Will Berthold

Die wilden Jahre


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      Will Berthold

      Die wilden Jahre

      SAGA Egmont

      Die wilden Jahre

      Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

      Copyright © 2017 by Will Berthold Nachlass,

      represented by AVA international GmbH, Germany (www.ava-international.de).

      Originally published 1964 by Desch Verlag, Germany.

      All rights reserved

      ISBN: 9788711727157

      1. Ebook-Auflage, 2017

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt og Ringhof und Autors nicht gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com

      Vorspiel

      Er war ein Held der Zeit, ein Abgott der wilden Jahre. Die Frauen wünschten sich einen solchen Mann, die Männer einen solchen Erfolg.

      Die Gesellschaft hielt ihn für einen Emporkömmling, die Börse für einen Spieler, die City für einen Außenseiter; als einen Abenteurer werteten ihn brave Bürger.

      Seine Freunde rühmten ihn als Verschwender, Politiker nannten ihn eine Gefahr, Bankiers eine Pest; die Presse schätzte ihn als Sensation, denn der Mann auf der Straße zählte seine Millionen mit.

      Er hieß Martin Ritt, und Eva wußte, daß diese schillernde, umstrittene Legende – hochgewachsen, kraftvoll, zweiundvierzig Jahre alt – der unmöglichste Mann war, den es für sie geben könnte, und nahm sich vor, es heute abend nicht zu vergessen.

      Eva, von Freunden verehrt, von Männern begehrt, vom Leben verwöhnt, verliebt in das Leben, war in Martin Ritt einem Mann nach Maß begegnet, bei dem die Frauen maßlos wurden: Eintagsfliegen im Leben eines Freibeuters, der Menschen wie Aktien kaufte und Frauen wie Utensilien nahm, Dinge, zum Verbrauch bestimmt.

      Sie kannte Männer, und da Eva sie auch mochte, verstand sie, mit ihnen umzugehen. Viele waren zu ihr gekommen, alle mit Blumen; die meisten hatten sie verführen wollen, die wenigsten waren über ihr Wohnzimmer hinausgelangt.

      Sonst hatte Eva höchstens Eiswürfel vorbereitet; heute fror sie Vorsätze ein: seine Hände nicht zu spüren, bevor er sie berührte; keine Gänsehaut zu bekommen, so er sie anfaßte, und gelassen zu bleiben, wenn seine Verdammte Hand auf ihrer verfluchten Haut zu brennen begänne – um wenigstens einen frigiden Kopf zu behalten, wenn es schon ihren Körper zu ihm hinzog.

      Er war pünktlich, kam mit Blumen wie alle, lachte sie an mit blauen Augen, die fast grau waren, und sah sich um wie der Liebhaber in der Wohnung einer ausgehaltenen Freundin.

      »Hübsch«, sagte Martin Ritt. »Ich sehe schon, Aschenbrödel, wir haben den gleichen Geschmack.«

      »Schlecht für Sie«, erwiderte Eva, »denn das sagen alle.«

      »Kommen viele?« fragte er beiläufig und sah sich weiter um. »Ich bin neugierig, Aschenbrödel, darf ich?« sagte er und öffnete die Küchentür.

      »Falls Sie das Schlafzimmer suchen«, entgegnete sie, »es liegt auf der anderen Seite.«

      »Aber Eva«, antwortete der große Mann mit dem erprobten Charme des kleinen Jungen, »alles zu seiner Zeit.«

      Er ging auf den Balkon, sie folgte ihm. Eva sah hinunter; er musterte sie, zärtlich und wild, frech und zufrieden.

      »Ich bin hungrig«, sagte er.

      Von Anfang an mochte Eva seine Art, leichte Dinge ernst und ernste Dinge leicht zu nehmen. Zuerst fiel ihr auf, daß er nichts von sich erzählte, nichts vom Krieg, nichts vom Geld, nichts von seiner Gesundheit, nichts von Frauen.

      Er war groß und schlank, sein Gesicht straff und kühn. Die harten Kerben der Melancholie an seinen Mundwinkeln lauerten darauf, sich in Spott zu retten. Martin Ritt sammelte Gobelins, haßte Uniformen, mochte Blumen, verstand etwas vom Essen und wählte den Wein bedächtig.

