aber erfüllte mit Entsetzen das Land, dass ein furchtbarer Streit sich erhoben habe zwischen dem alten Herrn und seiner jungen Frau, dass er sie verfolgte, als sie vor dem Rasenden floh, dass sie durch den Fluss nach der Insel schwamm, dass er ihr auch dahin folgte und die Unglückliche, die sich in das Gnadenkirchlein geflüchtet hatte, vor dem Bilde Mariens, „der Zuflucht der Sünder“, erschlug.
Der alte Heyburg trank und lachte darauf drei Tage und drei Nächte lang und war voll wilder Freude; dann kamen die Diener des Gerichts und holten ihn ins Gefängnis. Er wurde aber bald freigelassen, ledig gesprochen aller Sühne. Aber er lachte, nicht, als er auf die sonnige Strasse trat. Er beichtete einem Mönch seine Sünden, doch sein Auge wurde nicht mehr froh. Durch die Welt irrte er und dort, wo sie am schönsten und friedlichsten war, weinte er oder träumte. Vor jedem Christusbild, das am Wege stand, erschrak er; jedes junge Weib, das er sah, war ihm ein qualvoller Anblick, und jedes Kinderlachen erweckte ein brennendes Heimweh in ihm.
Von allen diesen Gefühlen war das Heimweh nach dem Kinde das stärkste. Aller innere Kampf dagegen nutzte nichts; weit in der Ferne winkten zwei kleine, unschuldige Hände, winkten Tag und Nacht durch laute Lust und tiefe Einsamkeit, und eines Tages war der alte Heyburg daheim. Er rief den Knaben und sah ihm lange prüfend ins Gesicht; es war aber, als ob er ins Antlitz der Sphinx schaue: er sah nur die Züge seiner Frau. Ein paarmal war er kurz und barsch zu dem Kleinen, sonst war er gut zu ihm, und bei seinem Tode sagte er: „Mein Sohn, Gott segne dich!“
Nach dem Testament des alten Heyburg kam der Knabe zu den Mönchen auf dem Ostufer des Flusses zur Erziehung; das Gut, dessen Herrenschloss von marodierenden Kroaten niedergebrannt worden, war an profitlustige Händler verkauft worden, die es parzellierten.
Als das Kind zehn Jahre alt war, zog es mit den Klosterbrüdern in die Verbannung. Politische Machthaber hatten das Klostergut auf der Ostseite des Flusses „säkularisiert“, sich also noch sehr viel weniger um Kaufbriefe und derartige Formalitäten geschert wie ehedem die Höffingen und Heyburger.
Schöner und besser war es durch die neue Zeit am Flussufer nicht geworden: hüben kleine, kümmerliche Ackerbauern, die das erworbene Feld den Unternehmern viel zu teuer bezahlt hatten und nun ein jämmerliches Leben führten, um die Zinsen aufzubringen; drüben ein Reichsfürst, der das Klostergut um ein Lumpengeld „gekauft“ hatte und sich im übrigen das ganze Jahr in der „öden Gegend“ nicht sehen liess, so dass das zu einem Herrensitz gewandelte prachtvolle Kloster eigentlich nur noch von Lakaien bewohnt war. Vor dem alten Portal, vor dem ein Kunsthistoriker oder Architekt in Träume versinken konnte, pendelte nun zeitweilig ein Portier in einer hanswurstigen Livree einher; im alten Refektorium spielten alberne Bediente alberne Kartenspiele, und in einen Palma vecchio stiess ein Stubenmädel mit dem Kehrbesen ein Loch, worauf sämtliche „Schlossinsassen“ das beruhigende Urteil abgaben, um solch altes Gerümpel sei es nicht schade.
Ein heftiger Streit entspann sich um die Insel. Der durchlauchtigste Reichsfürst, der das Klostergut unter so günstigen Umständen gekauft hatte, besass einen pfiffigen Justitiarius, der nichts anderes zu tun hatte, als tagaus, tagein die „verbrieften Rechte seines hohen Herrn“ wahrzunehmen. Und als solches Recht erachtete dieser es auch, dass die „Insel“ nicht den Juden drüben gehöre, die — pfui Teufel! — „ein Gut schlachteten“, sondern dem allergnädigsten Herrn eigne, der das Klostergut gekauft hatte. Die Insel, meinte der Herr Doktor, sei ursprünglich und nachweislich Besitztum der Mönche gewesen, die ihr Besitzrecht formell niemals aufgegeben hätten, wie aus ihren Protesten, den verschiedenen Bannsprüchen usw. genugsam hervorgehe. „Res clamat ad dominum.“
Der Ausgang des Prozesses war der, dass der Reichsfürst mit seiner Klage abgewiesen, die Insel also den Händlern zugesprochen wurde.
Aber auch die Händler hatten mit der Insel, die ihnen nun gehörte, kein Glück. Das Eiland war verrufen. Entheiligt war die Kapelle, in der Blutschuld geschah, verloren war der Zauber des Liebesbrunnens, aus dem Graf Heyburg und seine Frau am Hochzeitstage Treue getrunken und der seine Kraft so schlecht bewährt hatte. Die Frauen mieden die Insel, die Hütejungen sträubten sich, ihre Herden hinüberzubringen, die Fischer hielten sich fern von ihrer Küste. Ach, das Volk war so furchtsam und so abergläubisch, dass nicht einmal die billigste Graspachtung sie verlocken konnte, auf verrufenem Gebiet ihr Leben zu riskieren. Die Händler zogen in die Ferne, anderen Grosstaten entgegen, und das Eiland lag verödet.
