E. T. A. Hoffmann

Nachtstücke


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gestützt auf das Resultat aller jener Aussagen und Beweise wurde ihm die Tortur zuerkannt, um seinen starren Sinn zu beugen, und ihn zum Geständnis zu bringen. Schon über ein Jahr schmachtete Andres im Kerker, der Gram hatte seine Kräfte aufgezehrt, und sein sonst robuster starker Körper war schwach und ohnmächtig geworden. Der schreckliche Tag, an dem die Pein ihm das Geständnis einer Tat, welche er niemals begangen, abdringen sollte, kam heran. Man führte ihn in die Folterkammer, wo die entsetzlichen mit sinnreicher Grausamkeit erfundenen Instrumente lagen, und die Henkersknechte sich bereiteten, den Unglücklichen zu martern. Nochmals wurde Andres ermahnt, die Tat, deren er so dringend verdächtig, ja deren er durch das Zeugnis jener Jäger überführt worden, zu gestehen. Er beteuerte wiederum seine Unschuld, und wiederholte alle Umstände seiner Bekanntschaft mit Dennern in denselben Worten, wie er es im ersten Verhör getan. Da ergriffen ihn die Knechte, banden ihn mit Stricken und marterten ihn, indem sie seine Glieder ausrenkten und Stacheln einbohrten in das gedehnte Fleisch. Andres vermochte nicht die Qual zu ertragen; vom Schmerz gewaltsam zerrissen, den Tod wünschend, gestand er alles was man wollte, und wurde ohnmächtig in den Kerker zurückgeschleppt. Man stärkte ihn, wie es nach erlittener Tortur gewöhnlich, mit Wein und er fiel in einen zwischen Wachen und Schlafen hinbrütenden Zustand. Da war es ihm als lösten sich die Steine aus der Mauer, und als fielen sie [97]krachend herab auf den Boden des Kerkers. Ein blutroter Schimmer drang durch und in ihm trat eine Gestalt hinein, die, unerachtet sie Denners Züge hatte, ihm doch nicht Denner zu sein schien. Glühender funkelten die Augen, schwärzer starrte das struppige Haar auf der Stirn empor und tiefer senkten sich die finstern Augenbrauen in die dicke Muskel herab, die über der krummgebogenen Habichtsnase lag. Auf grässlich seltsame Weise war das Gesicht verschrumpft und verzerrt, und die Kleidung fremd und abenteuerlich, wie er Dennern niemals gesehen. Ein feuerroter mit Gold stark verbrämter weiter Mantel hing in bauschichten Falten der Gestalt über die Schultern, ein breiter niedergekrempter spanischer Hut mit herabhängender roter Feder saß schief auf dem Kopfe, ein langer Stoßdegen hing an der Seite, und unter dem linken Arm trug die Gestalt ein kleines Kistchen. So schritt der gespenstische Unhold auf Andres zu in hohlem dumpfen Tone sprechend: »Nun, Kamerad, wie hat dir die Folter geschmeckt? Du hast das alles bloß deinem Eigensinn zu verdanken; hättest du dich als zur Bande gehörig bekannt, so wärst du nun schon gerettet. Versprichst du aber, dich mir und meiner Leitung ganz zu ergeben, und gewinnst du es über dich, von diesen Tropfen zu trinken, die aus deines Kindes Herzblut gekocht sind, so bist du augenblicklich aller Qual entledigt. Du fühlst dich gesund und kräftig, und für deine weitere Rettung will ich dann sorgen.« – Andres konnte vor Schreck, Angst und Ermattung nicht sprechen; er sah, wie seines Kindes Blut in der Phiole, die ihm die Gestalt hinhielt, in roten Flämmchen spielte; inbrünstig betete er zu Gott und den Heiligen, dass sie ihn retten möchten aus den Klauen des Satans, der ihn verfolge und um die [98]ewige Seligkeit bringen wolle, die er zu erlangen hoffe, sollte er auch eines schimpflichen Todes sterben. Nun lachte die Gestalt, dass es im Kerker widergellte, und verschwand im dicken Dampf. Andres erwachte endlich aus dumpfer Betäubung, er vermochte sich aufzurichten vom Lager; aber wie ward ihm, als er sah, dass das Stroh, was unter seinem Haupte gelegen, sich stärker und stärker zu rühren begann und endlich weggeschoben wurde. Er gewahrte, dass ein Stein aus dem Fußboden von unten herausgedrängt worden und hörte mehrmals seinen Namen leise rufen. Er erkannte Denners Stimme und sprach: »Was willst du von mir? Lass mich ruhen, ich habe mit dir nichts zu schaffen!« »Andres«, sprach Denner, »ich bin durch mehrere Gewölbe gedrungen, um dich zu retten; denn, wenn du auf den Richtplatz kommst, von dem ich errettet wurde, bist du verloren. Bloß um deines Weibes willen, die mir mehr angehört, als du wohl denken magst, helfe ich dir. Du bist ein mutloser Feigling. Was hat dir nun dein erbärmliches Leugnen gefruchtet? Bloß, dass du vom Vachschen Schloss nicht zu rechter Zeit nach Hause zurückkehrtest und ich mich zu lange bei deinem Weibe aufhielt, ist schuld, dass man mich auffing. Da! – nimm die Feile und die Säge, befreie dich in künftiger Nacht von den Ketten und durchsäge das Schloss der Kerkertüre; schleiche durch den Gang! Die äußere Tür linker Hand wird offen stehn, und draußen wirst du einen von uns finden, der dich weiter geleitet. Halte dich gut!« Andres nahm die Säge und die Feile, die ihm Denner hineinreichte und hob dann den Stein wieder in die Öffnung. Er war entschlossen, das zu tun, wozu ihn die innere Stimme des Gewissens aufforderte. – Als es Tag geworden und der Gefangenwärter hinein[99]trat, da sagte er, wie er sehnlich wünsche vor den Richter geführt zu werden, indem er Wichtiges zu entdecken habe. Noch an demselben Vormittage wurde sein Verlangen erfüllt, weil man nicht anders glaubte, als dass Andres neue, bisher noch unbekannt gebliebene, Freveltaten der Bande gestehen werde. Andres überreichte den Richtern die von Dennern erhaltenen Instrumente, und erzählte den Vorgang der Nacht. »Unerachtet ich gewiss und wahrhaftig unschuldig leide, so soll mich doch Gott behüten, dass ich darnach trachten sollte, meine Freiheit auf unerlaubte Weise zu erlangen; denn das würde mich ja dem verruchten Denner, der mich in Schande und Tod gestürzt hat, in die Hände liefern und ich dann erst durch mein sündliches freveliches Unternehmen die Strafe verdienen, die ich jetzt unschuldig leiden werde.« So beschloss Andres seinen Vortrag. Die Richter schienen erstaunt und von Mitleid für den Unglücklichen durchdrungen, wiewohl sie durch die mannigfachen Tatsachen, die wider ihn sprachen, zu sehr von seiner Schuld überzeugt waren, um sein jetziges Benehmen nicht auch für zweifelhaft zu halten. Die Aufrichtigkeit des Andres und vorzüglich der Umstand, dass nach jener Anzeige der von Denner beabsichtigten Flucht, in der Stadt und zwar in der nächsten Umgebung des Gefängnisses wirklich noch einige von der Bande ertappt und aufgegriffen wurden, hatte jedoch den wohltätigen Einfluss auf ihn, dass er aus dem unterirdischen Kerker, in den er gesperrt gewesen, herausgenommen wurde, und eine lichte Gefängnisstube neben der Wohnung des Gefangenwärters erhielt. Da brachte er seine Zeit mit Gedanken an sein treues Weib, an seinen Knaben, und mit gottseligen Betrachtungen hin, und bald fühlte er sich ermutigt, das Leben [100]auch auf schmerzliche Weise, wie eine Bürde, abzuwerfen. Nicht genug konnte sich der Gefangenwärter über den frommen Verbrecher wundern und er musste notgedrungen beinahe an seine Unschuld glauben.

