Magnhild Bruheim

Letztes Blind Date - Norwegen-Krimi


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hatte eine Nachricht hinterlassen: »Jon Ruud, Polizei Lillehammer. Ich würde gerne mit Ihnen reden. Können Sie mich anrufen, sobald Sie diese Nachricht bekommen. Es ist Donnerstagnachmittag, zwanzig nach fünf.« Kurz und bündig. Was wollte er von ihr? Aber es war zu spät, um zurückzurufen.

      Es war nach eins, als Tone vor der Wohnung in Torshov aus dem Taxi stieg. Sie hielt den Türschlüssel in der rechten Hand bereit. In dem Moment, als das Taxi wieder auf die Straße bog, spürte sie die gleiche Angst wie am Nachmittag. Ein Auto parkte ein Stück weiter auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Die Scheinwerfer waren ausgeschaltet, aber der Motor lief. Die Meter bis zum Hauseingang wurden ihr lang. Folgte ihr jemand? Sie wollte den Schlüssel ins Schloss stecken, aber er passte nicht. Der Schlüssel passte nicht mehr zu der Tür! Das Gefühl, verfolgt zu werden, nahm ihr den Atem. Sie versuchte es noch einmal. Nichts. Sekunden verstrichen. Endlich. Der Schlüssel steckte, sie konnte ihn umdrehen und hineinschlüpfen.

      Als sie drinnen hinter der geschlossenen Tür stand und durchatmete, begriff sie, dass niemand sie verfolgt hatte. Der Hinterhof war menschenleer.

      In der Wohnung waren fast alle Lampen aus. Emma schlief bestimmt, dachte sie. Auf dem Sofa im Wohnzimmer war ein Bett für sie gemacht. Sie ging zum Fenster und spähte durch einen Schlitz in der Gardine hinaus, sah, wie das Auto gerade anfuhr. Hätte sie sich mit Autos besser ausgekannt, hätte sie vielleicht die Marke erkennen können. Sie musste sich schlau machen, was Automarken anging.

      Als Tone unter der Bettdecke lag, starrte sie in den dunklen Raum. War sie jetzt völlig paranoid oder beobachtete sie wirklich jemand?

      Marienlyst, Freitag, 19. Oktober, 10.30 Uhr

      Die tote Frau vom Mesnaelva hatte einen Namen bekommen: Sofie Lyse. Er stand auf der Titelseite der Zeitung, die vor Tone auf dem Schreibtisch lag.

      In einer Stunde würde die Sendung über das Singletreffen ausgestrahlt werden. Vorher musste Tone noch ihren Beitrag für die Reihe über Schlankheitskuren redigieren. Wenn sie finanziell mit einem halben Job klarkommen wollte, musste sie zumindest die freiberuflichen Aufträge erfüllen, die sie zugesagt hatte. Deshalb hatte sie am Vortag auf dem Rückweg von Oslo in dem Fitnessstudio vorbeigeschaut, das es sich zur Aufgabe gemacht hatte, ihre Figur zu formen. In Zusammenarbeit mit ein paar anderen Journalisten sollte sie verschiedene Methoden testen, die einen schlankeren Körper versprachen. Aus einem kritischen Blickwinkel heraus. Tone rechnete damit, auch nach beendeter Kur noch alle ihre Kilos drauf zu haben, aber man durfte hoffen.

      Jetzt wollte sie erst einmal lesen, was die Zeitungen über den Mord schrieben. Die, die vor ihr lag, brachte drei Seiten über den Fall Sofie. Die Polizei suchte nach Bekannten der Toten, die sich am Dienstag in der Gegend um Lillehammer aufgehalten haben könnten. Der Artikel enthielt bereits bekannte Informationen, aber auch einige neue. Lyse hatte Freunden gegenüber erwähnt, dass sie am Samstagabend nach Oslo wollte, um sich dort mit einem Mann zu treffen, den sie im Internet kennen gelernt hatte. Niemand kannte den Namen des Mannes. Seitdem hatte keiner der Freunde mehr etwas von ihr gehört oder gesehen. Niemand hatte eine Erklärung dafür, warum sie später nach Lillehammer gefahren war.

      Im Internet? Tone hielt im Lesen inne. Der Gedanke war plötzlich da: Sie und die tote Frau hatten zwei Dinge gemeinsam. Sie waren zur selben Zeit im Wald gewesen und sie hatten über das Internet Kontakt gesucht. Hatten sie sich auch mit demselben Mann getroffen?

      Der Name Sofie Lyse sagte ihr nichts. Doch wenn sie das Bild betrachtete, hatte sie wieder das Gefühl, die Frau zu kennen. Es war etwas unscharf, offensichtlich aus einem Foto, auf dem noch andere Personen abgebildet waren, herausgeschnitten und stark vergrößert worden.

      Die siebenunddreißigjährige Sofie Lyse aus Gran war geschieden und wohnte allein, las sie. Keiner der Nachbarn erinnerte sich, sie in den letzten Tagen gesehen zu haben. Sie hatte am Freitag ganz normal gearbeitet und hätte anschließend nach Hause fahren sollen. Es war bekannt, dass Lyse sich in den letzten Monaten mit mehreren Männern getroffen hatte, die sie im Internet kennen gelernt hatte. Die Polizei hatte ihren PC sichergestellt und wollte ihre E-Mails durchgehen, auf der Jagd nach Namen und anderen Informationen. Die Autopsie ergab nichts, was auf einen sexuellen Missbrauch schließen ließ.

