Bo Balderson

Das Werk des Staatsministers


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      Ich musste dort wie ein Idiot gestanden und geglotzt haben.

      »Was schauen Sie denn so erstaunt?« lachte sie. »Sie haben mich bestimmt schon in Filmen gesehen, die sind jetzt alt genug fürs Fernsehen.«

      Einer Frau Komplimente über vergangene Schönheit zu machen ist wie Blumen auf eine Bahre zu legen. Hier war es angeraten, sich an das Jetzt und die Zukunft zu halten.

      »Aber warum spielen Sie nicht mehr? Sie sind jetzt noch schöner als in Ihren Filmen!« rief ich aus, errötete und dachte verwirrt, mein Gott, was fasele ich da nur, und Gott sei Dank habe ich den Mantel und mein schulmeisterliches Äußeres, sonst hätte sie mich vermutlich für den Wüstling der Insel oder für einen vom Winde verwehten, alternden gigolo emeritus gehalten.

      »Danke … danke vielmals! Aber das stimmt wirklich nicht!«

      »Doch, Kerstin, es stimmt. Herr Persson hat ganz Recht.«

      Herr Burlin hatte den Arm um seine Frau gelegt und sah sie zärtlich an.

      »Ich setze besser die Sonnenbrille auf, damit Sie so lange wie möglich Ihre Illusionen bewahren können«, lachte Frau Burlin und durchwühlte ihre Handtasche.

      Nur drei Stühle standen an der Hauswand, so dass der Staatsminister mit dem Blaubeergebüsch vorlieb nahm.

      »Kerstin, wir können auch gleich die große Neuigkeit verraten, oder?«

      Schnell, wie um einem erwarteten Protest zuvorzukommen, fuhr Herr Burlin fort: »Meine Frau wird wieder anfangen zu spielen!«

      »Aber Birger, wir wollten doch …«

      »Meine Liebe, gibt es eine bessere Gelegenheit, als es an einem schönen Sommertag unter Freunden und Bewunderern zu erzählen? Alles ist geregelt und entschieden, und das Theater kann damit jederzeit an die Öffentlichkeit gehen.«

      Herr Burlin lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Das blaue Jackett saß an den Schultern perfekt, die weißen Haarkämme bewegten sich eine disziplinierte Idee im Wind, und er sah sehr zufrieden und sehr, sehr stolz aus.

      Kerstin Burlin lächelte und schüttelte den Kopf wie eine Mutter über ihren ungehorsamen Jungen.

      »Ja, zu Neujahr ist es soweit, in ›Zwei schlagen den Dritten‹ von Lope de Vega. Aber bedenkt man all die Arbeit und all die Nervosität, die dem vorangeht, dann fragt man sich, worauf man sich da eingelassen hat! Und die Zeitungen werden bestimmt Gemeinheiten verbreiten und die Zuschauerränge bleiben halbleer …«

      Während sie sich ereiferte, markierte sie die Worte mit kurzem, bestimmtem Kopfnicken, genau wie die junge Frau im Film es getan hatte. Und dieser entzückende Ansatz zur Stupsnase und diese Stirn und dieser großzügige Mund! Aber am Hals sah ich die Jahre, die Haut war dort gealtert und faltig …

      Sie bemerkte meinen Blick nicht, aber mit einer Bewegung, die fast gewohnheitsmäßig wirkte, schob sie das Halstuch weiter hoch.

      »Aber natürlich ist es auch lustig und ermunternd! Mein letzter Bühnenauftritt liegt schließlich schon zehn Jahre zurück. Oder zumindest, dass ich eine richtige Rolle spielte, ich habe aber einige Lesungen gemacht. Und das Angebot war wirklich großzügig. Manchmal glaube ich wirklich, der Steuererleichterungen für berufstätige Ehepartner wegen schickt Birger mich zum Geldverdienen …«

      Die Herrschaften Burlin erfuhren, ich hätte Schwedisch unterrichtet, und es entspann sich ein lockeres, aber interessantes Gespräch über Lope de Vega und seine Menschen und Milieus. Dem Staatsminister, dessen Unwissen in literarischen Dingen beträchtlich ist, blieb nichts anderes übrig, als stumm daneben zu sitzen und Beeren von den Büschen zu zupfen. Als wir uns erhoben, uns gegenseitig für das Plauderstündchen dankten und über die Wiese unter den Bäumen entlang gegangen waren, fiel mir auf, dass ich an Wind- und Sonnenverhältnisse bei der Hütte keinen einzigen Gedanken verschwendet hatte.

      5

      »Du hast noch mehr Gäste?« erkundigte ich mich und war in geselliger und aufgekratzter Stimmung, in die man kommen kann, wenn man nette Leute kennengelernt hat.

