Hans Leip

Max und Anny


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wie sie gekonnt haben: Mackie. Er war froh, endlich einmal ein so teures Stück unter die Knöchel zu kriegen; denn in seinem Sportverein gab es dergleichen noch nicht, sondern im Anfang wurde das einzige Paar Handschuhe, das vorhanden war, jedesmal unter die beiden Kämpfer dem Los nach verteilt, und da, wie die Sage geht, Mackie meistens den Rechten zog, wurde seine Rechte frühzeitiger geschult und früher hart als die Linke. Und weil für Nachkuren das teure Kalbfleisch nicht in Frage kam, lernte er früh, sich trefflich vor allzu unzarter Berührung der gegnerischen Pfoten zu wahren und im übrigen, sozusagen durch „Selbstbesprechung“, seinem Schädel anzugewöhnen, harten Schlägen die Wirkung einfach nicht zu gönnen, sondern sich zu einer stählernen Maske auszubilden. Es ergab sich, dass Max körperlich und geistig ungewöhnliche „Konzentrationskraft“ besass. Er war geradezu vorbildlich für den Boxsport begabt. Wohin das führen würde, ahnte noch niemand, und auch er selber noch nicht.

      Es wird ernst mit dem Theater

      Es war mitten in jenem reissenden Währungsabsturz, der alles, was auf dem europäischen Festlande am Kriege beteiligt gewesen war, unbarmherzig erfasste. Anny war zwischen dreizehn und vierzehn, und das Leben in der jungen Tschechoslowakei liess sich bunt und laut und zukunftsreich an. Der Begriff Geld, der die Ohren des hübschen Backfisches zum ersten Male märchenlos berührte, erging sich in ungeheuerlichen, Tag für Tag wachsenden Zahlen. Aber die Gegenwerte, die den Bedarf des Lebens an Nahrung, Kleidung und Krimskrams ausmachen, wurden immer dürftiger.

      Annys Eltern hatten ein kleines Vermögen in der österreichischen Kriegsanleihe verloren; die Inflation bot ihnen keine Möglichkeit, es neu zu erwerben. Darum waren sie schliesslich froh, als Anny schon vor dem Verlassen der Schule — gleich ihrem späteren Gatten — etwas zum Unterhalt des Hauses beitragen konnte. Klein Anny hatte nämlich auf der erwähnten Planschwiese noch eine andere Bekanntschaft gemacht. Das lustige Geschöpf war nämlich ganz zufällig dem Spielleiter des Svanda-Theaters aufgefallen, gerade als sie einige Schritte, die ihre Ballettfreundin wunderschön vorgemacht hatte, in einer ungewöhnlich drolligen Anmut nachtanzte. Der Herr fragte nach dem Namen des netten Mädchens, indem er nicht die Gefahr scheute, dabei eine kleine Dusche an Planschspritzern abzubekommen. Er setzte sich mit den Eltern in Verbindung und erhielt die Erlaubnis, dem hübschen Kinde den ersten dramatischen Unterricht zu geben. Bald trat die kleine Anny Ondra schon in Kinderrollen auf und verdiente somit ihre ersten, wenn auch bescheidenen Honorare. Anny, von früh auf ausserordentlich gewandt, konnte damals schon schwimmen, radfahren, eislaufen und reiten. So lernte Lamač sie kennen. Karel Lamač (sprich Lamatsch), von Haus aus Pharmazeut, hatte schon während des Feldzuges sich mit der Kamera beschäftigt und Wochenschau-Aufnahmen im Kampfgelände gedreht. Die Prager „Exzelsior“-Filmgesellschaft, eine Gründung gleich nach dem Kriege, verpflichtete ihn als technischen Leiter. Bald spielte er selber, und im Laufe weniger Jahre stellte er zu Prag und Wien in rund siebzig Filmen die Hauptrollen dar, hatte auch schon manchmal Regie geführt, als er Anny entdeckte. Ein rechter Schauspieler, ein begabter Spielleiter, Verehrer amerikanischer Groteskfilme, ein lebhafter Bohemien von Natur (auch der Geburt nach in der tatsächlichen Bedeutung des Wortes), ein unerschöpflicher Witzbold, ein leidenschaftlicher Liebhaber und Gestalter komischer Einfälle und auch von technischer Erfindungsgabe, erkannte er Anny Ondras ungewöhnliches Filmtalent und war von bestimmendem Einfluss auf ihr Können und ihre Laufbahn.

      Er war einer der ersten, die sich in der Tschechoslowakei an den Film getrauten, der eben erst aus der Ebene der Artisten und Schaubuden zu einer ernsthafteren Beachtung durch die Öffentlichkeit gedieh und sich zu künstlerisch ehrgeizigeren Zielen aufzuschwingen begann. Es gehörte damals Mut dazu, und man setzte seinen Ruf aufs Spiel. Anny aber betrat furchtlos und vertrauensvoll mit ihrem Entdecker den noch unsicheren Weg. Beide haben es nicht zu bereuen gehabt. Sie sind einander künstlerisch treu geblieben, und man kann wohl sagen, dass innerhalb der Grenzen, die der grotesken Wirkung in aller Welt nun einmal gesetzt sind, Lamač für die Ondra eine durchweg glückliche Hand bewiesen hat.

