Marie Brennan

Lady Trents Erbe: Aus der Finsternis zum Licht


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mir bewusst werden, dass der Schreiber eine gewisse Eigenart hatte, die ich übersehen habe, weil ich die Sache stückweise angegangen bin, oder etwas anderes derart Närrisches. Aber bisher bereue ich es sicherlich nicht! Bei den meisten Texten reicht das Kopieren und Transkribieren, um einen guten Eindruck davon zu vermitteln, was da steht, und nur Teile fühlen sich hier und dort an, als würde man Kopf voraus gegen eine Ziegelmauer rennen. Dieser hier ist ein langes Stück Ziegelmauer, das von gerade genug leicht zu Lesendem durchzogen ist, um einen zu falschem Optimismus zu verleiten. Wenn ich nicht übersetzen würde, während ich daran arbeite, müsste ich Ewigkeiten warten, um herauszufinden, was da steht! Ich bin nicht aus Stein. (Obwohl ich annehme, dass die Anevrai sagen würden, dass ich das doch bin, weil ich ein Mensch bin und so. Vorausgesetzt, āmu bedeutet wirklich »Mensch«.)

      Jetzt habe ich den Faden verloren. Lord Gleinleigh – richtig. Wir essen heute gemeinsam zu Mittag (Cora speist immer noch nicht mit mir). Ich habe vor, dann zu fragen. Ich bin ein wenig besorgt, dass er glauben wird, ich breche mein Versprechen zur Geheimhaltung, aber ich werde kein Wörtchen verraten, selbst an Kudshayn, außer Gleinleigh erlaubt es mir.

      Ich bin jedoch fest entschlossen, ganz sicherzustellen, dass er mir die Erlaubnis gibt. Denn nach dem, was ich bisher von dem Text gesehen habe, ist er nicht einfach Geschichtsschreibung. Er ist eine heilige Geschichte. Und es ist einfach nicht richtig, dass ein Mensch wie ich der Erste ist, der ihn liest.

       Später

      Ich habe Tage damit verbracht, mir Möglichkeiten auszumalen, wie dieses Gespräch wohl laufen könnte, und keine davon sah annähernd so aus wie das, was tatsächlich passiert ist.

      Es hat angefangen, wie ich erwartet hatte, weil er natürlich gefragt hat, wie die Übersetzung vorangeht. Ich bin schamlos: Ich habe vorgegeben, dass meine ungeordnete Herangehensweise eigentlich zu seinem Wohl diente. »Ich weiß, dass Sie sehr begierig sein müssen zu erfahren, was da steht«, erklärte ich ihm, »und so habe ich laufend übersetzt, statt zuerst alles zu kopieren und zu transkribieren. Gerade gestern bin ich mit der ersten Tafel fertiggeworden – obwohl es kaum so geschliffen ist, wie der endgültige Entwurf sein wird.«

      Lord Gleinleigh blickte kaum von seinem Teller auf. Er sagte bloß: »Ausgezeichnet. Es freut mich, das zu hören.«

      Dieser Mann! Ich fragte: »Wollen Sie nicht wissen, was da steht?«

      Genau das frustriert mich am meisten an ihm. Er ist in größter Eile, sicherzustellen, dass diese Tafeln übersetzt werden, aber ich schwöre, er schert sich keinen Heller darum, worum es auf ihnen geht. Er will nur als der Mann berühmt werden, der sie gefunden hat. Ich kann das einfach nicht verstehen. Sie sind Klumpen aus gebranntem Ton, Himmel noch mal! Sie haben von sich allein aus überhaupt keinen Wert. Ich könnte hingehen und meine eigenen machen, wenn ich wollte, wie damals, als ich neun war und Mama und ich auf dieser Insel in der Bucht von Trayarupti gestrandet waren. Ihr einziger Wert ist das, was sie uns erzählen können. Und dennoch ist das der Teil, der ihn am wenigsten interessiert.

      Also ist mein Tonfall vielleicht etwas scharf geraten. Ausreichend, dass Lord Gleinleigh sein Messer und seine Gabel weglegte und sagte: »Ja, natürlich. Ich werde es heute Abend lesen, wenn Sie wollen. Aber geben Sie mir jetzt einen generellen Eindruck.«

      »Es ist eine Schöpfungsgeschichte«, sagte ich beflissen. (Vielleicht habe ich meinen Enthusiasmus ein wenig über sein natürliches Maß hinaus gesteigert, in der Hoffnung, ihn auch enthusiastisch zu machen – aber größtenteils war dieser aufrichtig.) »Aber nicht die, die die modernen Drakoneer erzählen! Natürlich ist das nur zu erwarten. Immerhin sind Jahrtausende vergangen, ganz zu schweigen von sehr vielen Veränderungen in ihrer Gesellschaft. Man würde nicht erwarten, dass Leute, die in Dörfern im eisigen Gebirge leben, dieselben Geschichten erzählen wie die Herrscher eines weltumspannenden Reichs. Aber es gibt einige faszinierende Ähnlichkeiten. Sind Sie damit vertraut, wie die modernen Drakoneer denken, dass sie erschaffen wurden?«

      Er wandte sich wieder seinem Rindfleisch zu, gab mir aber einen Wink, dass ich fortfahren sollte. Ich hatte mich für mein Thema erwärmt und sagte: »Laut ihrer Geschichte machte die Hitze der Sonne den Wind, der Wind wurde zu vier drakoneischen Schwestern, und die Schuppen, die sie abwarfen, wurden zu Bergen. Und ich vermute, die Berge schufen die Schwerkraft oder so etwas – sie erzählen es nicht so, aber das Gewicht der Berge zerrte die Schwestern auf die Erde herunter, was für mich wie Schwerkraft klingt.