      Endlich, nachdem beinahe noch ein Jahr verflossen, war der schwierige verwickelte Prozess wider Denner und seine Mitschuldigen geschlossen. Es hatte sich gefunden, dass die Bande bis an die Grenze von Italien ausgebreitet war und schon seit geraumer Zeit überall raubte und mordete. Denner sollte gehängt, und dann sein Körper verbrannt werden. Auch dem unglücklichen Andres war der Strang zuerkannt; seiner Reue halber, und da er durch das Bekenntnis der ihm von Denner geratenen Flucht die Entdeckung des Anschlags der Bande, durchzubrechen, veranlasst hatte, durfte jedoch sein Körper herabgenommen, und auf der Gerichtsstätte verscharrt werden.

      Der Morgen, an dem Denner und Andres hingerichtet werden sollten, war angebrochen; da ging die Tür des Gefängnisses auf und der junge Graf von Vach trat hinein zum Andres, der auf den Knien lag und still betete. »Andres«, sprach der Graf, »du musst sterben. Erleichtere dein Gewissen noch durch ein offenes Geständnis! Sage mir, hast du deinen Herrn getötet? Bist du wirklich der Mörder meines Oheims?« – Da stürzten dem Andres die Tränen aus den Augen, und er wiederholte nochmals alles, was er vor Gericht ausgesagt, ehe ihm die unleidliche Qual der Tortur eine Lüge auspresste. Er rief Gott und die Heiligen an, die Wahrheit seiner Aussage und seine gänzliche Unschuld an dem Tode des geliebten Herrn zu bekräftigen.

      »So ist hier«, fuhr der Graf von Vach fort, »ein unerklärliches Geheimnis im Spiele. Ich selbst, Andres, war von [101]deiner Unschuld überzeugt, unerachtet vieles wider dich sprach; denn ich wusste ja, dass du von Jugend auf der treuste Diener meines Oheims gewesen bist, und ihn selbst einmal in Neapel mit Gefahr deines Lebens aus Räuberhänden errettet hast. Allein nur noch gestern haben mir die beiden alten Jäger meines Oheims Franz und Nikolaus geschworen, dass sie dich leibhaftig unter den Räubern gesehen und genau bemerkt hätten, wie du selbst meinen Oheim niederstrecktest.« Andres wurde von den peinlichsten, schrecklichsten Gefühlen durchbohrt; es war ihm, als wenn der Satan selbst seine Gestalt angenommen habe, um ihn zu verderben; denn auch Denner hatte ja sogar im Kerker davon gesprochen, dass er den Andres wirklich gesehen, und so schien selbst die falsche Beschuldigung vor Gericht auf innerer wahrer Überzeugung zu beruhen. Andres sagte dies alles unverhohlen, indem er hinzusetzte, dass er sich der Schickung des Himmels ergebe, nach welcher er den schmählichen Tod eines Verbrechers sterben solle, dass aber, sei es auch lange Zeit nachher, seine Unschuld gewiss an den Tag kommen werde. Der Graf von Vach schien tief erschüttert; er konnte kaum noch dem Andres