      Anny wurde durch ihn die Clara Bow Europas, doch mit dem einen Unterschied, dass sie den Vorteil der Jugend hatte und in allem ein wenig liebreizender blieb als die tolle Amerikanerin und auch, dass im Laufe der Entwicklung jene Innigkeit ihres Spiels möglich wurde, die eben deutsch ist und nicht amerikanisch.

      Mit vierzehn Jahren spielte Anny Ondra ihren ersten Film. Es war ein dreiaktiges Lustspiel und hiess „Gillis Abenteuer“. Eine kostbare Sache war es noch nicht. Die Herstellung durfte nicht viel mehr als das Material kosten. Jeder Meter Film war genau berechnet, und verpatzte Stellen wurden keineswegs zweimal gedreht. Es gab auch noch kein Filmatelier damals in Prag, alle Szenen spielten auf der Strasse oder in einem Park. Lamač benutzte für seine Aufnahmen vorzugsweise den Hof seines eigenen Hauses, ab und an auch einen grossen verlassenen Garten an der Moldau.

      Der Kameramann hiess Heller, und das Kleeblatt Lamač-Ondra-Heller ist bis auf den heutigen Tag kameradschaftlich beieinander geblieben.

      Damals die ersten Filme wurden in einer alten Badewanne entwickelt. Trotzdem waren die Bilder nicht schlecht, und zumindest die drei Hersteller waren ausserordentlich begeistert. Doch auch den Zuschauern in den paar düsteren Prager Kintöppen schien das Erzeugnis, und zumal die lustige und liebreizende Anny ebensogut zu gefallen oder gar noch besser als alle auswärtige „Produktion“, deren Spitzenleistungen damals aus dem Norden kamen und herrlich waren von dem tragisch so unvergleichlichen Spiel der Asta Nielsen.

      Ein Typ wie Anny Ondra war das gerade Gegenteil von der dunkeln Leidenschaft und Schwermut einer Asta Nielsen. Die Welt lebt von Gegensätzen, und somit durfte Anny, eben 15 Jahre, in dem nächsten Lamač-Film die Hauptrolle spielen.

      Es war ein vielsagender Titel: „Mädchen, die sich nicht verkaufen“. Ihr war es gleich, wenn sie nur spielen durfte. Sie war der rechte Kobold, den Lamač brauchte, zierlich, schlank, von übermütiger Behendigkeit, blondwuschelig, mit einem süssen Kindergesicht, mit einem runden Mund und noch runderen hellen Augen, die unglaublich erstaunt und unschuldsvoll in die Welt zu blicken vermochten, indes die zarte Gestalt sich in den damals eben eingeführten amerikanischen Tänzen in unglaublichen akrobatischen Kapriolen erging.

      Die Kostüme zu diesem Film wurden zu Hause genäht. Es muss gesagt werden, dass die kleine Diva eine geschickte Hand hatte, man sah es schon an ihren frühen Zeichenkünsten. Ja, sie hatte sogar hausfrauliche Neigungen und scheute sich nicht, ihre Strümpfe selber zu stopfen und ihre Knöpfe selber anzunähen, oft auch ihre Kleider selber herzustellen. In diesem Falle zog sie bei dem Umfange der Arbeit alle ihre Schulfreundinnen zur Hilfe heran, und alle durften dafür mitspielen.

      Es wurde ein grosser Erfolg. Die Prager zeigten sich rührend dankbar, dass die junge tschechische Nation ihre eigene Filmindustrie begonnen hatte und Land und Leute und Blut und Boden nationaler Gattung zu Themen wählte.

      Sehr viele Filme entstanden damals, die meisten wurden in vier bis sieben Tagen gedreht.

      Gleich im ersten Jahr ihrer „Filmtätigkeit“ bekam Anny eine Einladung der Filmgesellschaft Sascha nach Wien. Sie sollte dort vorspielen; ihre Mama begleitete sie, aber es wurde nichts als eine Enttäuschung. Wie gross und frech war die Welt zu Wien! Nein, da konnte sich ein kleines Mädchen nicht wohlfühlen.

      Anny war froh, wieder in Prag zu landen, wo inzwischen nun doch ein Filmatelier entstanden war. Zwar war es nichts weiter als die alte hölzerne Scheune einer Brauerei, wo früher Hopfen getrocknet wurde, zwar wurden vorerst nur alte Theaterkulissen dafür zurecht gemacht, und mit der Beleuchtung haperte es anfangs auch. Es war ein Unternehmen, das das Missfallen einer jeden Feuerpolizei erregt hätte. Dennoch wurden hier Hunderte von Filmen gedreht, und noch 1931 wurde dort gefilmt (wenn auch nicht mehr mit Anny), ohne dass je etwas passiert wäre.

      Max geht auf Wanderschaft

      Wie gesagt, Büroarbeiten waren nichts für Max. Er musste mehr frische Luft um sich haben, und seine Arme sehnen sich nach anderen Lasten, als es Federhalter, Briefmarken, Bestellzettel und Kontobücher ihm sein konnten. Er wurde Arbeiter in einem Hamburger Rohrbogenwerk. Dort wurden riesige Eisenplatten mit Gasbrennern zu Rohrstücken gewölbt. Das behagte Max eine Weile ganz gut, bis er sich eines Tages die Hand so übel verbrannte, dass er die weitere Neigung zu dieser Art Beschäftigung verlor. Es