Nach einigen Jahren hiess es, allerhand lichtscheues Volk habe sich auf der Insel angesiedelt. Niemand kümmerte sich darum, nur wurde das Eiland von der Uferbevölkerung jetzt noch strenger gemieden, und die Bauern schraken zusammen, wenn ein Schuss oder ein Hammerschlag von dem bösen Grunde herüberschallte.
So blieb es, bis sich eines Tages die abgearbeiteten Bauersleute auf der Westseite wie die pokulierenden Lakaien auf der Ostseite gleichzeitig erzählten, etwas Grosses habe sich ereignet: ein fremder, finster aussehender Mann sei gekommen und habe von der Insel Besitz ergriffen. Er sei ein Graf und heisse Raimund. In seiner Gesellschaft sei ausser einiger Dienerschaft nur ein zehnjähriges Mädchen gewesen. Eine Reihe von Wagen mit allerhand Möbeln und Gerät war auf der Landstrasse erschienen. Fremdes Arbeitsvolk hatte alle diese Sachen nach der Insel gebracht, die einheimischen Bauern waren nicht eines Dienstes oder Wortes gewürdigt worden. Die fremden Arbeiter waren mit den Wagen wieder verschwunden; im alten, seit langer Zeit leeren Fischerhause am Strande aber war ein Fischer namens Kajetan mit seinem jungen Weibe angesiedelt worden, und der Graf hauste mit seinen Bedienten und dem Kinde auf der Insel.
Das war es, was die Bauern und was die Lakaien wussten. Mehr erfuhren sie nicht. Der neue Herr der Insel schickte keinerlei Botschaft nach dem alten Klosterhaus, und mit den Bauern am anderen Ufer gab sich auch niemand ab. Da übrigens das Kloster eine halbe Stunde stromaufwärts und die Bauernhäuser eine halbe Stunde stromabwärts lagen, alles verborgen hinter hügeligem Waldland, so war die Insel völlig vereinsamt, und es vergingen Tage, ja Wochen, ohne dass ein fremder Blick sie streifte.
Auf der Insel selbst aber mehrte sich dennoch die Bevölkerung. Finstere Gesellen zogen ein, die nie einen ihresgleichen am Uferland ansahen oder grüssten, Handwerker, Bauern und anderes Volk. Es wurde eine ganze Anzahl von Häusern und Gehöften auf der Insel errichtet, alles von fremden Zimmerleuten aus Holz aufgebaut. Die Zimmerleute kamen und verschwanden wieder, ohne dass sie mit der Uferbevölkerung in irgendeine Verbindung getreten wären. Ja, selbst ein Stücklein Vieh wurde bei keinem Bauern gekauft. Dagegen sahen die Stromansassen oft Lastkähne den Fluss herabkommen, Fahrzeuge, auf denen allerhand Haus- und Ackergeräte und auch Kühe, Pferde, Ziegen und Hühnervolk verladen waren. Die Schiffe kamen von weit her, landeten nur an der Insel und verschwanden wieder, wenn sie ihre Ladung abgesetzt hatten.
Dieses geheimnisvolle Treiben beschäftigte die Uferbevölkerung durch viele Jahre. Alte Märchen wachten wieder auf, neue Sagen entstanden, und alle Gerüchte, die um die Herdfeuer summten oder um die Schenktische der Wirtshäuser schwirrten, wurden geglaubt. Viele meinten, der Graf sei einer, der sich dem Teufel verschrieben habe und Spiessgesellen werbe, die in der Welt allerhand böse Gewerbe getrieben hätten und nun auf der Insel eine Zuflucht fänden. Ein Bauer, der nach der Insel zog und dort Aufnahme fand, war in der Stadt, die ein bis zwei Wegstunden unterhalb der Insel lag, von einem Herbergswirt als ein früherer Totschläger erkannt worden.
Christenmenschen konnten es nicht sein. Niemals wieder klang das Glöcklein von der Frauenkapelle herüber übers Wasser. Böse Geister trieben ihr Spiel auf der Insel, und der Rat jener Stadt, die stromabwärts der Insel lag, wurde von der Bevölkerung ermahnt, achtzugeben, dass sich nicht unweit der Stadtmauern ein gefährliches Räuber- und Diebsvolk einniste.
Die Insel blieb verfehmt. Nur der Fischer Kajetan, den der Graf als Fährmann ans Ufer gesetzt hatte, galt nicht als gefährlich. Die Leute sagten nur, dass er sehr hochmütig und sehr faul sei.
Das zweite Kapitel.
Der Fischer Kajetan feierte seinen Namenstag. Deshalb arbeitete er nicht. Wenn er nicht den Namenstag hatte, arbeitete er auch nicht. Es war eine schöne Gleichmässigkeit in seinem Leben.
Falls Kajetan überhaupt einmal etwas tat, tat er es nur zu seiner Unterhaltung. So, wenn er seinem Knecht Befehl gab, wie er die Fischreusen auslegen, oder wie