seine Mannschaft ergattert zu haben, und hatte sie vor Kurzem zum Lieutenant befördert. Sie würde es noch weit bringen, so viel war sicher.
»Das ist leicht zu erklären, Una«, sagte er und sprach sie mit der für ihn typischen Zwanglosigkeit an. »Das Schiff – oder die Schiffe –, die sie hierhergebracht haben, waren vielleicht hier und sind schon wieder weg. Die Föderation hat weiß Gott reichlich abgeschiedene Kolonien und Wissenschaftsstationen, die höchstens alle paar Jahre ein Raumschiff zu Besuch haben. Möglicherweise wurden unsere Neuankömmlinge vor einiger Zeit abgesetzt und sich selbst überlassen.« Er stützte das Kinn auf die Faust. »Was immer noch die Frage aufwirft, wer sie sind und was genau sie auf Libros III machen.«
»Und was sie mit den ursprünglichen Einwohnern des Planeten anstellen«, fügte Lorna Simon grimmig hinzu. »Orbitalscans haben Beweise für umfangreiche Landwirtschaftsprojekte, Waldrodungen und vielleicht sogar einen gewissen Grad biologischen Terraformings ergeben. Ganze Wälder und Dschungel wurden abgeholzt. Flüsse wurden eingedämmt und umgeleitet. Berge wurden im Tagebau ausgebeutet.« Ein Stirnrunzeln vertiefte die wohlverdienten Falten ihres Gesichts. »Man muss sich fragen, wo unsere Neuankömmlinge die Arbeitskräfte für diese ehrgeizigen Unterfangen finden – und ob die einheimischen Librosianer das freiwillig mitmachen.«
April verstand, was sie sagen wollte. »Sie befürchten, dass die Kolonisten die Einheimischen ausbeuten?«
»Das wäre nicht das erste Mal in der Geschichte«, antwortete sie. »So traurig das ist.«
»Und wohl auch nicht das letzte Mal«, gab er zu. April war Optimist, aber gleichzeitig auch Realist. Wenn eine technologisch fortschrittliche Kultur in ein Gebiet Einzug hielt, das von weniger entwickelten Völkern bewohnt war, war der Ausgang für Letztere oft tragisch. »Insbesondere wenn es in dem Gebiet Ressourcen gibt, von denen man profitieren kann.«
»Genau so sehe ich das«, sagte Simon. »Wenn ich mir ansehe, wie rücksichtslos die Neuankömmlinge mit der Umwelt des Planeten umspringen, könnte es sein, dass wir über eine groß angelegte Besetzung des Planeten gestolpert sind, die schon seit zehn Jahren andauert.« Finster betrachtete sie ihre Messergebnisse. »Ich schätze, die Leute in der Zitadelle haben keine eigene Version der Obersten Direktive.«
»Aber wir haben eine«, mahnte April. »Was uns in eine heikle Lage bringt.«
»Sir?« Una warf ihm einen besorgten Blick zu. »Wir können doch sicher nicht einfach dabei zuschauen, wie eine primitive Spezies von außerweltlichen Eindringlingen unterdrückt und vielleicht sogar versklavt wird. Die Librosianer verdienen das Recht zur Selbstbestimmung über ihre eigene Zukunft ohne äußere Einmischung. Genau darum geht es doch in der Obersten Direktive.«
April erinnerte sich, dass die Illyrianer vielleicht noch mehr als andere Kulturen größten Wert auf Freiheit und Selbstbestimmung legten. Als Volk waren sie dafür bekannt, den Tod der Knechtschaft vorzuziehen. Tatsächlich hatte Una einst Suliban-Terroristen damit gedroht, eine komplette Raumstation voller Geiseln in die Luft zu jagen, einschließlich sich selbst.
Oder war das ein Bluff gewesen?
»Ich fürchte, es ist komplizierter als das«, sagte er. »Die Oberste Direktive ist unsere Vorschrift. Sie anderen aufzuzwingen, wie zum Beispiel den mysteriösen Neuankömmlingen dort unten, könnte für sich genommen schon als Verletzung der Obersten Direktive angesehen werden.«
Una musterte ihn skeptisch. »Ist das nicht Haarspalterei, Sir?«
»Ganz und gar nicht«, betonte er. »Nehmen wir an, dass Eroberung oder Kolonisation wesentlicher Bestandteil der Kultur oder Biologie der Neuankömmlinge ist. Zwingen wir ihnen also unsere Überzeugungen auf, wenn wir uns in ihre Bestrebungen auf Libros III einmischen?«
Simon schnaubte. »Eroberung liegt in der Natur der Klingonen. Das heißt nicht, dass wir für sie den roten Teppich ausrollen müssen.«
»Wenn sie sich in unser Gebiet vorwagen und unsere Völker bedrohen, mit Sicherheit nicht«, stimmte April zu. »Aber wir befinden uns momentan weit jenseits der Grenzen der Föderation. Wir haben keine Hoheitsrechte auf Libros III, und nach allem, was wir wissen, könnten die Neuankömmlinge durchaus davon ausgehen, dass sie gemäß ihrer eigenen Regeln und Gebräuche berechtigten Anspruch auf den Planeten haben.«
Die Neuankömmlinge hatten quasi ihre Flagge gehisst. Vielleicht genügte das, soweit es sie betraf?
