ob wir mit unseren Vermutungen über den Betrag meines ersten Jahresgehalts nicht doch am Ende die Rechnung ohne den Wirt machen.
Diese nur zu wohl begründete Bemerkung brachte zwar mein Vertrauen in die Zukunft einigermaßen ins Wanken, dafür gab mir dieselbe aber auch einen guten, praktischen Gedanken ein, den ich sofort frischweg aussprach: »Portia, mein Schatz, würde es dir etwas ausmachen, mich zu den alten Herren zu begleiten, wenn ich mich ihnen wieder vorstellen muß?«
Sie erschrak ein wenig, sagte aber: »N–un, wenn meine Begleitung dazu beitragen kann, dir Mut zu machen. Aber ist es denn auch ganz passend, was meinst du?«
»Das wohl schwerlich, oder eigentlich sicherlich nicht; aber sieh, es hängt so unendlich viel davon ab, daß –«
»Dann gehe ich unter allen Umständen mit, ob passend oder nicht!« erwiderte sie mit edler Begeisterung, die ihr herrlich stand. »O, der Gedanke macht mich so glücklich, etwas für dich tun zu können.«
»Etwas, mein Herz? Alles tust du ganz allein. Du bist so schön, so lieblich, so bezaubernd, daß, wenn ich dich zur Seite habe, die guten alten Herren uns ohne Widerrede jeden beliebigen Gehalt bewilligen müssen, und sollten sie darüber zu Bettlern werden.«
Ha, nun mußte man sehen, wie ihr das Blut voll in die Wangen strömte und ihre Augen in Glück erstrahlten!
»Du böser Schmeichler! Das ist ja alles nicht wahr, was du da sagst, aber mit gehe ich doch. Vielleicht wird es dir bei der Gelegenheit klar, daß andere Leute mich mit anderen Augen betrachten als du.«
Hegte ich nun noch Zweifel? War mein Vertrauen noch erschüttert? Es wird wohl genügen, wenn ich sage, daß ich bei mir selbst in aller Stille meinen Gehalt unverzüglich auf zwölfhundert Pfund im Jahr erhöhte. Ich sagte ihr aber davon nichts; das sparte ich mir zu einer Überraschung für später auf.
Auf dem ganzen Weg nach meiner Wohnung schwebte ich in höheren Regionen und hörte kein Wort von allem, was Hastings an mich hinsprach. Erst als wir daheim anlangten und Hastings beim Eintritt in meinen Salon sich in begeisterten Lobsprüchen auf meine reiche und bequeme Einrichtung erging, kam ich wieder zu mir.
»Jetzt laß mich nur einen Augenblick hier stehen bleiben,« rief er, »damit ich mich satt sehen kann! Guter Gott, das ist ja ein Palast, der reinste Palast! Und da fehlt nichts, was sich nur erdenken läßt, bis zum behaglichen Kaminfeuer und bereitstehenden Abendbrot. Henry, hier kommt man nicht nur zum Bewußtsein, wie reich du bist, nein, hier fühle ich auch im tiefsten Innern, wie arm ich bin, wie arm und wie elend, wie geschlagen, gebrochen, vernichtet!«
Hol's der Henker! Seine Worte wirkten auf mich wie ein kaltes Sturzbad. Mit einem Schlage war ich völlig ernüchtert und zu dem Bewußtsein erwacht, daß ich auf einem Vulkan stehe, der jeden Augenblick bersten konnte. Ich hatte ja nicht gewußt, oder hatte mir vielmehr kurze Zeit selbst nicht eingestehen wollen, daß alles nur ein Traum sei; aber jetzt, – guter Himmel! Tief in Schulden, ohne einen Heller Geld, eines holden Mädchens Lebensglück an mein Schicksal geknüpft und dabei nichts vor mir als die Aussicht auf einen Gehalt, die sich vielleicht – ach nein, gewiß – nie verwirklichen sollte. O, ich bin verloren, rettungslos verloren!
