daß man Sie kaum in Ruhe lassen wird. Das gilt auch für Miß Porter und Sie, Mr. Parker.«
»Wie aufregend, schön und hoffnungsvoll«, sagte Lady Agatha genüßlich. »Hoffentlich haben Sie nicht zuviel versprochen, McWarden!«
*
»Daß Sie mir das antun, Mr. Parker, werde ich Ihnen so leicht nicht vergessen«, beschwerte sich Lady Simpson grimmig.
Sie mißbilligte die Tatsache, sich noch einmal ein Konzert anhören zu müssen. Wie schon gesagt, die Lady liebte Jazz und Swing, mit klassischer Musik wußte sie nur herzlich wenig anzufangen.
Sie hatte sich jedoch den überzeugenden Argumenten des Butlers gebeugt. Der Kurier, der seine Identität nicht zu erkennen gab, mußte sich unter den Orchestermusikern befinden. Und dieses Ensemble wollte Parker sich noch einmal gründlich aus der Nähe ansehen.
Nach McWardens Weggang hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt nichts mehr ereignet. Der Fall trat auf der Stelle, wie Lady Simpson es ausgedrückt hatte. Ihre Laune war dadurch nicht gerade besser geworden.
»Das dort, Mylady, müßte Mr. William Cleetans sein«, sagte der Butler ablenkend und deutete auf das Orchester hinunter, das bereits Platz genommen hatte. »Die Flöte dort, Mylady, um genau zu sein.«
»Der besondere Freund dieses ermordeten Oscar Walmlin?« Lady Agatha nahm ihr Opernglas hoch und beobachtete den Mann. Williams Cleetans, im Frack wie alle übrigen Musiker, beschäftigte sich mit seinem Instrument. Er war ein etwa vierzigjähriger, untersetzter Mann mit schütterem, braunen Haar und einem kleinen Schnurrbart.
»Ob das der Kurier ist?« murmelte die Hobbydetektivin. »Wollen Sie sich diesen Cleetans ansehen, Mr. Parker?«
»Ich war bereits so frei, Mylady«, gab der Butler zurück. »Theoretisch könnte es jeder Musiker sein. Dazu gehören auch der Dirigent und der Solist.«
»Warum nicht auch der Orchestermanager Brewster?« Lady Simpson hatte das zwar ironisch gemeint, doch während sie die Frage stellte, zündete diese Idee bei Ihr. »Ja, warum eigentlich nicht? Haben Sie daran schon mal gedacht, Mr. Parker?«
»Keineswegs, Mylady«, schwindelte Josuah Parker. Natürlich hatte er an solch eine Möglichkeit schon gedacht, doch er hatte geduldig darauf gewartet, bis Lady Simpson auf diesen Gedanken kam.
»Er war doch mit auf Tournee, oder?«
»In der Tat, Mylady.«
»Wir werden ihm nach diesem Spektakel auf den Zahn fühlen, Mr. Parker. Erinnern Sie mich daran. Du lieber Himmel, die Qual scheint zu beginnen. Hoffentlich überstehe ich das!«
Sie befanden sich in der Loge, in der James Findlay überfallen und stranguliert worden war. Lady Simpson ließ sich tief in den Logensessel rutschen und holte ein Geduldspiel hervor, das sie sicherheitshalber mitgenommen hatte. Irgendwie mußte sie sich ja die Zeit vertreiben.
In einem kleinen quadratischen Rahmen befanden sich kleine Vierecke, die untereinander ausgetauscht und verschoben werden konnten. Es galt, die Nummern auf diesen Vierecken schön der Reihe nach bis zur Zahl Vierzehn zu ordnen.
Parker hingegen beugte sich vor und applaudierte höflich-erwartungsvoll, als der Dirigent erschien, das Podium betrat und sich verbeugte. Wenig später begann das Konzert.
Nun, auch Josuah Parker benahm sich nicht gerade konzertgemäß. Während Ravel dargeboten wurde, betätigte auch er sich. Er vertrieb sich die Zeit zwar nicht mit einem Geduldspiel wie Lady Simpson, sondern schien die Polsterung der Logenbrüstung und die seitlichen Samtvorhänge zu inspizieren. Ja, er stand sogar recht ungeniert auf und fingerte an den Vorhängen hoch. Die Weihe des Hauses kümmerte ihn überhaupt nicht, Ravel überhörte er schlicht. Ihm schien es auch gar nichts auszumachen, daß sein ungewöhnliches Tun vielleicht beobachtet wurde.
Plötzlich mußte Butler Parker eine geradezu sensationelle Entdeckung gemacht haben.
Er drehte sich blitzschnell zu Lady Simpson um und redete leise auf sie ein. Nun erhob auch sie sich und beugte sich über Parkers Hand, die er Vorgestreckt hatte. Lady und Butler schienen sich etwas ungemein Interessantes anzusehen.
