dann erschien Mylius im Rahmen der Tür; unter der drohend verzogenen Stirn glommen die kleinen Augen wie zwei trübe Phosphorflämmchen; der hässliche Ingrimm, der sich in seinen Zügen ausdrückte, liess Ulrike stutzen. Mit ratloser Wut schaute er über die gelagerte Gruppe, die Lippen bebten ihm und formten Fragen, und er stiess, ausser sich, hervor: „In drei Teufels Namen, was hat der Unfug zu bedeuten? Unfug drinnen, Unfug hier.“

      Ulrike, die sich unterbrochen hatte, schaute ihn ruhig an und sagte: „Jetzt rede ich. Vielleicht interessiert Sie, was ich rede, dann können Sie zuhören, Herr Mylius, das Wort entziehen lass ich mir nicht; ich war vorher da, wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Wenn ich fertig bin, können Sie mir wegen strafwürdiger Aufsässigkeit die Türe weisen, das steht bei Ihnen, aber ich habe meinen Freunden da versprochen, dass ich ihnen meine Geschichte erzähle, das Versprechen will ich halten, und solange müssen Sie sich gedulden. Auf der Bank neben der gnädigen Frau ist noch ein Platz frei, darf ich Ihnen den anbieten?“

      Mylius rang vergeblich nach Erwiderung. Die Kaltblütigkeit und Kühnheit, mit der er sich zurecht- und abgewiesen sah, beraubten ihn der Sprache. Dabei das heitere Lächeln, der sprühende Blick, die lebhaft herrische Geste: er war wie vor den Kopf geschlagen. Dergleichen war neu, es bestürzte ihn, und er wusste nicht, wie er sich benehmen sollte, um Würde, Autorität und Ansehen zu retten. Die vier Kinder starrten in ihre dampfenden Schalen, die Töchter furchtsam geduckt, Lothar gespannt lauernd; Christine war beklommen; die Magd am Fenster grinste verlegen. Dieses Grinsen machte ihn toll vor Ärger; er wollte abermals losbrechen, irgendetwas schreien, sich Luft verschaffen, doch Ulrike, die ihn im Auge behielt wie eine Schlangenbändigerin, hatte schon wieder begonnen. Er presste giftig die Lippen zusammen und entschloss sich zu schweigen und sich einstweilen zurückzuziehen. Wie aber die dunkelgetönte Stimme munter und beredt hinfloss, zwang es ihn gegen seinen Willen, ja zu seinem Verdruss, stehenzubleiben, dann hielten ihn die Worte fest, die sich zu Bericht und Bild gestalteten, der wilde Unmut legte sich, obschon die Brauen noch eine Weile finster geballt waren, es dünkte ihn, dass er sich nichts vergebe, wenn er, solange es ihm gefiel, an den Türpfosten gelehnt und ohne weitere Gemeinschaft zu suchen, ebenfalls zuhörte.

      Als Ulrike dessen inne wurde, ging ein zufriedener Schimmer über ihr Gesicht.

      „Ich bin aufgewachsen in Gegenden, wo die Hunde auf den Feldern langsam zu Wölfen werden“, setzte sie ihre Erzählung fort. „Mein Vater war österreichischer Offizier. Angewiesen auf den Sold und ohne die Protektion, die alle Dummköpfe und Schmarotzer in die Höhe bringt, schleppte er seine mühselige Existenz durch ein halbes Dutzend östliche Grenzgarnisonen. Er hatte spät geheiratet; es fehlten die Mittel; mit dreiundvierzig Jahren wurde er Major, mit fünfzig Oberst, dabei blieb es. Was ist so ein Oberst dorten in der Juden- und Woiwodenwildnis, besonders wenn er nicht von Adel ist und kein Vermögen hat und eine Frau und eine Horde Kinder an ihm hängen? Figur zum Bejammern.

      Die Woytichs stammen aus Polen. In ihren Adern rinnt Musikerblut. Meines Vaters Vater war einer der wenigen Schüler von Paganini; Paganini, ein Zauberer, wie die Welt keinen zweiten gesehen hat, ihr wisst es vielleicht, soll ihn alle seine Hexereien und Kunststücke gelehrt und ihn geliebt haben bis an seinen Tod. Davon erzählte der Vater oft, wenn er in mitteilsamer Laune war, und es hat dann auch, wie ihr bald hören werdet, eine Rolle in meinem Leben gespielt. Der Vater selbst