»Henry, was bei deinem Einkommen jeden Tag nur so nebenbei abfällt, würde –«
»Ach, mein tägliches Einkommen! Da steht ein heißer Punsch, damit vertreibe dir die trüben Gedanken. Prosit! Oder nein, warte, du bist hungrig; komm, setze dich und –«
»Nein, keinen Bissen; ich bringe nichts mehr hinunter; ich kann schon ein Paar Tage lang nichts mehr essen. Aber trinken will ich mit dir, bis ich nicht mehr stehen kann. Komm!«
»Da tue ich mit, solang' du willst! Also, frisch dran! Nun, Lloyd, laß jetzt deine Geschichte vom Stapel, während ich den Punsch braue.«
»Meine Geschichte? Wie? Noch einmal?«
»Noch einmal? Wie meinst du das?«
»Nun, ich meine, ob du die Geschichte zum zweitenmal von vorne anhören willst.«
»Ob ich sie zum zweitenmal von vorne anhören will! Na, das ist wirklich ein toller Spaß. Halt, trinke nichts mehr, du kannst nichts mehr brauchen.«
»Na, schau 'mal, Henry, du machst mir Angst. Habe ich dir denn nicht auf dem Weg hierher die ganze Geschichte erzählt?«
»Du?«
»Ja, ich.«
»Ich lasse mich hängen, wenn ich ein Wort davon gehört habe.«
»Henry, das ist über den Spaß. Du beunruhigst mich. Was hast du dort bei dem Gesandten zu dir genommen?«
Nun ging mir mit einem Male ein wunderbares Licht auf, ich faßte mir ein Herz und gestand ihm frei und offen: »Das herzigste Mädel auf der Welt habe ich dort – erobert!«
In ungestümer Freude stürzte er nun auf mich los und wir schüttelten uns die Hände, bis sie uns wehe taten. Darüber, daß ich von seiner Erzählung, die unseren ganzen anderthalb Stunden dauernden Heimweg ausfüllte, nicht das geringste vernommen hatte, sagte er kein Wort. Vielmehr setzte er sich ruhig hin und erzählte mit all der Gutmütigkeit und Geduld, die ihm stets eigen waren, die ganze Geschichte noch einmal von vorne.
Kurz zusammengefaßt lief dieselbe darauf hinaus: Er war im Auftrag der Besitzer der Gould- und Curry-Extension-Gruben nach London gekommen, um die Anteile zu veräußern, und es sollte dabei alles, was er über eine Million Dollars erlösen würde, ihm verbleiben. In der Hoffnung, dabei ein vortreffliches Geschäft zu machen, hatte er sich keine Mühe verdrießen, kein ehrliches Mittel unversucht gelassen und fast seinen letzten eigenen Heller daran gesetzt, ohne daß es ihm jedoch gelungen wäre, einen einzigen Kapitalisten zum Anbeißen zu bewegen, und mit dem Ende des Monats lief seine Berechtigung ab. Mit einem Worte: er war zugrunde gerichtet. Am Schlusse sprang er auf und rief:
»Henry, du kannst mich retten! Du allein auf dem ganzen Erdenrund! Wirst du mich retten? Oder wirst du mich nicht retten?«
»Sage mir nur, wie ich das machen soll. Erkläre dich, mein Junge.« »Nimm mir mein Verkaufsrecht ab und zahle mir dafür eine Million und die Heimreise, Bitte, bitte, sage nicht nein!«
Es war wirklich nicht mehr auszuhalten. Eben stand ich auf dem Punkte, mit dem Bekenntnis herauszuplatzen: »Lloyd, ich bin ja selbst ein Bettler – ohne einen Pfennig Geld und stecke dazu noch in Schulden.« Aber da leuchtete plötzlich ein herrlicher Gedanke blitzähnlich in meinem Kopfe auf. Ich biß die Zahne zusammen und bezwang mich, bis ich so kalt war wie ein Großkapitalist. Dann sagte ich mit vollkommen geschäftsmäßiger Ruhe: »Ich will dich retten, Lloyd.«
»Dann bin ich schon gerettet; Gott segne dich ewig dafür! Wenn ich je –«
»Laß mich ausreden, Lloyd. Ich will dich retten, aber nicht so, wie du meinst. Denn nach all den Mühen und Opfern, die du es dich hast kosten lassen, wäre das nicht anständig an dir gehandelt. Ich brauche keine Minenanteile; an einem Weltplatz wie London kann ich mein Geld auch ohne dies umtreiben, es ist ja bis jetzt auch gegangen. Nein, wir machen die Sache folgendermaßen. Ich kenne ja natürlich dieses Bergwerk ganz genau; ich weiß, welch ein ungeheurer Wert darin steckt und kann dies auf Verlangen jedem eidlich bekräftigen. Du sollst im Lauf der nächsten vierzehn Tage für bare drei Millionen Anteilscheine verkaufen, indem du von meinem Namen unbeschränkten Gebrauch machst, und dann teilen wir den Gewinn – halb und halb.«
Lloyd geriet darüber so außer sich vor Freude, daß er wie toll herumtanzte und mir meine ganze Einrichtung kurz und klein geschlagen haben würde, hätte ich ihm nicht schließlich ein Bein gestellt und ihn an Händen und Füßen gebunden. Noch, wie er so dalag, rief er ganz beseligt aus: »Ich darf deinen Namen gebrauchen! deinen Namen – stelle dir nur vor, Mensch; in Scharen kommen sie ja ganz sicher gelaufen, diese reichen Londoner und prügeln sich um die Anteile! Ich bin ein gemachter Mann, geborgen für alle Zeit, in meinem ganzen Leben vergesse ich dir das nicht!«
Keine vierundzwanzig Stunden dauerte es, so war die Sache bereits in ganz London herumgekommen. Ich hatte Tag für Tag nichts zu tun, als zu Hause zu sitzen und