      Der Exmann von Sofie Lyse wohnte in Oslo. Er hatte der Polizei erklärt, seit ein paar Jahren keinen Kontakt mehr zu seiner ehemaligen Frau gehabt zu haben. Über einen Streit zwischen den früheren Ehepartnern war nichts bekannt.

      Die Zeitung brachte auch einen größeren Beitrag über die Partnersuche im Internet und die entsprechenden Websites. Zitate von Paaren, die sich auf diese Weise gefunden hatten. Informationen über Kontaktanzeigen und Agenturen. Leute, die sich der Internetseiten und der entsprechenden Firmen bedienten, hatten nichts zu befürchten, hieß es. Anonymität sei gewährleistet, die Teilnehmer entschieden selbst, ob sie ihre Identität preisgeben wollten. Ein Interview mit dem Redakteur einer Website, der erklärte, dass die Kontaktsuche über das Internet völlig ungefährlich sei. – Wir bekommen Rückmeldungen von Leuten, die dank unserer Website das Glück gefunden haben, sagt er. – Nicht eine einzige Klage ist eingegangen, dass jemand sich bedroht gefühlt hat ...

      Tone war wütend auf sich selbst, weil sie ihr eigenes Wissen über den Fall journalistisch nicht verwertet hatte. Sie wünschte, sie würde in der Nachrichtenredaktion arbeiten. Sie hatte genug exklusive Informationen für ein paar interessante Beiträge. Sollte sie den Kollegen einen Tipp geben? Vorläufig nicht, entschied sie. Sie wollte lieber darüber nachdenken, ob sie das Material nicht selbst nutzen konnte.

      Ihr Verdacht bezüglich der Restaurantquittung hatte sich bestätigt. Am 3. Oktober hatte Tone das erste Interview für die neue Dokumentarreihe gemacht. Mit einer verzweifelten Mutter, die vor zwei Jahren miterleben musste, wie ihr Sohn zum Mörder wurde. Anschließend war Tone nach Hause in die Wohnung in Torshov gefahren. Im Restaurant war sie nicht gewesen.

      Marienlyst, Freitag, 11.30 Uhr

      Tone Tarud gehörte im System des norwegischen Rundfunks einer aussterbenden Rasse an. Sie machte Talkshows. Im Radio, wohlgemerkt. Das war das Besondere. Im Fernsehen war das an der Tagesordnung, doch im Radio war es altmodisch. Die Leute waren überfordert, wenn der Kommentar länger als vier bis fünf Minuten dauerte. Das war jedenfalls die Theorie. Deshalb konnte Tone nicht damit rechnen, dass der Durchschnittshörer ihre Sendungen mitbekam.

      Gleich würde die Reportage über das Singletreffen im Hotel Hedemarken ausgestrahlt werden. Tone hatte die Aufnahme für die Sendung vor zweieinhalb Wochen, am letzten Septemberwochenende, gemacht. Die Annoncen, die jeden Donnerstag in den Lokalzeitungen erschienen, hatten sie auf die Idee gebracht. Sie wandten sich mit Party- und Tanzveranstaltungsangeboten an Singles. Die Sendung sollte herüberbringen, wie es sich anfühlte, Single, im besten Alter und auf der Jagd nach dem Glück zu zweit zu sein. Sollte die Hoffnung vermitteln, dieses auf einer Tanzveranstaltung mit Gleichgesinnten zu finden.

      Tone war sich auf der Veranstaltung wie eine Heldin vorgekommen. Nicht weil sie mutig war, sondern weil sie sich so bloßgestellt fühlte. Sie hatte geplant, als ganz normaler Single hinzugehen und zu sehen, wie man sich als solcher fühlte, auf der Pirsch und mit diversen Erwartungen. Das beinhaltete, dass auch andere sie als Single auf Männersuche betrachteten. Sie wollte diese Insidererfahrung machen und das Ganze aus dieser Sicht darstellen. Für sie war das ein harter Auftrag. Zu hart, wie sie feststellen musste, als sie in dem Tanzlokal stand. Die Rolle eines Kontakt suchenden Singles im Internet einzunehmen war eins, doch diese Situation war etwas anderes. Sie schaffte es nicht, das durchzustehen, und klammerte sich stattdessen an das Aufnahmegerät.

      Zuerst hatte sie eine der Veranstalterinnen interviewt. Linn Haldorsen war eine kleine, gedrungene Dame um die fünfzig, die Energie versprühte. Ihr ganzes Gesicht war ein einziges großes Lächeln. Als Tone sie nach der Idee hinter der Veranstaltung fragte, antwortete Linn, dass sie selbst absolut tanzbesessen sei. Aber Ehepaare und Liebespaare wollten immer nur miteinander oder mit Partnern von anderen tanzen, sagte sie. Deshalb hatte sie zusammen mit einer Freundin beschlossen, Singletreffs zu organisieren. Der Gedanke war einfach der, dass die Leute jemanden fanden, mit dem sie tanzen konnten.

      Es war leicht,