»Wohin gehen wir?«
Iratio Hondro grinste. »Lass dich überraschen!«
3.
Perry Rhodan
Die Space-Disk, gesteuert von Thomas Rhodan da Zoltral, setzte direkt neben einem verspielten Springbrunnen im Palastgarten hinter der Residenz von Anson Argyris auf. Für den Anflug hatten sie eine Ausnahmegenehmigung erhalten, denn der Luftraum über Trade City wurde strengstens überwacht und war eigentlich gesperrt, um Behinderungen des Container- und Raumschiffsverkehrs von Zeus Port und im Bereich des planetaren Situationstransmitters auszuschließen.
Eine Ehreneskorte gab es bei diesem Besuch nicht, obwohl es nach Perry Rhodans Empfinden einer seiner denkwürdigsten Besuche auf Olymp war. Zum ersten Mal, seitdem er und Thora Rhodan da Zoltral wussten, dass sich hinter der imposanten Gestalt von Anson Argyris ihre lange verschollene Tochter Nathalie verbarg, würde die komplette Familie in Nathalies Wahlheimat versammelt sein.
»Ich bin gespannt, was sie uns zu sagen hat«, äußerte Farouq Rhodan da Zoltral, während sie die Space-Disk verließen.
Thora kniff die Lippen zusammen. Sie war ganz und gar nicht mit dem Versteckspiel einverstanden, das Nathalie Rhodan da Zoltral veranstaltete, und sie war noch immer sauer auf ihre beiden Söhne, die das Ganze so lange mitgetragen und ihre Eltern angelogen hatten. Verdenken konnte Rhodan es ihr nicht.
Er griff nach der Hand seiner Frau und drückte sie leicht – eine Geste der Beruhigung und Verbundenheit. Auch für ihn war es nach wie vor seltsam, auf die Gestalt zuzugehen, die sie an der breiten, geschwungenen Freitreppe erwartete. Es war nicht das erste Mal, dass der »Kaiser von Olymp« sie an dieser Stelle zu einer persönlichen Audienz willkommen hieß. Aber es war das erste Mal, dass Rhodan dem Mann mit dem langen, teils geflochtenen Haar und dem in zwei Zöpfe geknüpften Bart gegenüberstand und wusste, dass er eigentlich seine Tochter vor sich hatte.
Ungewöhnlich war, dass der Kaiser allein auf sie wartete – keine Diener, keine Soldaten, nicht mal Jerome Fascal, der engste Berater des Kaisers, war mit seinem »Mäuseschwarm« aus Robotern zu sehen. Der Grund hierfür wurde Rhodan gleich darauf klar, denn Nathalie ließ ihre Spiegelfeldtarnung fallen und eilte auf ihre Eltern zu.
»Mom, Dad – ich bin froh, dass ihr da seid!«, rief sie und umarmte zuerst Thora, dann ihren Vater.
»Ignoriere uns ruhig, Schwesterlein, das sind wir ja gewohnt«, spöttelte Tom.
»Vielleicht sollten wir demnächst eine Flasche Scotch oder zumindest Pralinen mitbringen, damit sie uns auch etwas Beachtung schenkt«, setzte Farouq hinzu.
»Ihr habt mir noch nie irgendwas mitgebracht, außer Flöhen vielleicht.« Nathalie boxte Farouq in die Seite, umarmte ihre Brüder dann ebenfalls.
Es war ein ungewohnter Anblick. Rhodan wäre es lieber gewesen, wenn er Nathalie in der unverfälschten Ursprungsgestalt seiner Tochter gesehen hätte. Er vermisste seine Prinzessin, die mit ihren weißen Arkonidenhaaren ihrer Mutter so sehr ähnelte. Doch Nathalie nutzte für ihre »Verwandlung« in Anson Argyris nicht nur holografische Spiegelfelder, sondern auch eine aufwändige Biomaske – es dauerte eine Weile, solche Pseudo-Variablen Kokonmasken an- und abzulegen.
»Wir haben uns nach deiner Nachricht sofort auf den Weg ins Castorsystem gemacht.« Rhodan musterte Nathalie besorgt. War sie blasser als früher? Es war schwierig, sie durch die Maskerade hindurch einzuschätzen. Es war viel zu lange her, dass er sie in ihrer Mädchengestalt gesehen hatte. Das letzte Mal war es im Gadenhimmel gewesen, und dort war sie ihm ungewöhnlich mager vorgekommen. »Was ist los?«
»Das erkläre ich euch im Palast in Ruhe – ich wollte euch nur erst richtig begrüßen. Im Audienzraum werde ich wieder als der Kaiser auftreten; ihr werdet noch erfahren, warum.«
Sie ging zwischen ihren Eltern die Treppe hinauf. Rhodan akzeptierte ihre geheimnisvolle Art kommentarlos. Nathalie hatte sicher ihre Gründe – wahrscheinlich waren im Audienzsaal Berater oder andere Leute anwesend, die die geheime Identität des Kaisers nicht kannten. Es gab nur eine Handvoll Leute, die darüber Bescheid wussten.
