ihrer Mitbürger, ihrer Verwandten, ihrer Brüder und Väter sie tief betrüben; nur Gefühllose konnten sich über den Sieg ihrer Männer freuen. Und wechselvoll, wie die Schicksale des Kampfes sind, fielen den einen unter den Streichen der Ihrigen ihre Männer, den anderen ihre Männer und ihre Verwandten in dem gegenseitigen Gemetzel. War doch auch auf römischer Seite die Gefahr nicht gering; es kam selbst zur Belagerung der Stadt und man mußte hinter den verschlossenen Toren Schutz suchen; aber auch diese öffneten sich durch Verrat, die Feinde drangen ein, auf dem Forum sogar entspann sich ein unseliger und nur allzu grimmer Kampf zwischen Vätern und Schwiegersöhnen, die Mädchenräuber wurden geschlagen, in Scharen flüchteten sie sich in das Innere ihrer Häuser und häuften Schande auf ihre früheren Siege, die doch an sich schon schmachvoll und traurig genug waren. Da rief Romulus in der Verzweiflung über die Mutlosigkeit seiner Leute zu Jupiter, er möge sie zum Stehen bringen, ein Moment, das Anlaß gab, dem Gott den Namen „Stator“ beizulegen; aber noch wäre des Unheils kein Ende gewesen, wenn nicht die geraubten Töchter mit aufgelösten Haaren hervorgestürzt wären, ihren Vätern sich zu Füßen geworfen und so deren gerechten Zorn nicht durch sieghafte Waffen, sondern durch kindliches Flehen gebrochen hätten. Darauf sah sich Romulus, dem die Mitherrschaft seines Bruders unerträglich gewesen war, genötigt, den Sabinerkönig Titus Tatius als Mitregenten zu dulden; aber wie hätte er ihn lange ertragen können, da er nicht einmal seinen Zwillingsbruder geduldet hatte? Also ermordete er auch ihn, wurde dadurch ein umso erhabenerer Gott und übernahm allein die Herrschaft. Was sind doch das für eheliche Rechte, was für Kriegsursachen, was für Bande der Brüderlichkeit und Schwägerschaft, was für Grundlagen der Bundesgenossenschaft und des Anspruchs auf göttliche Verehrung! Endlich, welch ein Staatsleben unter dem Schutz so zahlreicher Gottheiten! Du begreifst, wieviel Arges sich da sagen ließe, wenn wir nicht unsere Aufmerksamkeit den folgenden Zeiten zuwenden und deshalb das Thema verlassen müßten.
14. Pietätlosigkeit äußert sich in dem Kriege der Römer gegen die Albaner und der Sieg war eine Frucht der Herrschsucht.
Wie ging es also unter den Nachfolgern Numas zu? Welches Unheil für die Albaner sowohl wie für die Römer beschwor der Krieg herauf, zu dem man die Albaner reizte, weil nun einmal der lange Friede, den Numa aufrecht erhalten hatte, nicht mehr geschätzt wurde! Wie oft wurde bald das römische bald das albanische Heer zusammengehauen, wie sehr die eine wie die andere Stadt geschwächt! Alba .nämlich, von Ascanius, dem Sohn des Äneas gegründet, die Mutter Roms im eigentlicheren Sinne als Troja, wurde von König Tullus Hostilius herausgefordert und nahm den Kampf auf, unterlag und siegte, bis man der vielen Kämpfe, beiderseits erschöpft, müde wurde. Man vereinbarte nun, die Entscheidung des Krieges auf Drillingsbrüder von hüben und drüben zu stellen; auf seiten der Römer traten die drei Horatier, auf Seiten der Albaner die drei Curiatier in die Schranken. Von den drei Curatiern wurden zwei Horatier, von dem dritten Horatier aber die drei Curiatier überwunden und erschlagen. So gewann Rom auch in diesem letzten Kampf den Sieg nur um schweren Blutpreis; denn nur einer von den sechs kehrte heim. Wer hatte den Schaden, wer die Trauer? Es war hier wie dort des Äneas Stamm, die Nachkommenschaft des Ascanius, das Geschlecht der Venus, die Enkelschar Jupiters. Denn auch dieser Krieg war nicht ein gewöhnlicher Bürgerkrieg, es war vielmehr die Tochterstadt, die wider die Mutterstadt die Waffen führte. Diesem Entscheidungskampf der Drillingspaare folgte aber noch weiteres, furchtbares und entsetzliches Unheil. Die Schwester der Horatier war nämlich mit einem der Curiatier verlobt; die beiden Völker standen ja als Nachbarn und Stammverwandte vor dem Krieg in freundschaftlicher Beziehung zu einander. Als nun diese Schwester die Waffen ihres Bräutigams bei ihrem obsiegenden Bruder erblickte und darüber in Tränen ausbrach, wurde sie von ihrem eigenen Bruder erschlagen. Dieses eine Weib fühlte nach meinem Empfinden menschlicher als das ganze römische Volk. Ihr Weinen war, denke ich, frei von Schuld; denn es galt dem Manne, dem sie bereits als ihrem Gemahl durch den Schwur der Treue verbunden war, es galt vielleicht auch dem Bruder selbst, der den erschlagen hatte, dem er die eigene Schwester verlobt. Warum rühmt denn