»Das müßte reichen, Mylady«, flüsterte der Butler. »Falls meine bescheidenen Vermutungen mich nicht trügen, dürfte sich nun etwas ereignen.«
»Hoffentlich recht bald«, erwiderte die resolute Lady. »Diese Musik reißt mich nicht gerade vom Sitz, Mr. Parker.«
*
Ravel war verklungen, der Beifall rauschte auf.
»Ich fühle mich sehr mitgenommen«, beklagte sich Lady Simpson. »Hoffentlich hatten Sie damit gerechnet, Mr. Parker?«
»Gewiß, Mylady.« Parker holte eine flache Taschenflasche aus der Innentasche seines schwarzen Zweireihers und schraubte den ebenfalls flachen Becher ab. Dann füllte er ihn mit einem Cognac und reichte Lady Agatha den ersehnten Kreislaufbeschleuniger.
»Schon besser«, sagte sie, den Becher zurückreichend. »Hoffentlich haben Sie sich nicht verkalkuliert, Mr. Parker. Wie soll’s denn nun weitergehen? Wenn wir angeblich was gefunden haben, müßten wir uns langsam in Bewegung setzen.«
»Nach dem Einsatz der nächsten Programmnummer, Mylady«, antwortete Parker. »Es handelt sich übrigens um das Violinkonzert von Beethoven, falls dieser Hinweis erlaubt ist.«
»Dann werden wir ja diesen Solisten zu sehen bekommen.« Lady Simpson griff nach ihrem Opernglas.
»Mr. Blandhaven, Mylady«, fügte Parker hinzu. »Er nahm an der fernöstlichen Tournee des Orchesters teil.«
Lady Agatha Simpson sah sich Blandhaven sehr genau an. Der Mann war vielleicht achtunddreißig Jahre alt, groß, schlank und sah sehr gut aus. Die Lady fragte sich, ob dieser Blandhaven vielleicht der Kurier gewesen war, der das Agentenmaterial bis nach London geschmuggelt hatte? Oder war es der Dirigent? Sie hatte seinen Namen vergessen, aber darauf kam es überhaupt nicht an. Der mittelgroße Mann mit den temperamentvollen Gesten und dem gut geschnittenen Gesicht feuerte seine Musiker energisch an und nickte Blandhaven dann gewährend zu. Der Solist begann mit seinem Spiel und ließ seine Geige singen.
»Mylady!« Parkers Stimme hatte einen warnenden und auch etwas harten Unterton angenommen. Er deutete hinunter auf das Orchester und erhob sich.
Ein gewisses Glitzern hatte Parkers Aufmerksamkeit erregt. Bruchteile von Sekunden später, Lady Simpson beugte sich gerade vor, war ein erster Schrei unten aus dem Parkett zu vernehmen. Dieser Schrei fand Nachahmer, Rufe wurden laut, Schreie, dann brach die Musik ab.
Und erst jetzt war zu erkennen, wie einer der. Geiger nach vorn fiel, sich auf die Schulter eines anderen Musikers legte und dann samt seinem Stuhl zu Boden polterte.
Der Solist stürzte sich auf den Mann, rief dem Dirigenten etwas zu und verschwand dann in der Menge der Musiker, die sich um den zusammengebrochenen Kollegen scharten.
Brewster erschien vorn am Dirigentenpult. Er breitete beide Arme weit aus, rief Worte der Beruhigung zu den Zuhörern hinunter, wurde aber übertönt. Eine kleine Panik war ausgebrochen. Die Zuhörer setzten sich ab und stürmten auf die Ausgänge zu. Dabei ging es nicht gerade vornehm zu, wie Josuah Parker mißbilligend feststellte. Er hätte sich gerade jetzt etwas mehr Disziplin gewünscht.
»Was ist denn passiert?« Lady Simpson sah ihren Butler entgeistert an.
»Einer der Geiger ist von einem Wurfmesser in die Schulter getroffen worden«, gab der Butler zurück. »Meiner bescheidenen Ansicht nach muß es von einer der unteren Logen aus geworfen worden sein.«
»Und dann stehen wir hier noch herum?« Lady Simpson drehte sich erleichtert um, wollte zum Ausgang der Loge.
Unten im Zuhörerraum war es inzwischen noch lauter geworden. Männer brüllten sich gegenseitig an oder betätigten sich als Ritter ihrer Damenbegleitung. Es kam zu einigen lokalen Boxkämpfen, deren Ausgang noch nicht zu übersehen war. Frauen zerrten an der Kleidung ihrer Geschlechtsgenossinnen und wollten sich vorschieben, um so möglichst schnell nach draußen