Vieles am Verhalten seiner Tochter blieb für Rhodan ein Rätsel. Ob das damit zusammenhing, dass sie eine »Dyade« war, wie sie selbst sagte – eine evolutionäre Weiterentwicklung des Menschen –, konnte er nicht mit Sicherheit sagen. Jedenfalls war sie nicht lediglich seine Tochter. Sie hatte in den vergangenen Jahren als Anson Argyris ein enormes diplomatisches, wirtschaftliches und politisches Geschick bewiesen. Offiziell war Argyris der gewählte Obmann der Kolonie Olymp; der Kult, der um seine Person als »Kaiser« betrieben wurde, ging auf seine Beliebtheit unter den Siedlern zurück, was ebenfalls einige Rückschlüsse zuließ. Das alles führte dazu, dass Rhodan seiner Tochter rückhaltlos vertraute und ihre Entscheidungen akzeptierte.
Während sie die Palasthallen durchquerten, die mit ihrer bunten Mischung aus arkonidischen, ferronischen, klassischen und modernen terranischen Elementen in Rhodans Augen auch nach zahlreichen Besuchen gewöhnungsbedürftig blieben, feixten Tom und Farouq in typisch brüderlicher Manier mit Nathalie. Thora hielt sich zurück. Wie Rhodan war sie wegen des Anlasses ihrer Audienz unruhig.
Rhodan überlegte, was Nathalie zu dem Hilferuf veranlasst haben mochte. Argyris hatte Olymp fest im Griff; innerhalb weniger Jahrzehnte war im Castorsystem eine florierende Handelswelt entstanden. Der Kaiser hatte noch nie die Unterstützung der Terranischen Union in Anspruch nehmen müssen. Und streng genommen hatte Nathalie auch dieses Mal nicht die TU, sondern ihre Familie um Hilfe gebeten.
Sie betraten einen großen Raum, der im irdischen Barockstil eingerichtet war. Rhodan kannte ihn von früheren Besuchen und wusste, dass sich hinter der altmodischen Optik hochmoderne Kommunikations- und Präsentationstechnik verbarg, gut getarnt in vermeintlich antikem Mobiliar. Eine Überraschung indes war der Besucher, der auf einem verschnörkelten Holzstuhl saß und sich bei ihrem Eintreten höflich erhob.
»Proht Meyhet!«, rief Rhodan. Den nach Trinar Molats Tod in den Rang von Faktor II aufgestiegenen Meister der Insel aus Andromeda an diesem Ort zu sehen, hätte er nicht erwartet.
»Ich habe einen unerwarteten Gast zu uns gebeten.« Die dunkle Stimme von Argyris klang entschuldigend, doch Rhodan ahnte, dass es Nathalie trotz der geheimnisvollen Umstände ein diebisches Vergnügen bereitet haben musste, ihre Familie mit Meyhet zu konfrontieren. Nathalie hatte die Dramatik schon immer geliebt – ihre Rolle als Anson Argyris unterstrich das.
Thora, Thomas und Farouq waren erkennbar ebenso erstaunt wie Perry Rhodan, Meyhet zu sehen. Schon seit Jahrzehnten waren sie dem Meister der Insel nicht mehr persönlich begegnet.
Meyhet nickte in die Runde. »Es ist schön, Sie alle bei guter Gesundheit anzutreffen. Ich habe gehört, dass Sie Probleme hatten, Mister Rhodan.«
»Diese Probleme haben sich zum Glück wortwörtlich in Luft aufgelöst«, sagte Rhodan. »Mein defekter Zellaktivator ist verschwunden, bei einer Behandlung im Milchstraßenzentrum; meine relative Unsterblichkeit ist mir trotzdem geblieben, ebenso wie meiner Frau. Eine Erklärung kann ich ihnen dafür allerdings nicht liefern. Sind Sie deswegen hier?«
Meyhet wirkte irritiert. »Wie kommen Sie darauf?«
»Nun, die Vermutung lag nahe. Schließlich sind Mirona Thetin und Atlan da Gonozal kürzlich auch aus Andromeda in die Milchstraße gekommen, weil es Probleme mit ihren Zellaktivatoren gab.«
»Keine Probleme, die nicht zu lösen waren.«
Warum habe ich das Gefühl, dass er meiner Frage ausweicht? Diplomatisch wechselte Rhodan das Thema. »Sie besuchen die Basis auf Olymp?«
Rhodan wusste ebenso gut wie Thora, dass es in Trade City eine geheime Niederlassung der Meister der Insel gab. Beim Aufbau der Kolonie auf Olymp hatte die Situationstransmitterstrecke ins Solsystem nur mit Hilfe aus Andromeda eingerichtet werden können. Deshalb war eine größere Gruppe thetisischer Techniker sowie Experten der Paddler und einiger anderer Völker aus Andromeda im Castorsystem tätig geworden und hatte den terranischen Ingenieuren kräftig unter die Arme gegriffen.
Nach