      »Ja, wir haben da noch Bürovorsteher Andersson …«

      Er klang zögerlich wie ein Krämer, der sich erkühnte, dem Stammkunden einen zweifelhaften Grünschimmelkäse anzubieten.

      Bürovorsteher Andersson klang wirklich etwas abgestanden nach Kerstin Burlin-Nilsson. Aber niemand sollte blind ein Urteil fällen, und ich begehrte Auskunft.

      »Er ist Västermarks rechte Hand in der Polizeibehörde. Ich kenne ihn gar nicht. Aber Västermark hatte ihn schon zu sich eingeladen und dachte bestimmt, er könne ihn hier wohl sich selbst überlassen, als er herfuhr.«

      Eine Schwingung im Tonfall deutete an, dass der Staatsminister in dieser Frage anderer Ansicht war. Denn in seinem Alltag wimmelt es schließlich von Bürovorstehern und dergleichen Menschen, die mit Unterlagen unter dem Arm auftauchen, Maßnahmen empfehlen, Entscheidungen verlangen und im Großen und Ganzen anstrengend sind.

      Er meinte zu wissen, dass Bürovorsteher Andersson beim Erdkeller saß und las, doch ein vorbeiflitzendes Kind – dass Kinder nie gehen können wie andere Menschen auch! – piepste auf der Flucht: »Ein Mann wirft beim Holzschuppen Pfeile!«, und weil wir unseren Kurs änderten und einem ausgetretenen Pfad und langsam, aber sicher auch dem Geräusch nachgingen, das Pfeile verursachen, wenn sie in Holz eindringen, kamen wir ans Ziel.

      Die Zielscheibe hing an einer fensterlosen Wand, und Andersson stand fünf Meter davon entfernt und schleuderte seine Waffen. An der Kraft war nichts auszusetzen, die Trefferquote aber war sehenswert, und wäre der Schuppen einen Meter kürzer gewesen, wären fünf der zehn Pfeile im Gelände verschwunden, das stellte ich schnell und zufrieden fest. (Ich selbst habe das Pfeilewerfen aufgegeben. Die Kinder wollten es mir eines Sommers beibringen und meine Trefferquote war nicht schlecht, darunter ein Volltreffer ins Schwarze. Aber dann flog ein Pfeil schräg am Ziel vorbei und traf einen Nistkasten, eine Drossel kam heraus und betrachtete mich vorwurfsvoll. Die Kinder schrien, ich hätte das Brüten gestört, und sie hätten den Nistkasten im Werkunterricht gezimmert, und es herrschte allgemeine und große Empörung. »Superungeschickt!« lautete, sofern ich mich entsinne, eines der gefällten Urteile.)

      Herr Andersson war ein Mann in fortgeschrittenen mittleren Jahren, mit einem dieser leicht flaschenförmigen Körper, wie man sie in unseren Breitengraden des Sommers so häufig sieht, wenn die Jacketts abgelegt werden. Der Gürtel spannte sich um breite Hüften, und die Hosenträger stiegen mit hoffnungsvoller Lust und Fantasie die Schultern hinan, wo sie sich wie Bergsteiger an ihre Felsenhänge klammerten. Das Gesicht war massig und breit, Tränensäcke unter den Augen und ein Unterkiefer, der sich zu einem veritablen Unterbiss hervorschob. Es widerstrebt einem, das zu sagen, aber Herr Andersson erinnerte tatsächlich an einen Hund, an einen Boxer.

      »Nicht rausbiegen! Rausziehen!« rief der Staatsminister, und Andersson zuckte zusammen und sagte »Wie bitte?«, und der Staatsminister erklärte, wenn man die Pfeile aus der Wand biege, würden sie krumm und unbrauchbar, und Herr Andersson entgegnete, es tue ihm leid, aber daran habe er nicht gedacht.

      Das Jackett wurde angezogen, baute auf und schaffte bedeutenden Ausgleich, wie es die Aufgabe eines Jacketts ist. Aber das Rot des Schlipses kontrastierte mit dem blassen, arbeitsgrauen Gesicht, das dem sommerfrischen Staatsminister Gewissensbisse hätte bereiten müssen.

      Wir nahmen auf einer bankähnlichen Vorrichtung Platz, die sich zwischen zwei Baumstämmen zu einem Halbkreis bog. Die Hitze war drückend, und ich legte Hut und Mantel ab und schickte ein herumstreunendes Kind damit zum Haus.

      »Sie sehen blass aus«, sagte der Staatsminister aufmunternd. »Gibt es in der Polizeibehörde keinen Urlaub?«

      Herr Andersson fasste sich an den schweren, vorgeschobenen Unterkiefer wie zur Bestätigung, dass er noch vorhanden war.

      »Ich gehöre nicht zu den Leuten, die gern den ganzen Tag auf einer Klippe in der Sonne liegen und sich braten lassen.« Die Stimme war schriller, als bei dem Gesicht zu erwarten war. »Und