Hans Leip

Max und Anny


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      Hans Leip

      Max und Anny

      Romantischer Bericht

      vom Aufstieg zweier Sterne

      Saga

      Max und Anny

      © 1935 Hans Leip

      Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

      All rights reserved

      ISBN: 9788711467503

      1. Ebook-Auflage, 2017

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

      Lütt Mackie

      An einem hübschen klaren Frosttage stand ein Knirps von drei Jahren zu Hamburg auf der Lombardsbrücke. Seine schwarzen Strupphaare wehten im Wind, er war ohne Mütze, er war ohne Mantel, es machte ihm nichts. Bald hielt er sich mit seinen kleinen rotgefrorenen Fäusten bäuchlings oben auf der dicken Steinbrüstung, bald versuchte er, seinen Kopf zwischen die vasenförmigen Balustradenpfeiler zu zwängen. Seine schwarzen Augen starrten gebannt auf einen Schlittschuhläufer, der auf freigefegter Fläche von einem dunklen Ring Zuschauer umgeben, seine Kunststücke zeigte.

      Beifall klatschte und verwehte dünn in der grauen Dämmerung. Unermüdlich zog der Kunstläufer seine Schleifen, vorwärts, rückwärts, tanzte einen Walzer, sprang, legte sich tief ins Knie, wirbelte wie ein Kreisel. Es dunkelte schon. Noch immer hing der schwarzhaarige Knirps über dem Brückengeländer. Es fror ihn nicht, er war entzückt.

      „Mehr, mehr!“ schrie er mit heller Stimme.

      Aber der Mann schien ihn nicht zu hören und ging daran, die Schlittschuhe abzuschnallen. Schon verzogen sich die Zuschauer.

      Dem Knirps auf der Brücke passte es nicht. Er versuchte über die Brüstung zu klettern. Ein bärtiger gütiger Herr kam vorbei und hielt ihn zurück vom Sturz in die Tiefe.

      „Wie heisst du, mein Kind?“ fragte er besorgt.

      „Mackie Schmeling!“ antwortete ungnädig der Knirps.

      „Und wo wohnst du?“

      „Weiss ich nicht!“

      Da war guter Rat teuer. Menschen versammelten sich um das Kleinformat des verlorenen Sohnes. Er zeigte sich gefasst. Es machte ihm augenscheinlich Spass, Mittelpunkt zu sein, wie etwa ein Eiskünstler. Er hielt den Fragern stand wie später den Reportern, und seine später oft bewundernswerte Geschicklichkeit, zwischen Sportneigung und Zuhause den rechten Weg zu finden, erwies sich früh, als er mit einem lässigen Aufleuchten in seinem kleinen prallen Jungensgesicht schliesslich erwähnte:

      „Meine Bomboms krieg ich immer inne Brennerstrasse.“

      Durch den Krämer und Bonbonlieferanten dort, wohin man mit ihm gelangte, ergab sich die nähere Anschrift.

      Es war übrigens derselbe Krämer, bei dem ein paar Jahre früher auch Hans Albers, der nicht weit entfernt in der Langenreihe gross wurde, ab und an genascht hatte, und auch der Verfasser dieser Zeilen, der den grössten Teil seiner Jugend im Stadtteil St. Georg wohnte (z. B. auch in der Langenreihe), kannte ihn gut.

      Mackies Vater, weiland Bootsmann bei der Hamburg-Amerika Linie, hatte den Nachmittag schon verzweifelt mehrere Polizeiwachen abgesucht. Er schloss das wiedergewonnene Kind dankbar in die Arme.

      „Wo bist du gewesen?“ fragte er streng.

      „Ich hab zugekuckt!“ antwortete Mackie. „Da war irgend so’n Mann ...“

      Der Vater sollte noch erleben, dass auch sein kleiner Max einmal „irgend so’n Mann ...“ sein würde, bei dem es sich lohnte, zuzugucken.

      Am gleichen Abend, auf der anderen Seite der Erde, in Australien, gewann der Neger Jack Johnson die Boxweltmeisterschaft, in dem er den weissen Titelhalter, Tommy Burns, in der 14. Runde k. o. schlug.