Vergil[154] an Äneas, daß er den von ihm selbst erschlagenen Feind betrauert? Warum durfte Marcellus Tränen des Mitleids vergießen über die Stadt Syrakus, als er sich vor Augen führte, wie sie, eben noch auf dem Gipfel des Ruhmes, mit einem Schlage in seine Gewalt kam und zusammenbrach, das allgemeine Schicksal alles Irdischen teilend? Soviel Verständnis wollen wir, ich bitte, dem menschlichen Fühlen entgegenbringen, daß ein Weib ihren Bräutigam, den ihr der Bruder erschlug, ohne Schuld beweinen darf, wenn Männer für ihre Tränen um Feinde, die von ihnen besiegt wurden, sogar Lob ernten. Während also dieses Weib den Verlobten beweinte, der durch die Hand ihres Bruders gefallen war, freute sich Rom, gegen die Mutterstadt einen so verlustreichen Krieg geführt und mit ganzen Strömen stammverwandten Blutes den Sieg erkauft zu haben,
Was hält man mir die tönenden Wörter Ruhm und Sieg entgegen? Wollen wir doch den Schleier, den eine irregeführte Meinung über die Ereignisse breitet, wegheben und die Tatsachen in ihrer Nacktheit ins Auge fassen, auf uns wirken lassen und beurteilen. Man nenne die Schuld, die Alba begangen, wie man bei Troja auf den Ehebruch hinweist. Nichts derart findet sich, nichts, was auch nur ähnlich wäre; lediglich die müßigen
„Mannen wollte zu Schlachten Tullus wieder erregen
Und die triumphentwöhnten Geschwader[155] “.
Dieser verwerflichen Neigung zuliebe also wurde das schwere Verbrechen eines Krieges zwischen Genossen und Verwandten begangen. Sallust freilich spricht nur ganz nebenher von dieser frevelhaften Absicht. Im Anschluß an die rühmende Erwähnung der alten Zeiten, da das Leben der Menschen ohne Begehrlichkeit dahinfloß und jeder mit dem Seinigen zufrieden war, sagt er nämlich[156] : „Nachher aber, als Cyrus in Asien und die Lacedämonier und Athener in Griechenland darangingen, Städte und Völker zu unterwerfen, Kriege aus Herrschsucht zu unternehmen und den höchsten Ruhm in den Besitz einer möglichst ausgedehnten Herrschaft zu setzen“ usw., wie man bei ihm selbst nachlesen kann; für meine Zwecke genügt dieser Teil seiner Worte. Ja die Herrschsucht ist es, die das Menschengeschlecht mit schwerem Unheil heimsucht und schlägt. Von ihr besiegt, frohlockte Rom ob seines Sieges über Alba und nannte die lobende Anerkennung seines Frevels Ruhm; „denn der Sünder“, sagt unsere Schrift[157] , „rühmt sich in den Lüsten seiner Seele und wer unrecht tut, wird gepriesen“. Man nehme also die täuschenden Umhüllungen und die irreführenden Beschönigungen hinweg von den Dingen, um sie mit unbefangenem Blick zu prüfen. Was soll es heißen: Der und der ist ein großer Mann, er hat mit dem und dem gekämpft und den Sieg davongetragen! Auch die Gladiatoren kämpfen, auch sie tragen Siege davon und auch diese Grausamkeit wird durch Beifall geehrt; allein ich glaube, es wäre besser, die schlimmen Folgen von Tatenlosigkeit aller Art über sich ergehen zu lassen, als nach solchem Ruhme zu geizen. Und doch, würden zum Zweikampf in die Arena Gladiatoren steigen, die zu einander Vater und Sohn sind, wer könnte ein solches Schauspiel aushalten? wer würde nicht davon abhalten? Wie hätte demnach der Waffengang zwischen Mutter- und Tochterstadt ruhmvoll sein können? Oder war der Fall anders, lediglich deshalb, weil die Stätte nicht die Arena war und nicht die Leichen zweier Gladiatoren, sondern die Haufen der Toten zweier Völker das weite Gefilde bedeckten? weil der Kampf nicht zwischen den Mauern des Amphitheaters stattfand, sondern das unwürdige Schauspiel vor den Augen der ganzen Welt, der zeitgenössischen und der späteren Generationen, soweit sich der Ruf davon erstreckt, über die Bühne ging?
Noch nicht genug! Noch fühlten sich diese Schirmgötter des römischen Reiches, gleichsam das Theaterpublikum bei solchen Kämpfen, nicht gesättigt, bis nicht auch die Schwester der Horatier — wegen der drei erschlagenen Curiatier mußten es doch auf der andern Seite auch drei sein — durch das Schwert des eigenen Bruders ihren zwei Brüdern nachgesandt wurde, damit Rom, die Siegerin, nicht weniger Erschlagene zähle. Darauf wurde als Opfer des Sieges Alba zerstört, nach Ilion, das die Griechen vernichteten, und nach Lavinium, wo Äneas ein Fremdlings- und Flüchtlingsreich gegründet hatte, die dritte Stätte, an der die trojanischen Gottheiten ihren Wohnsitz genommen hatten. Aber vielleicht konnte Alba nur deshalb zerstört werden, weil die Götter nach ihrer Gepflogenheit auch von hier bereits abgezogen waren.
„Alle Götter waren ja