      Die Schwestern waren tieftraurig, weil sie nicht länger fliegen konnten, sondern nur ein wenig gleiten. Sie weinten, und das schuf die Gewässer der Welt, all die Flüsse und Seen und so weiter. Dann badeten sie sich, und dies schuf neue Kreaturen. Weil männliche Drakoneer mit Schrift und Sprache assoziiert werden, sagen sie, dass das Wasser, mit dem sich die Schwestern den Mund reinigten, den ersten Bruder schuf. Dann wurden aus dem Wasser, das sie benutzten, um ihre Vorderseite zu waschen, die ersten Menschen – die Vorderseite eines Drakoneers ist menschenähnlicher –, und das Wasser, das sie benutzten, um ihren Rücken und ihre Schwingen zu waschen, schuf die ersten Drachen.«

      »Und das ist nicht die Geschichte auf meinen Tafeln.«

      Ich spannte mich an, als ich hörte, wie er sie »meine Tafeln« nannte. Mal abgesehen von meinen eigenen besitzergreifenden Gefühlen ihnen gegenüber: Sie sind ein Schatz für die ganze Welt, nicht nur für einen Grafen. Aber ich zwang mich zu lächeln. »Nein, die Geschichte auf den Tafeln bringt die Schöpfung in eine andere Reihenfolge. Aber sie spricht von einer Dreifaltigkeit – drei Göttern, obwohl sie nicht das Wort ›Gott‹ nutzt; ich könnte mir vorstellen, dass man das in der Antike nicht betonen musste –, die die moderne Geschichte ein wenig widerspiegeln, weil es klingt, als seien sie die Sonne, der Wind und die Erde. Die Reihenfolge der Schöpfung ist allerdings anders. Sie schaffen die Welt, dann Drachen, dann Menschen, und schließlich Drakoneer, statt dass die Drakoneer zuerst kommen.« Ich habe ihm nicht erzählt, dass die Tafel sowohl Drachen als auch Menschen zu gescheiterten Prototypen auf dem Weg, die besten Wesen zu schaffen, erklärt. Das hätte ihm gegen den Strich gehen können, gerade wenn ich wollte, dass er gute Laune hatte. Und es ist ja nicht so, als wären unsere eigenen Heiligen Schriften in einigen Dingen sehr schmeichelhaft.

      »Faszinierend«, sagte Lord Gleinleigh. »Lassen Sie es in mein Studierzimmer bringen, und wie gesagt, ich werde es heute Abend lesen.«

      Bis zu diesem Punkt lief alles genau so, wie ich es vorausgesehen hatte. Mein Plan war, dann einen Blick voll künstlicher Enttäuschung aufzusetzen und ihm zu erklären, dass es mir sehr leidtäte, dass ich ihm noch nicht mehr erzählen konnte, dass Cora sehr hilfreich, aber mit den feineren Details drakoneischer Orthografie und Poesie nicht vertraut sei, und dass die Arbeit so viel schneller gehen würde, wenn ich jemanden hätte, mit dem ich darüber rätseln könnte …

      Dann sagte Lord Gleinleigh: »Wissen Sie, Miss Camherst, mir ist aufgefallen, dass ich in meinem Drang zur Geheimhaltung etwas sehr Wichtiges übersehen habe.«

      Ich sage dir, Tagebuch, ich wäre beinahe an meinem Rindfleisch erstickt. Nachdem ich es in den richtigen Hals hinunterbekommen hatte, sagte ich, völlig ungekünstelt: »Ach?«

      Er erläuterte: »Wir sind uns einig, dass es am besten wäre, die Übersetzung vor dem drakoneischen Kongress in Falchester nächstes Jahr zu veröffentlichen. Und mir scheint es, dass es eine sehr große Beleidigung der Drakoneer wäre, wenn sie am Prozess, um dieses Epos zu übersetzen, überhaupt nicht beteiligt wären. Ihre Familie ist für ihre Freundschaften unter diesen bekannt. Gibt es einen Gelehrten, den Sie mir empfehlen würden? Natürlich nicht, um Sie zu ersetzen – Ihre Arbeit ist bisher sehr zufriedenstellend. Aber Sie haben schon zuvor gesagt, dass es manchmal nötig ist, einen außenstehenden Gelehrten zu konsultieren, also vielleicht jemanden, mit dem Sie gemeinsam arbeiten könnten.«

      Mir fehlten gänzlich die Worte. Ich habe so viele Abende mit dem Versuch verbracht, den besten Weg zu planen, um ihn um das hier zu bitten, aber nicht eines von diesen Szenarien schloss ein, dass Lord Gleinleigh es mir vorschlägt. Ich stotterte einen Moment, völlig aus der Bahn geworfen, bis er die Stirn runzelte und sagte: »Außer Ihnen gefällt dieser Gedanke nicht.«

      »Er gefällt mir sehr!«, rief