Augustinus von Hippo

Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 1


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Heroen, sondern auch über die Götter selbst zu stellen. Zwischen den Gesetzen der Römer aber und den Anschauungen Platos besteht insofern eine Verwandtschaft, als Plato alle dichterischen Fabeleien verwirft, während die Römer den Dichtern wenigstens die Schmähfreiheit den Menschen gegenüber benehmen; jener die Dichter vom Aufenthalt im Staate fernhält, diese wenigstens die Darsteller dichterischer Fabeleien von der bürgerlichen Gemeinschaft ausschließen und sie, wenn sie den Göttern gegenüber als den Urhebern der Schauspiele sich's getrauten, vielleicht ganz wegweisen würden. Gewiß hätten also die Römer Gesetze zur Begründung guter oder zur Besserung schlechter Sitten von ihren Göttern nicht überkommen oder erhoffen können, da sie ja durch ihre eigenen Gesetze die Götter übertreffen und des Unrechts überführen. Denn diese heischen zu ihren Ehren Bühnenspiele, und die Römer versagen alle Ehre den Bühnenspielern; die Götter befehlen, ihre Schmach in dichterischen Fabeleien zu feiern, und die Römer schrecken die Zügellosigkeit der Dichter von Schmähungen der Menschen ab. Jener Halbgott Plato aber trat nicht nur dem Begehren solcher Götter entgegen, sondern deutete auch an, was die Römer ihrer natürlichen Veranlagung gemäß hätten ausführen sollen, indem er sich dagegen aussprach, daß den Dichtern, die entweder willkürlich Lügen erfinden oder den unglücklichen Menschen verruchte Taten vorgeblicher Götter zur Nachahmung vor Augen stellen, in einem wohl eingerichteten Staate ein Platz gewährt werde. Wir halten zwar Plato weder für einen Gott noch für einen Halbgott, noch stellen wir ihn auf eine Stufe mit irgend einem Engel des höchsten Gottes oder mit einem Propheten der Wahrheit oder mit einem Apostel oder mit einem Märtyrer Christi oder mit irgend einem christlichen Menschen; den Grund dafür werden wir mit Gottes Gnade in anderem Zusammenhang darlegen. Immerhin aber sind wir, da sie selbst ihn zu einem Halbgott machen, der Ansicht, er sei, wenn nicht über Romulus und Herkules zu stellen [obwohl ihm kein Geschichtsschreiber und kein Dichter einen Brudermord noch sonst eine Untat nachgesagt oder angedichtet hat], so doch gewiß über Priapus oder einen Kynokephalus oder gar die Febris, Gottheiten, die die Römer teils von auswärts übernahmen, teils selbst dazu geweiht haben. Wie sollten sich nun also um gute Vorschriften und Gesetze zur Hintanhaltung oder Bekämpfung einer solchen Verheerung der Gesinnung und Gesittung Götter kümmern, die sich im Gegenteil die Entstehung und Ausbreitung von Lastern angelegen sein ließen durch das Verlangen, daß ihre derartigen Taten oder Scheintaten durch theatralische Feiern den Völkern bekannt gemacht würden, damit durch den Anschein eines göttlichen Vorbildes die schon aus eigenem Antrieb grundschlechte menschliche Lust entfacht werde, unter deren Ansturm Ciceros Wort[97] verhallt, der von den Dichtern sagt: „Wenn ihnen nur erst das Beifallsgeschrei der Menge zuteil wird, die ihnen als ein gewichtiger und einsichtsvoller Lehrmeister gilt, welche Finsternis verbreiten sie dann über sie, welche Schrecknisse jagen sie ihr ein, welche Begierden entflammen sie in ihr!“

      

       15. Die Römer machten sich manche Götter nicht aus guten Gründen, sondern aus Wohldienerei.

      

      Aber in der Wahl selbst dieser falschen Götter liessen sich die Römer nicht so fast von vernünftiger Erwägung als vielmehr von Wohldienerei leiten; haben sie doch Plato, ihren Halbgott, der sich in so mühsamen Untersuchungen erging, damit die Sitten der Menschen nicht durch seelische Schäden, denen man ganz besonders vorbauen muß, verderbt werden, nicht einmal eines Tempelchens gewürdigt, dagegen ihren Romulus über viele Götter gestellt, obwohl ihn ihre sogenannte Geheimlehre nicht als Gott, sondern als Halbgott bezeichnet. Denn sie gaben ihm sogar einen Flamen, eine Gattung des Priestertums, die, wie schon die hohe Spitze ihres Amtshutes andeutet, im römischen Kult eine so hohe Stellung einnahm, daß man nur für drei Gottheiten je einen Flamen einsetzte, für Jupiter den dialischen, für Mars den martialischen und für Romulus den quirinalischen Flamen. Quirinus nämlich hieß Romulus, nachdem er durch die Gefälligkeit der Bürger sozusagen in den Himmel aufgenommen worden war. Sonach wurde Romulus hinsichtlich dieser Ehrenauszeichnung sowohl über Neptun und Pluto, die Brüder Jupiters, als auch selbst über Saturnus, deren Vater, gestellt, indem sie als etwas Hervorragendes dieselbe Priesterschaft wie dem Jupiter auch ihm zuteilten und dem Mars als seinem Vater vielleicht auch um seinetwegen.

