O’Gill verfolgt den finstersten aller Pläne, und es ist ihm zuzutrauen, dass er den Untergang aller Welten beschleunigt.
Saul Tanner genießt seine verbleibende Lebenszeit im Bündnis mit Alebin.
Roman 11
Merlins Rückkehr
Jana Paradigi
Prolog
Sonntag, 14. April 1715
Flor schritt mit blinder Sicherheit durch den nachtschwarzen Wald. Es war Neumond. Der kleine, fahlweiße Himmelstrabant hatte sich zwischen Sonne und Erde geschoben und zeigte den Menschen seine dunkle Seite.
Die Unwissenden verkrochen sich in solchen Stunden in ihren Häusern. Von der Furcht getrieben, das Böse könnte aus den Schatten steigen und sich ihre Seelen einverleiben. Weil sie Sünder waren. Sie alle. Das zumindest wollte die christliche Kirche ihnen glauben machen. Um die natürliche Wahrheit zu verschleiern. Um die Magie zu unterdrücken, die in jedem einzelnen steckte. Eine Macht, die einem neben der sichtbaren eine viele größere Welt offenbarte. Eine, die dem glaubenden Geist erlaubte, mit dem Universum zu tanzen!
Für Flor war diese Nacht der vollkommenen Dunkelheit ein Moment, um zusammen mit den anderen neue Energie zu tanken. Etwas Großes stand bevor. Und dies war die Stunde, in der es beginnen würde.
Das wuchernde Moos auf den Schiefersteinen dämpfte die Schritte. Flor konnte die feuchte Kühle durch die dünnen Ledersohlen spüren. Nach der langen Winterruhe war die Natur dabei, sich unter einer wärmer werdenden Sonne aufzurichten. Neue Triebe verströmten ihren süßen Duft, als Zeichen, dass sie für die Insekten im Tausch Nektar bereithielten. Selbst der Boden hatte eine intensive erdig-würzige Note.
Falter schwirrten zwischen den mächtigen, alten Stämmen des Waldes auf und ab, hin und her gerissen zwischen der Sehnsucht nach dem Mond und den Verlockungen auf der Erde.
Flor lauschte dem leisen Zirpen, Surren und Brummen. Dem Klappern und Ächzen der Bäume, wenn sie von den Windböen getragen und geschaukelt wurden. Eine Symphonie der Nacht, heilige Musik und sakrale Einstimmung für das anstehende Ritual.
Ohne Zögern, beseelt von göttlichem Urvertrauen, lief Flor weiter durch den Wald, den Pfad entlang bis zum Versammlungsplatz. An dieser Stelle öffnete sich das Gehölz und formte eine kleine Lichtung. Der Quell ewiger Jugend plätscherte leise im Hintergrund. Doch auch hier hüllte der Neumond alles in tiefes mattschwarzes Dunkel.
Flor hielt inne, konzentrierte sich, sandte die Sinne über den engen Schutzradius des Körpers hinaus, um Ausschau nach den anderen zu halten. Allein die Körperwärme verriet sechs weitere Personen, die in einem Halbkreis standen. Sie waren vollzählig.
Auch die Wartenden schienen Flor bemerkt zu haben. Es raschelte, als jemand sich bewegte. Der heranwehende Geruch von Pech und verdicktem Öl drängte den Duft des Waldes zurück. Die Zeremonie nahm ihren Anfang.
Als die vorbereitete Glut auf die Feuerstelle geschüttet wurde, stoben grellweiße Funken auf und ließen die Umrisse der anderen erkennen. Die erste Fackel wurde entzündet und auf dem vorbereiteten Ständer angebracht, gefolgt von zwei weiteren.
Jetzt erst erkannte Flor, dass auf dem Boden die heilige Schutz-Sigille mit einer breiten Spur aus Salz aufgebracht worden war. Ein Kreis als stilisiertes Bildnis des Schlangeneis durchbrochen von zwei parallelen Linien, die für das Zweiersymbol des Mondes standen.
Flor griff nach dem Amulett unter dem Kapuzengewand, um nicht den Mut zu verlieren. Jedes Mitglied besaß solch ein Kleinod mit einer ganz eigenen Sigille, um die persönlichen Fähigkeiten zu verstärken. Ein Geschenk, das man zur Weihe erhielt. Damit wurde der eigene Weg innerhalb der Gildengemeinschaft festgelegt.
Flor hatte sich für jenen entschieden, der Wissen und auch Gefahr mit sich brachte. Ein Weg, der innige Gefolgschaft verlangte. Treue, Gehorsam und Mut. Die Courage, ein Opfer zu bringen, wenn es nötig war und mit dem Leben für die Werte und das Überleben der Gemeinschaft einzustehen. Diese Nacht würde die Erneuerung des Schwurs fordern. Und mehr.