      Langsam schälte er sich aus der Ritt-Legende.

      »Wie lebt es sich im goldenen Turm?« fragte sie.

      »Anstrengend – und einsam«, antwortete Martin lächelnd. »Wissen Sie, Eva, eigentlich verstehe ich nur von zwei Dingen etwas: von Armut und Reichtum.« Er lächelte niederträchtig. »Und so sage ich Ihnen: der Mensch verarmt, wenn er reich wird. Verstehen Sie?«

      »Kein Wort.«

      »Es ist ein Teufelskreis: Gier schafft Besitz, und Besitz macht gierig.«

      »Perpetuum snobile«, erwiderte Eva mit flimmerndem Spott. »Die Philosophie der Satten? Oder die Bescheidenheit der Arroganz? Was sind Sie eigentlich: Ein armer Reicher? Oder ein reicher Armer? Ein abenteuerlicher Philantrop? Ein Haifisch mit Herz? Ein Räuber mit Gewissen? Ein vegetarischer Tiger?«

      »Vielleicht ein ehrlicher Dieb«, gab er melancholisch zurück.

      Eva begriff, daß Martin immer anders war, als man erwartete, und sich doch stets gleich blieb: rechnete man mit seinem Zorn, wurde er sanft; setzte man auf seine Ergriffenheit, kam ein Witz; wurden andere gewöhnlich, war er ein Herr.

      Ein Einzelgänger, wenn es nötig schien, sich in Kolonnen einzureihen; ein Mann, zu arrogant, um zu lügen, ein Mann, dem man verfallen konnte.

      Die Zeit, aus der er gekommen war, hing noch an ihm, und bereits an diesem Abend, der zu einem Anfang wurde, gegen den sich die junge Frau wehrte, witterte sie seine Vergangenheit, diesen Geruch von Blut und Geld, von Gier und Angst, von Haß und Schlamm.

      Martin Ritt hatte die wilden Jahre besiegt, aber sie verfolgten ihn weiter.

      Erster teil

      Drachensaat

      I

      Sie hatten geflucht und gestürmt, getrunken und geträumt, gebetet und getötet, gesungen und gehurt, gehalten und geräumt, und die meisten Soldaten des Bataillons Ritt waren gefallen, bevor sie wußten, wie man ein Mädchen nimmt und eine Frau hält.

      Die Überlebenden hatten Blasen an den Füßen, Schwielen an den Händen, Läuse auf der Haut und Leere im Hirn. Sie erwarteten vom Leben noch ein Stück Brot, eine Gefechtspause, eine Zigarettenkippe, einen Etappenpuff; die Heimat war selbst für ihre Phantasie zu fern geworden.

      Der Alte, wie Martin Ritt, der Kommandeur, genannt wurde, war erst achtundzwanzig, hart, kühl und beliebt, eine Wand, von der alles abprallte. Er wirkte nie schmutzig, und er schien nie müde zu sein. Die Kälte machte ihn nicht frieren, die Hitze nicht schwitzen, und selbst der Mangel ließ ihn nicht hungern – und so dachten die Männer des Bataillons: wenn es schon nötig ist, gegen Ende dieses verdammten Krieges noch verheizt zu werden, dann immer noch besser unter Ritt als einem anderen Scheißoffizier.

      Die Einheit hielt eine vorgeschobene Stellung im Donezbecken bei Stalino; sie hatte noch die Stärke einer Kompanie, deren Männer Wracks und deren Uniformen Lumpen waren, und sollte den Rückzug zweier Divisionen decken, wie es im Befehl hieß: bis zum letzten Mann und bis zur letzten Patrone.

      Die Männer richteten sich zur Verteidigung ein; sie waren bereits tot, nur wußten sie es nicht. Hauptmann Ritt kauerte in einem Loch; er sah ihnen zu. Nach der Übung der Zeit mußte er seine Leute Kameraden nennen; diese Bezeichnung war falsch, denn viele Soldaten waren mehr für ihn, manche weniger.

      Er war froh um jeden, den er dem Heldentod abhandeln konnte, und es wurde sein Schicksal, der glänzende Vertreter eines