Hans Leip

Fähre VII


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majestätisch in die Sphäre der Bildung aufsteigende Stimme hatten ihr Ehrfurcht eingeflößt. Der große Hall des Hafens und dieses winzige verschrobene Museum und sein Besitzer waren ihr der Inbegriff für die weite Welt gewesen, bis die Eindrücke der Schule und, nach der Konfimation, der sachte Ansturm des Lebens das bewegte Hafenbild in die Selbstverständlichkeit eines ewigen Hintergrundes gedrängt hatten, dahinter die eigentliche weite Welt sehnsüchtig und nebelhaft aufglomm, indes Papa Haase zu den Käuzen gelegt ward, für die man zwischen fünfzehn und zwanzig keinen Nerv hat.

      Nun war Kaptän Haase tot. Ein fremder bartloser Mann saß hemdsärmlig wartend bei der stillen Tonbank.

      Jonny schob sich aus dem Hausflur und pfiff. Er hatte seinen besten blauen Anzug an, einen reinen Kragen und einen schwarzen Schlips, dazu einen schwarzen Hut.

      »Jonny!« Mine zog ihn am Ellenbogen mitten auf die Straße. »Kuck dir mal den Michelturm an, sieht er nicht aus wie Papa Haase?«

      Die schutzmannshelmige Turmkuppel des Michels, nunmehr von der Westsonne beschienen, lugte hell über einem tempelhaft anmutenden Gebäude, das in der Einmündung zur Davidstraße die Friedrichstraße abschließt und zur St.-Pauli-Brauerei gehört.

      »Mal sehen, wie spät es schon ist«, sagte Jonny, hakte Mine unter und schritt mit ihr, hier und da grüßend oder widergrüßend, bedächtig die Straße nach der entgegengesetzten Seite hinab soweit, bis der Michelturm, in weißgrünes Kupfer gekleidet, hoch in den dunkelnden Osthimmel gewachsen war.

      Es war fast dieselbe Zeit wie den Morgen, da Mine hier vorübergehuscht war, nur daß jetzt Zifferblatt und Zeiger wie Leuchtröhren glühten.

      »Er lächelt wieder!« sagte sie.

      »Papa Haase mit Helm!« entschied Jonny.

      »Donnerwetter!« sagte Mine: »Wenn du in Schale bist, hast du sogar Idee. Hier sind ein bißchen viel Leute auf der Straße, die nach Feierabend nichts mehr zu tun wissen, und allzuviel Kinder spielen Hahn, ick seh di! Sonst würde ich dir glatt einen Kuß auf deine lederne Visage geben, und denn würde Papa Haase sagen: Mariechen, mir auch einen!«

      »Und zu mir würde er sagen«, sagte Jonny: »Heinrich, laß mir noch ein büschen nach von ihr!«

      Sie lachten beide. Es war ein herzliches Gedenken und ein Salut für den entschlummerten Raritäten-Kaptän, nicht weniger würdig als etwas ein ganzes Geschwader Kanonenschuß für einen toten Admiral.

      »Und nun, wohin?« frage Mine: »Ein Herr muß es immer wissen! Wenn wir hier jetzt weitergehen, rennen wir gegen die Mauern von unserer St. Paulikirche, und die ist mir zu klein. Uns soll Papa Haase trauen!«

      »Der wird zu weit weg sein! Wollen wir erstmal an der Ecke ein Glas Bier bei —?«

      »An der Ecke! Immer an der Ecke! Bier! Immer bloß Bier! Weißt du was, Jonny, wieviel Geld hast du bei dich bei?«

      »Genügend!« antwortete Jonny.

      »Großartig! Dann also in die neue Bar von Klefot!«

      An der Ecke stand Hauhau, der Zeitungsverkäufer, das knittrige fahle Gesicht halb im Halstuch vergraben. Die Tasche hing schwer an seiner mageren Schulter und zog ihm den Rücken krumm. Er hielt den rechten Unterarm waagerecht hüftab, darüber die Lage frischer Abendblätter sich wölbte wie ein Gipsverband. Hauhau sang preisend aus, was an Neuigkeiten zu melden war, sang von China und Mexiko, Spanien und Arabien, von Schiffskatastrophen, Flugzeugabstürzen, Bergwerksunglück, Mord, Feuersbrunst, Streik, Bankraub und Fürstenbesuch; aber was er auch sang, es klang wie ein heiseres Gebell. Hauhau war sein Name, den ihm die Straßenbengel gegeben. Oft umringte ihn ein begleitend bellender Chor und machte ihm das Dasein sauer. Aber heute waren die Buttjes, soweit sie nicht schon im Bett lagen, allesamt zu Fähre VII hinuntergestömert. Die Manhattan war da. Und es ging die Sage unter ihnen, einmal habe einer, der einem Steward und Yankee ein bißchen beim Koffertragen geholfen, einen glatten echten Dollarschein geerntet.

      Da die beiden schnittigen jungen Leute an ihm vorüberkamen, schwieg Hauhau einen Augenblick, schälte hastig eine Schicht von dem Gipsverband und reichte Jonny das gewohnte Blatt. Jonny hatte eine deftige Hand, und oft hatte er Hauhaus Quälgeister mit ein paar angedrohten Ohrfeigen vertrieben.

      »Wird woll nich viel Lesens werden vonabend!« sagte Hauhau heiser, lächelte Mine fröstelnd an, wandte sich trübe und nahm sein armes Gebell wieder auf.

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