„Nochmal die Szene“, sagte er, „Herr Heinsigk, so war’s schon besser. Nur mehr aus sich herausgehen! Mehr Feuer, mein Lieber, inneres Feuer!“
Michael versuchte, inneres Feuer zu zeigen. Er wusste ganz genau, wie er seine Rolle spielen musste. Er sah sie vor sich, er hörte sie.
Wie ausserhalb von sich sah er einen Michael Heinsigk stehen, der alles so gestalten konnte, wie er es selbst fühlte. Aber zwischen dieser Phantasiegestalt und seinem wirklichen Ich stand die grosse Hemmung. Immer wieder, wenn er seine innerliche Empfindung vor den fremden Menschen zeigen wollte, war es wie eine innere Fesselung, eine Scham. Das, was er fühlte, vor tausenden Menschen zu enthüllen, war es, was ihn nie weiterkommen liess. Hätte er eine Kunst gehabt, auf der nicht die Augen von Tausenden lagen, das wäre etwas anderes gewesen. Aber wie gross diese Hemmung war, hatte er nicht gewusst, als er in den Beruf hineinging. Anstatt sich zu lockern, schien er sich mit der Zeit immer mehr in sich zu verkapseln. Und deswegen würde er nie etwas erreichen. Schuwaroff zum Beispiel, man brauchte den nur anzusehen, der Mann explodierte förmlich, wenn er auf die Szene kam. Es war oft schon beinahe grandiose Schamlosigkeit, wie er in seinem Spiel alle Triebe enthüllte, aber bewundernswert. Und doch um alles in der Welt hätte Michael nicht dastehen mögen, wo Schuwaroff stand, selbst wenn er dadurch der grosse Star geworden wäre. Es war eben etwas Verpfuschtes in seinem Beruf. Hätte er nur etwas anderes gekonnt, gewusst, aber wenn er ihn aufgab, dann war er noch mehr der Mann seiner Frau.
Wie oft hatte Stella es ihm schon gesagt, wenn er eine förmliche Angst vor dem Sich-zur-Schau-Stellen überkam.
„Lass es doch, Michael. Löse den Vertrag, du musst doch nicht. Ich verdiene doch genug.“
Da hatte er sie gequält gebeten, nicht weiter zu sprechen. Dieses bisschen Verdienst, dies bisschen selbständige Stellung, mochte sie auch weit unter ihr sein, gab ihm ein wenig Selbstbewusstsein. Da hatte sie nicht weiter gedrängt. Sie hatte ihn wohlverstanden.
Aber auch dieses schweigende Verstehen in seiner verzweifelten, zerrissenen Stimmung war eine Last. Auch Güte konnte Last sein. Alles empfing er von ihr. Sein ganzes Leben war überstrahlt von ihrem Glanz. Auch äusserlich. Er gönnte ihr alles, alles. Kein Mensch konnte ihren Ruhm leidenschaftlicher wünschen als er. Aber er war hellsichtig genug, zu wissen: Die Stellung, die sie zueinander hatten, war falsch. Die Zeiten waren vorbei, wo der Mann hoch oben stand als Gebieter, Herrscher, Entscheidung über das Leben der Frau brachte. Und es war gut, dass sie vorbei waren. Von jeher war er ein leidenschaftlicher Verfechter der Frauenrechte und Frauenentwicklung gewesen. Aber so, wie es zwischen ihm und Stella war, war es unheilvoll. Neben einander mussten Mann und Frau stehen, nicht die Frau hoch oben und der Mann tief unten. All ihre Liebe konnte ihn darüber nicht hinwegtäuschen. Er war der Mann der berühmten Schauspielerin Stella Hollmers. Ohne sie war er ein Nichts. Ohne sie hätte er nicht einmal diese Stellung hier. Das war es, was ihn lähmte, immer mehr, statt ihn vorwärts zu bringen. Als er Stella noch nicht gekannt, hatte er die Hemmung gegen die Entblössung seiner Gefühle auf der Szene überwinden können. Seitdem er sie liebte, wurde ihm das aber immer schwerer und schwerer.
Er litt in seinem Stolze als Mann und im Stolze für sie. Er wusste, wie man ihr beider Verhältnis beurteilte. Und sie selbst, Stella, war Weib genug, war so ganz Weib. Mochte sie nicht oft im stillen wünschen, einen gleichwertigen Menschen neben sich zu sehen? So konnte sich die Natur einer Frau nicht verleugnen, dass sie nicht wünschte, auf den geliebten Mann stolz zu sein. Wenn sie auch jetzt die Augen davor verschloss. Einmal würde der Tag kommen, da dieses Urgefühl des Weibes durch alle Liebe hindurchbrechen würde. An diesem Tage würde er verloren sein.