»Aber was ist mit den Librosianern, Sir?«, beharrte Una. »War das nicht bereits ihr Planet? Und hat man sich nicht bereits in ihre natürliche Entwicklung eingemischt?«
»Tja, genau da drückt der Schuh.« Aprils leutselige Art wurde ernster. »Denken Sie nicht, dass mir Ihre Bedenken gleichgültig sind, Una. Die Geschichte enthält viel zu viele Horrorgeschichten über Eingeborene und Kulturen, die von fremden Eindringlingen unterdrückt und sogar ausgelöscht wurden. Das Letzte, was diese arme Galaxis braucht, ist noch so eine Tragödie. Aber die Oberste Direktive existiert, um uns davon abzuhalten, uns dort, wo wir nicht hingehören, voreilig einzumischen und Gott zu spielen. Wir müssen hier vorsichtig vorgehen, zumindest bis alle Tatsachen bekannt sind.«
Das Problem mit der Obersten Direktive war, hielt er sich vor Augen, dass sie immer noch Auslegungssache war. Vielleicht gäbe es eines Tages, in einigen Generationen, ausreichend Präzedenzfälle, auf die zukünftige Captains der Sternenflotte sich stützen konnten, wenn sie ihre Entscheidungen trafen. Doch in der Gegenwart war die Tinte auf der Direktive kaum getrocknet, was bei der Begegnung mit neuen Welten und Zivilisationen beträchtlichen Spielraum in der Handlungsweise bot. Und vielleicht war das auch gut so. Seiner Erfahrung nach gab es selten ein allgemeingültiges Vorgehen, das auf jede Situation anwendbar war, und eine bestimmte Flexibilität war nicht immer etwas Schlechtes, auch wenn das manchmal harte Entscheidungen bedeutete.
»In dem Fall, Captain«, sagte Una, »werden vielleicht mehr Daten benötigt.«
April nickte. »Sie haben recht, Lieutenant. Eine diskrete Erkundungsmission ist unbedingt erforderlich.«
»Erbitte Erlaubnis, den Landetrupp anführen zu dürfen, Sir«, bat Una.
»Das ist die Entscheidung des Captains, Lieutenant«, tadelte Simon. »Drängeln Sie sich nicht vor.«
»Aber, aber, Lorna«, sagte April, dem Unas Bitte nichts ausmachte. Im Gegensatz zu einigen jüngeren, forscheren Captains fühlte er sich nicht dazu genötigt, jede Außenmission selbst anzuführen. »Wir wollen doch persönliche Initiative nicht abschrecken.« Er musterte den jungen Lieutenant nachdenklich. Una hatte bisher noch keinen Landetrupp angeführt, aber sie war wahrscheinlich für diese Verantwortung bereit. »Sie haben offensichtlich eine klare Meinung zu diesem Thema, Una. Aber seien Sie jetzt ehrlich: Werden Sie in der Lage sein, diese Gefühle unter Kontrolle zu halten?«
Sie hob ihr Kinn. »Ich bin Illyrianerin, Sir. Vulkanier beneiden uns um unsere Selbstkontrolle.«
Es mangelt ihr jedenfalls nicht an Selbstbewusstsein, dachte April und unterdrückte ein Schmunzeln. Andererseits, wenn man sich ihre ausgezeichnete Erfolgsbilanz vor Augen hält, warum sollte es auch?
»Seien Sie vorsichtig, Una,« sagte er sanft. »Es gibt ein menschliches Sprichwort: ›Hochmut kommt vor dem Fall.‹«
»Buch der Sprüche, 16:18«, zitierte sie. »Und ich glaube, das ursprüngliche Zitat lautet: ›Hoffart kommt vor dem Sturz und Hochmut kommt vor dem Fall.‹«
Eins zu null für sie, dachte April. »Also schön, Lieutenant. Stellen Sie einen Landetrupp zusammen und melden Sie sich im Transporterraum. Mein Rat wäre, Lieutenant Commander Martinez mitzunehmen. Er ist für solche Situationen ein guter Mann.«
Raul Martinez war ein intelligenter, fähiger Offizier, der bereits mehrfach erfolgreiche Missionen auf Planeten angeführt hatte. Er hatte bei vielen Gelegenheiten, von denen einige mehr als nur ein bisschen brenzlig gewesen waren, bewiesen, dass er einen klaren Kopf bewahren und sich, wenn nötig, auch bedeckt halten konnte. So wie zum Beispiel bei dieser schrecklichen Angelegenheit auf Sofya V. April hatte Vertrauen in Una, aber es konnte nicht schaden, bei ihrem ersten Kommando über einen