       16. Hätten sich die Götter um die Gerechtigkeit auch nur einen Deut gekümmert, so hätten die Römer von ihnen Vorschriften über Lebensführung erhalten sollen, statt von anderen Völkern Gesetze herübernehmen zu müssen.

      

      Wenn aber die Römer Lebensregeln von ihren Göttern hätten erlangen können, so würden sie nicht einige Jahre nach der Gründung Roms die Gesetze Solons, die sie indes nicht in der übernommenen Form beibehielten, sondern zu verbessern suchten, den Athenern abgeborgt haben, obgleich Lykurg den Lacedämoniern Gesetze auf Apollos Geheiß gegeben haben wollte, was die Römer klüglich nicht glaubten, weshalb sie sie auch nicht von dorther nahmen. Numa Pompilius, der Nachfolger des Romulus im Königtum, soll einige Gesetze erlassen haben, die jedoch zur Leitung eines Staates völlig ungenügend waren; er hat bei den Römern auch viele gottesdienstliche Einrichtungen getroffen; daß er aber jene Gesetze von den Göttern erhalten hätte, darüber verlautet nichts. Also haben sich die Götter nicht im mindesten angelegen sein lassen, von ihren Verehrern Schäden der Seele, des Wandels und der Sitten fernzuhalten, Schäden, die so sehr von Belang sind, daß daran nach der Versicherung der gelehrtesten Männer die Staatswesen zugrunde gehen, mögen auch die Städte äußerlich im besten Stande sein; im Gegenteil, sie haben sich in jeder Weise angelegen sein lassen, daß diese Schäden überhandnehmen, wie oben ausgeführt worden ist.

       17. Der Raub der Sabinerinen und andere Ungerechtigkeiten, die im römischen Staat auch in den guten Zeiten häufig genug vorkamen.

      

      Oder sind etwa dem römischen Volk deshalb keine Gesetze von den Göttern gegeben worden, weil bei ihnen, wie Sallust sagt[98] , „der Sinn für Recht und Sittlichkeit von Natur aus ebenso stark war wie infolge von Gesetzen“? Dieser Sinn für Recht und Sittlichkeit hat sie wohl beim Raub der Sabinerinen[99] geleitet! Was wäre auch gerechter und sittlicher, als fremde Mädchen, die unter dem Vorwand eines Spieles herbeigelockt wurden, statt sie sich von ihren Eltern geben zu lassen, mit Gewalt wegzunehmen, so gut es jedem gelingen wollte? Denn hätten die Sabiner unbillig gehandelt, indem sie sie auf Ersuchen verweigerten, wieviel unbilliger war es dann, sie zu rauben, weil sie verweigert wurden? Mit mehr Recht hätte man mit dem Volke der Sabiner Krieg führen können, weil es seine Töchter den Angrenzern und Nachbarn auf deren Ersuchen nicht zur Ehe geben wollte, als weil es die geraubten Töchter zurückforderte. Das also wäre schicklicher gewesen; dabei hätte Mars seinen Sohn im Kampfe unterstützt, damit er das Unrecht der Verweigerung der Ehe mit den Waffen in der Hand räche und auf solche Weise zu den begehrten Frauen gelange. Nach einer Art Kriegsrecht ja hätte man dann etwa als Sieger rechtmäßig die mit Unrecht verweigerten Mädchen wegnehmen können; jedenfalls aber gibt es kein Friedensrecht, das gestattete, sie im Fall der Verweigerung zu rauben und einen ungerechten Krieg wider deren mit Recht erzürnte Väter zu führen. Immerhin ist es noch insofern gut und glücklich abgelaufen, als das durch diese Untat gegebene Vorbild in Stadt und Reich der Römer keinen Beifall fand, obwohl zur Erinnerung an den Betrug das Zirkusspiel eine ständige Einrichtung wurde; und wenn die Römer den Romulus nach dieser Untat zu ihrem Gotte weihten, so ist dieser Irrtum geringer, als wenn sie hinsichtlich des Raubes von Frauen durch Gesetz oder Gewohnheit die Nachahmung seiner Handlungsweise gestattet hätten. Derselbe Sinn für Recht und Sittlichkeit brachte es mit sich, daß nach Vertreibung des Königs Tarquinius und seiner Kinder, dessen Sohn die Lucretia gewaltsam geschändet hatte, der Konsul Junius Brutus den Gemahl der genannten Lucretia, L. Tarquinius Collatinus, seinen Kollegen im Amte, einen edlen und unbescholtenen Mann, nur wegen seines Namens und seiner Verwandtschaft mit den Tarquiniern zur Abdankung nötigte und verbannte[100] . Dieses Verbrechen beging er unter dem Beifall oder doch mit Zulassung desselben Volkes, von dem Collatinus so gut wie Brutus das Konsulat erhalten hatte. Derselbe Sinn für Recht und Sittlichkeit hat M. Camillus, einen bedeutenden Mann in jener Zeit, der die Vejenter, die gefährlichsten Feinde des römischen Volkes, nach einem zehnjährigen Krieg, in welchem