Schuwaroff hatte in den Ensembleszenen nichts zu tun. Hinterher aber wurde noch ein Stück des Films mit ihm gedreht. So beschloss er, in der Kantine sich zu erholen. Er hatte erst gehofft, mit Stella Hollmers noch ein Weilchen plaudern zu können. Aber sie war ja so betont schnell in ihrer Garderobe verschwunden, dass er genau gemerkt hatte, sie wollte nicht. Immer stellte sie ihre ganze Beziehung nur auf die gemeinsame Arbeit, war freundlich, liebenswürdig — aber nicht um einen Grad mehr als es die gemeinsamen Arbeitsinteressen erlaubten. Der Frau in ihr kam er auch nicht um einen Schritt näher. Und gerade das reizte den verwöhnten Frauenliebling. Er war gewöhnt, dass die Frauen ihm beim ersten Blick entgegenkamen. Dass sie seine Gunst suchten — dass der Mann und der grosse Star gleicherweise anziehend für sie waren. Vielleicht taten es manche auch aus Berechnung, wie die kleine Madelen — aber das machte nichts. Der Film war das Kampffeld des Ruhms, auf dem erbittert um jeden Zoll Boden gerungen wurde. Schuwaroff wusste selbst genau genug, dass Protektion und Beziehungen hier oft mehr bedeuten konnten als Talent. Und so nahm er es niemandem übel, der Gefühle mit Geschäften verquickte. Gerade darum reizte ihn wohl Stella Hollmers Verhalten besonders. Sie hatte niemals die geringsten Konzessionen gemacht — und sie war trotz dessen auf die Höhe gekommen, auf der sie jetzt stand. Er musste sich zugeben, sie war das Vollkommenste, was er je gesehen. Ihre Schönheit war ebenso makellos wie ihre Kunst. Gerade das machte sie ja so begehrenswert. Die erste Frau, die sein Werben nicht verstand — oder nicht verstehen wollte. Und warum eigentlich? Doch nicht etwa wegen dieser Null, dieses Michael! Es war schon unbegreiflich genug, dass sie ihn überhaupt geheiratet hatte. Aber lieben konnte sie ihn doch unmöglich heute noch! Damals war es vielleicht eine Laune, damals war sie ja auch noch nicht so berühmt. Aber jetzt? Was konnte ihr ein unbedeutender kleiner Filmschauspieler sein? Das Ganze war unbegreiflich und beinahe ein wenig lächerlich. Mit spöttischem Lächeln sah er der Szene zu, in der Michael jetzt spielte. Wie schwunglos das alles war, ohne die grosse Linie, die man auch in die kleinste Rolle hineinbringen konnte. Schuwaroff war einer jener Schauspieler, die mit einer beinahe nachtwandlerischen Sicherheit die Linie für eine jede darzustellende Figur fanden. Die Schauspielkunst war bei ihm etwas so Naturgegebenes, dass er kaum nachdenken brauchte, wie er diese und jene Rolle zu gestalten hatte. Das gab seiner Darstellung das Fortreissende und Wahrhaftige. Diesem naturgewachsenen Talent verdankte er seinen Ruhm. Darum aber begriff er ganz einfach nicht, wie jemand ein schlechter Schauspieler sein konnte. Er verachtete schlechte Schauspielkunst geradezu. Entweder man hatte den göttlichen Funken, oder man hatte ihn nicht, pflegte er zu sagen. Michael Heinsigk hatte ihn nicht. Wäre er nicht der Mann der Hollmers gewesen, keine Filmgesellschaft von Rang hätte ihn beschäftigt. Und ein Mann, der nur durch eine Frau gemanagt worden, sollte die Liebe dieser Frau auf die Dauer bewahren? Das war nach seiner Ansicht unmöglich.
Er zuckte hochmütig die Achseln und sagte leise zu Madelen, die neben ihm stand:
„Schauderhaft, so etwas. Man bekommt direkt Magenschmerzen.“
„Wollen wir lieber frühstücken gehen, Boris?“
Schuwaroff nickte. Er hatte die kleine blonde Madelen ganz gerne. Sie hatte sowas wie von einem hübschen kleinen Angorakätzchen, sicher, wenn man sie streicheln würde, würde sie schnurren. Wenn die Hollmers ihn abfallen liess, nun warum sollte er nicht inzwischen einen kleinen Flirt mit der kleinen Madelen haben.
„Also kommen Sie“, er fasste sie vertraulich unter den Arm und ging mit ihr der Kantine zu. Madelen war innerlich glücklich. Dass man sie so vertraut mit Boris Schuwaroff hereinkommen sehen würde, schmeichelte ihrer Eitelkeit. Schuwaroff zum Freunde zu haben, bedeutete viel für eine Schauspielerin, die noch um den Platz an der Sonne kämpfte. Und sie wollte diesen Platz erobern, sie wollte eine Filmdiva werden, so gross wie diese hochmütige Hollmers. Vielleicht konnte Schuwaroff ihr dazu verhelfen. Schliesslich würde er es doch satt bekommen, Stella Hollmers nachzulaufen. Sie kannte seine Eitelkeit. Hoffnungslose Bemühungen um eine Frau, das konnte er schon um seiner Selbstgeltung willen sich nicht lange gestatten.
Im Vorübergehen warf Madelen durch eine offenstehende Tür schnell einen Blick in den Spiegel eines Schminkzimmers. Nun, sie brauchte sich vor der Hollmers wirklich nicht zu verstecken. Sie hatte ebenso schönes, leuchtendes Haar — ihre Augen waren zwar nicht goldbraun wie die der Hollmers, sondern blau — aber strahlend und von jener lichten Kindlichkeit, wie sie jetzt so beliebt war. Ihre zierliche, schlanke Gestalt reckte sich wohlgefällig — und nun traf sie im Spiegel Schuwaroffs Gesicht —
„Na, kleine Madelen, Sie finden sich gewiss sehr hübsch?“ fragte er leise und mit einem zärtlichen Unterton.
„Aber Sie finden mich