Nataly von Eschstruth

Jedem das Seine - Band II


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gibt leider in der lieben Heimat so manchen jungen Offizier, der Schiffbruch gelitten und sich eine neue Existenz in der Ferne gründen muss!

      Junge Männer, die vielleicht leichtsinnig, aber nicht schlecht sind oder unverschuldet Pech hatten und ausessen müssen, was anderer Unzuverlässigkeit ihnen eingebrockt hat.

      Marken sei nun vielleicht in der Lage, einen jungen (oder auch älteren) Offizier zu kennen, der entweder durch die Verhältnisse gezwungen, vielleicht auch freiwillig geneigt sein würde, sich eine neue Existenz in Indien zu gründen. Bedingung sei grosse Energie und Tatkraft, die ohne jedwede Roheit imstande ist, strenge Zucht einzuführen und Gehorsam zu erzwingen. Falls ehrlose Handlungen den Abschied des Betreffenden bedingt hätten, so sei dieser Umstand als nicht zu beseitigendes Hindernis anzusehen.

      Haulsen erhoffe gerade von einem deutschen Offizier die Fähigkeiten, jene augenblicklich recht schwierige Aufgabe mit Vorsicht, Herzensgüte und dennoch eiserner Willenskraft zu lösen.

      Die Stellung sei sonst die denkbar angenehmste, völlig unabhängig, sehr gut bezahlt, ein Vertrauensposten ersten Ranges.

      Kaufmännische Kenntnisse seien zunächst nicht nötig, eine gut geschulte, zuverlässige Kraft wird mitgegeben, um den betreffenden Herrn schnell und sicher in den Geschäftsgang einzuführen. Klima gesund, — Gegend himmlisch schön, die Bevölkerung hochinteressant und gutmütig, nur wie alle Hindus und deren Mischrassen faul und steten Antriebs bedürftig. Die grösste Hälfte der Arbeiter Kulis.

      Wohnhaus und Garten ein wahres Eden, nach wiederhergestellter Ordnung würde einer Verheiratung des betreffenden Herrn nichts im Wege stehen! —

      „Und nun die inständige Bitte Ihres Freundes Haulsen: ‚Kennen, wissen Sie eine Persönlichkeit, lieber Marken, die für die genannte Stellung empfohlen werden könnte? Finden Sie einen geeigneten Herrn, so bitte ich, uns ihn baldmöglichst namhaft zu machen, damit wir mit ihm direkt in Verbindung treten können.

      Noch möchte ich bemerken, dass selbstredend die Reise usw. in freigiebigster Weise vergütet und ein vorhergehender Aufenthalt in Villa Haulsen, behufs persönlichen Kennenlernens erwünscht ist. Sollte der betreffende Herr über Kapital verfügen, so steht es ihm frei, dasselbe im Geschäft anzulegen!‘“

      Atemlos, wie in tiefen Gedanken starrte Mortimer auf das Ungeheuerliche, Unfassliche, was er da las, nieder.

      Kam denn alles, was er noch für den Rest seines Lebensglückes erhoffen konnte, wie ein Geschenk des Himmels plötzlich und unvermutet über ihn? —

      Erst das Geld, nun ein Ausweg! ein Blick in traumhafte Fernen, so schön, so passend und geeignet, wie er es sich mit lebhaftester Phantasie nicht hätte ausmalen können!

      Indien!

      Dieses Land der Poesie, des Geheimnisvollen, Wunderbaren, — dieses Land voll Duft, Sonne und Glanz — Indien tat ihm seine goldenen Tore auf und winkte ihm mit weissen Lotosblumen zu: Komme und schaue! Dringe ein in die Tiefen der Wunder und Erkenntnisse, bade deine kranke Seele gesund in dem Urquell aller Schönheit und Herrlichkeit!

      Und er sollte zögern?

      Nie und nimmer!

      Die Arme möchte er weit ausbreiten und mit einem tiefen Aufatmen der Erlösung rufen: Ja, ich komme! —

      Ob er sich für eine derartige Stellung eignet? Er ist noch jung, vielleicht allzu jung für einen solchen Posten.

      Mit lachenden Augen, sorglos wie ein Kind, voll schwärmerischen Entzückens hat er bisher in die Welt geschaut, und dennoch hat er ihren vollen Ernst schon so früh kennen gelernt, hat von Kindesbeinen an seinen eignen Weg gehen müssen, ach und wie schwer und mühselig ist dieser Weg oft gewesen!