      Um diese Zeit gab es in Hamburg auf dem Steindamm ein „Kinematographen-Theater“, das, wie damals üblich, durch das Hineinstellen von Stuhlreihen und eines mit Pappornamenten verzierten leinwandbespannten Teppichklopfrahmens aus einem Gastwirtschaftslokal hervorgegangen war. Die Musik zu den „Lebenden Bildern“ wurde von einem Orchestrion bestritten, und es lief derzeit unter rasselnder und klingelnder Begleitung Verdischer Melodien einer der ersten Starfilme, dessen Held auch Max hiess, jener kleine schmachtäugige behende Franzose Linder, der sich in den kurzen Szenen, die angestrengte Attacken auf das Zwerchfell des Publikums machten, „Max mit’m Schwung“ nannte.

      Bootsmann Schmeling sah es sich an und lachte in seinen breiten Schnauzbart über die Witze, die uns heute keine mehr dünken, und er hielt die Leinwand, mit der gesegelt wird, für wichtiger.

      Aber die Leinwand, mit der gesegelt wird, war damals schon zum Aussterben verurteilt. Was an Jachtsegeln übrig blieb, hielt sich besser an Baumwolle. Die Leinwände jedoch, die vor die dunklen Säle gespannt waren und nach Gutdünken mit den Zuschauerhirnen davonsegelten, die wuchsen heran und vermehrten sich ins Ungeahnte.

      Klein Ānny

      Es war ein munterer Sommertag zu Pola an der Adria. Der österreichische Kriegshafen prangte in Flaggengala. Englische Kreuzer lagen zu Besuch auf der Reede. Es war ein paar Jahre vor dem Kriege. Klein Annys Vater, Verpflegungsoffizier der k. u. k. Armee, trug Paradeuniform und hatte zu tun, die Bankette der Verbrüderung mit dem Nötigen zu versorgen. Das glutäugige kroatische Kindermädchen Minka fuhr Klein Anny mit dem zarten federnden Kinderwägelchen spazieren. Es war nicht lange vor jener Zeit, da Mackie zu Hamburg seine eifersüchtig geliebte kleine Schwester im Kinderwagen spazierenfuhr. Doch zu Pola auf der Hafenpromenade gab es mehr Augenweide als im Eilbecker Park.

      Eine Menge netter Jungen der britischen Marine flanierte dort, und Tag für Tag gab es Platzkonzerte. Klein Anny staunte unter dem Spitzenmützchen hervor, und Vatis Bursche, ein vorbildlicher Steiermärker, begleitete den Spaziergang, teils weil er Zeit hatte und teils weil er zwischen den vielen fremden Blicken und dem feurigen Temperament seiner Minka abwegige Anknüpfungsmöglichkeiten ahnte. Sein kühles Gebirgsblut begann unter der heissen Sonne Istriens zu sieden in der Vorstellung, dass die österreichische Gastfreundschaft sich nicht allein in offiziellen Liebesbeteuerungen und Empfängen erschöpfen würde. Ein lustiger irischer Bootsmannsmaat kam des Weges, und strich mit seegrauen Augen bewundernd über Minkas niedliches Galionsantlitz.

      Da ergrimmte das steirische Herz, das den zarten Spaziergang zu schützen gedachte, und der irische Maat fühlte plötzlich eine heftige Pranke in seinem Gesichtsfeld landen, was er natürlich nicht unverzollt hingehen liess. Und da er ein regelrechter Boxer war, welche Kunst in Britannien seit mehr als hundert Jahren volkstümlich ist (auf dem Festlande damals aber noch gänzlich in den Windeln lag), so wäre der Kampf wohl zuungunsten Österreichs entschieden worden, wenn nicht Klein Annys hellzwitscherndes, mörderisches Geschrei den Eingeborenen der grünen Insel ein wenig aus der Fassung und im nächsten Augenblick, dank der Aufmerksamkeit des Steirabuas, aufs Pflaster gebracht hätte.

      Vielleicht ist es dieser, aus Annys Bewusstsein längst fortgewischte Vorfall gewesen, der sie später davon abhielt, je an Boxkämpfen Vergnügen zu finden. Obschon sie, als sie eben sprechen konnte und zufällig an Pola erinnert wurde, ihrer Minka geraten haben soll, den starken Mann zu heiraten.

      Die Kriegsläufte kamen dazwischen, und es ist nicht mehr festzustellen, ob der Rat befolgt wurde oder ob das Schicksal derzeit nur, wie es oft tut, sich eine kleine Andeutung hatte leisten wollen für Späteres.

      Mackie verdient Geld

      Die Familie Schmeling zog nach Rothenburgsort, dorthin,