Niemand sprach, als die Mitglieder sich im Kreis aufstellten. Sieben Geweihte für sieben Zacken eines Heptagramms. Mit Hilfe von Erde, Wasser, Feuer, Luft, Energie, Geist und Seele würden sie um göttlichen Beistand bitten und die Ahnen anrufen, sich ihrem Ansinnen anzuschließen. Eine Erneuerung stand bevor. Die kosmische Konvergenz, für die sie auserwählt worden waren. Die Zeit war gekommen. Die Prophezeiung würde sich erfüllen.
Gemeinsam intonierten die sieben Wächterseelen die uralten Worte, während der Mond sein Gesicht verbarg. Als es nach sieben mal sieben Strophen endete, griff Flor nach dem vorbereiteten Beutel, entknotete das Lederband und zog es auseinander.
Ein Mitglied nach dem anderen warf sein Opfer in die Glut. Als Letztes war Flor an der Reihe. Die Kräuter und Pflanzenteile verdampften unter vielfachem Zischen und gaben ihren innewohnenden Geist frei.
Am Ende trat Cormae vor an die Feuerstelle und zückte den Zeremoniendolch. Das Zeichen für die anderen, ebenfalls vorzutreten. Noch immer brannten die Gaben auf der Glut und hoben sich in schlanken Rauchschwaden empor. Das überbordende Geruchsgemenge raubte Flor schier den Atem. Die Welt begann zu schwanken.
Einen Augenblick lang flimmerte die Wirklichkeit. Dann war da Cormaes Hand, die Flor fest am Arm packte und ins Hier und Jetzt zurückholte. Ein Mitglied nach dem anderen ergriff den Dolch, krempelte den Ärmel der Kutte hoch und nährte das Ritual mit Blut.
Erneut stimmte Cormae sakrale Ferse an, Beschwörungsformel und zugleich Gebet. Eine Danksagung für die Gnade, die die Bürde mit sich brachte. Dann war es soweit. Cormae beugte sich vor und flüsterte Flor den zugedachten Auftrag ins Ohr.
1.
Reise nach Rennes
Dublin, Irland
David und Rian saßen in der Abflughalle von Gate 418 am Dublin Airport und warteten auf ihren Flieger nach Rennes. Sie folgten einem Ruf, den sie nicht ignorieren konnten. Ob sie wollten oder nicht.
Nadja war indes immer noch verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt. Alles in David schrie danach, sich unverzüglich auf die Suche nach ihr zu machen. Doch es ging nicht. Noch nicht. Der Dame vom See schlug man keine Bitte ab, egal wie groß oder klein sie sein mochte.
Die Regeln der Anderswelt waren in solchen Dingen unmissverständlich und streng. Obwohl sich Davids stückchenweise gewachsene Seele nach Nadja verzehrte, er sich sorgte und nichts mehr als ihre Unversehrtheit und Nähe herbeiwünschte, war die elfische Seite seines Selbst noch immer an die Sippe der Sidhe Crain gebunden. Ihren Regeln hatte er unbedingt zu gehorchen. Deshalb waren sie auf dem Weg nach Frankreich.
Nimue, Viviane, Herrin vom See, Hüterin der Quelle oder Königin des Wassers, wie sie in den verschiedenen Welten gerne genannt wurde, gehörte zu den Alten und Erhabenen. Eine göttergleiche Fee, so geheimnisvoll und unergründlich, dass selbst die Crain nicht viel über sie wussten. Bis auf jene Geschichten, die sich auch die Menschen in Mythen, Märchen und Liedern erzählten.
Vor langer Zeit hatte Nimue es gewagt, in die Geschicke Britanniens einzugreifen. Als Hüterin des Schwertes Excalibur hatte sie viele der Fäden gezogen, war Mitwisserin und Mitwirkende in jenem Drama gewesen, das König Artus und die Tafelrunde zu einer Legende hatte werden lassen. Unter anderem, weil sie Lancelot in ihrem sagenumwobenen Reich im See aufgezogen hatte.
Seit jenen längst vergangenen Tagen war sie nicht mehr gesehen worden, weder bei den Menschen noch in der Anderswelt. Bis vor kurzem hatte kaum jemand mit Sicherheit sagen können, ob sie überhaupt noch lebte. Bis die Blaue Dame David und Rian die Botschaft ihrer Schwester überbracht hatte.
Dennoch überraschte es David ganz und gar nicht, dass Nimue die Zeit überdauert hatte und weiterhin, wenn auch aus größerer Entfernung, Anteil an den Geschicken der Menschenwelt nahm. Doch warum würde ein so mächtiges Wesen Rian bitten, ihr mit heilkundiger Hand beizustehen? Litt auch sie an dem Verlust der Unsterblichkeit? Oder erhoffte