      Hätte er selber nicht so viel Pflichtgefühl und Energie besessen, die schwachen Hände von Tante Gustel hätten ihn wohl nimmermehr ans Ziel geschoben! —

      Als Offizier hat er seine Vorgesetzten stets befriedigt und man hat ihm voll Anerkennung nachgesagt, dass er eine ganz besonders nette und richtige Art habe, seine Untergebenen zu behandeln.

      Stets freundlich, energisch, voll wohlwollender Strenge.

      Seine Leute gingen durchs Feuer für ihn und der Oberst hatte ihn selber gelobt, dass er einen so vortrefflichen Einfluss habe, — die Instruktionsstunde, die er erteilte, hätte geradezu etwas „Volkstümliches“, wie der Major lachend dem Hauptmann versicherte.

      Deutsche Grenadiere sind nun freilich ganz andere Wesen wie Kulis und Hindus, aber Menschen sind sie alle, einer wie der andere, und wenn man die echt menschlichen Saiten anschlägt, so klingt in jedem Herzen eine Antwort wieder.

      Mit freudiger Zuversicht will Marken den schweren Posten übernehmen.

      Die Verantwortlichkeit, die tüchtige Arbeit schreckt ihn nicht, sondern reizt ihn an.

      Gerade eine solche Lebensaufgabe hatte er sich schon seit langem gewünscht, bei der er seine eigene Kraft betätigen und selbständig etwas leisten und schaffen kann!

      Seine Jugend wird dabei kein Hindernis sein, sondern ihm Frische und Spannkraft verleihen, den Anforderungen, die Haulsen an ihn stellt, gerecht zu werden.

      Sein kleines Kapital wird er voll Eifer und Freudigkeit in das Unternehmen stecken und dadurch ein doppeltes Interesse an demselben gewinnen!

      Dass Haulsen ihn nicht abweisen wird, glaubt er bestimmt.

      Nach Indien! —

      Wie ein Traum umfängt es all seine Sinne! Neues Leben, neue Arbeit! — Ach, und welch ein Segen wird diese Arbeit für sein wundes Herz sein!

      Vergessen wird er Iris nie.

      Seine Liebe hat zu tiefe Wurzeln geschlagen; wie der Efeu ein Gemäuer umspinnt, so hat sie ihm Herz und Seele umwunden, und wie erst das morsche Gestein zusammenbrechen muss, ehe des Efeus treue Arme von ihm lassen, so muss auch sein Herz brechen, ehe es seiner Liebe vergisst! —

      Mortimer greift mit sicherer Hand zur Feder und schreibt umgehend an Haulsen.

      Seine vortrefflichen Zeugnisse stellt er zur Verfügung, einer Empfehlung vom Regimentskommandeur glaubt er sicher zu sein.

      Er schliesst den Brief und sieht nach der Uhr.

      Noch kann er ihn auf der Post einschreiben lassen.

      Hastig greift er nach Mantel und Mütze und schreitet in die frühe Nacht hinaus.

      Der Schnee wirbelt, ein scharfer Nordost peitscht ihn dem jungen Offizier in das Gesicht.

      Er fühlt es nicht.

      Ihm ist es zumute wie dazumal in dem kalten Mansardenstübchen, als die Myrten- und Granatbüsche, die Palmen und Lorbeerbäume spukhaft aus den morschen Dielen emporwuchsen. —

      Noch einmal treibt ihn das Schicksal in die bunte, fremde Welt hinaus!

      Was wird sie ihm bringen?

      Abermals eine so bittere, wehe Enttäuschung, ein so schmerzliches Geschick wie Konstantinopel? Gott im Himmel weiss es! —

      Seiner Führung vertraut er sich an.

      Er ist ein Marken und die heisse Wanderlust glüht auch ihm als Erbe seiner Väter im Herzen.

      Acht Tage später sprach man in der Residenz sehr lebhaft von einer Neuigkeit.

      Leutnant Freiherr von der Marken hatte seinen Abschied eingereicht, um nach Indien zu gehen und sich dort an einem kaufmännischen Unternehmen zu beteiligen.

      Man hatte den heitern, stets so herzgewinnend liebenswürdigen jungen Mann allseits gern gehabt und erwog mit aufrichtigem Interesse das „Für“ und „Wider“ dieser so überraschenden Handlungsweise.

      Viele schüttelten bedenklich die Köpfe.

      „Es ist ein Unsinn, dass er seine schöne, sichere Laufbahn für eine derartige Ungewissheit aufgibt! Kaufmann werden! — Unsinn! Der Adel, der seit Jahrhunderten den Degen führt, wird nun und nimmer auf dem Kontorstuhl heimisch!