Platz hat, der gewinnt rasch den Eindruck, dass die Färöer überall ein bis zwei Tore aufstellen, wo sich auch nur der Hauch einer geraden Fläche andeutet“, schrieb die Frankfurter Allgemeine. Im malerischen Tjørnuvík haben sie ein Feld diagonal zwischen die Dorfschule und zwei weitere Häuser gequetscht. In Søldarfjørður neigt sich der Platz etwa 30 Grad zum Meer hin.
Oder der Fußballplatz in Eiði, einem 650-Seelen-Dort an der Nordspitze der Insel Eysturoy: Dort spielt der Erstligist EB/Streymur, und der Platz liegt direkt neben dem Atlantik. „Bei Sturm spritzt die Gischt des Meeres auf die Tribünen“, so der Tagesspiegel. Einmal holte sich die See in einem Spiel drei Bälle. „Sturmböen trugen sie nach Eckstößen auf und davon, krönten damit Wellenkämme“, schrieb der Focus. „Niemand wusste später zu sagen, wohin sie trieben. Vielleicht geradewegs ins Packeis des Nordpols? Vielleicht gen Island? Weit, weit nach Nordwest?“ Und im Stadion von Gøta, „gleich neben einem Hafen, riechen die Fans den Gestank des Diesels von den Schiffen. Und sie riechen den Fisch.“
Den Färinger, der noch nie mit Meeresgetier zu tun hatte – egal, ob Frau oder Mann, egal, ob in der Fabrik, auf dem Kutter, dem Hochseedampfer oder in der Bank –, den gebe es nicht. „Zuletzt holte sich das Meer Knut Vestertún“, schrieb der Focus, „ihm schenkte Gott Beidfüßigkeit, das Auge für den freien Mann und die Intelligenz eines Spielmachers. Aber mitten in der Saison sagte er seiner Fußballerkarriere ade – er ging als Kapitän des Klubs EB/Streymur in Eiði von Bord und heuerte als Seemann an. Es ist noch, wie es immer war, und wie der Färinger sagt: ‚Der Fisch ist mächtiger als die Frauen und der Fußball.‘“ Man kann auch sagen: Die Natur ist mächtiger. Sie ist eben allgegenwärtig auf diesen 18 Inseln im Nordatlantik mit ihrer langen Geschichte.
„Natürlich gibt es ein paar Schlaumeier, die behaupten, alles hätte mit Risin und Kellingin angefangen“, schrieb die Münchner Abendzeitung einmal. „Dem Riesen und seinem Trollweib lagen die Färöer zu dicht an Norwegen. Nachts zog und zog das gewaltige Pärchen die 18 Eilande Richtung Island – bis die Sonne aufging. Da gab es ein zischendes Geräusch, und Risin und Kellingin erstarrten zu Stein: Fabelwesen vertragen nun mal kein Sonnenlicht, weshalb die beiden heute und für immer als zwei turmhohe, verwitterte Monolithen westlich der Färöer in der Gischt stehen. Dumm gelaufen.“
So kann es gewesen sein, muss aber nicht. Als gesichert gilt, dass die Färöer seit dem neunten Jahrhundert von Westnorwegen aus besiedelt wurden. Das Parlament Løgting gibt es seit etwa 900, es ist die älteste Volksvertretung Europas; bis etwa 1400 hieß es Althing. Im Jahr 999 wurde das Christentum eingeführt, angeblich vom Wikingerhäuptling Sigmundur Brestisson. Als 1380 ein dänischer König gleichzeitig König von Norwegen wurde, kamen auch die Färöer unter dänische Herrschaft.
Als Dänemark 1940 von den Deutschen besetzt worden war, übernahmen die Briten die Kontrolle über die Färöer und ermutigten die Insulaner, ihre eigene Flagge zu hissen. Langwierige Verhandlungen mit Kopenhagen folgten, 1948 einigten sich die Färinger schließlich mit den Dänen auf den Status einer „selbstverwaltenden Gemeinschaft innerhalb des Königreiches Dänemark“. Nur in außenpolitischen und militärischen Angelegenheiten haben sie nichts zu sagen. Hauptwirtschaftszweig ist der Fischfang: Er macht mehr als 90 Prozent des Exports aus.
Der Golfstrom sorgt auf den Färöern für ein mildes, aber sehr feuchtes Klima. Ein paar Wolken hängen hier immer fest, wenn auch selten überall gleichzeitig, irgendwo bricht meistens auch die Sonne durch. „Vier Jahreszeiten in einer Stunde“, verspricht eine färöische Redensart. Sie ist keine Übertreibung. Meistens aber ist das Wetter schlecht. Es regnet. Es schneit. Oder es regnet und schneit gleichzeitig. Wenn man die Schafe und den Regen sieht, denkt man: Gebt ihnen Schirme. Oder wenigstens Hüte. Aber dann sagen die Einheimischen: Die Schafe haben über die Jahrhunderte ein Fell bekommen, durch das kein Wasser dringt. Davon profitieren auch die Menschen. Viele haben hier riesige Jacken aus Schafsfell, und wenn man nicht aufpasst, spricht man ein Schaf an, weil man denkt, das sei ein Mensch, der eine Schaf-Jacke trägt. Das ist natürlich übertrieben.
Oder es ist neblig. Oder stürmisch. Als die Fußball-Nationalelf der Färöer 1998 gegen Tschechien spielte, mussten zwei Radio-Reporter eingesetzt werden – je einer pro Spielhälfte, weil der Nebel so dicht war, dass man nur fünfzig Meter weit sehen konnte. Oder diese Geschichte: Erst einmal hat eine färingische Fußballmannschaft die zweite Runde im Europacup erreicht. Das Team aus der Hauptstadt Tórshavn kam kampflos weiter: Der Gegner aus Estland reiste zwar an, aber das Flugzeug konnte nicht landen. Die Sicht war schlecht, und der Regen fiel wie ein riesiger Wasserfall auf die 18 Inseln im Nordatlantik. Die Esten kehrten um.
Überhaupt: dieser Flughafen. Der Österreicher Martin Harnik, der mal zu einem Länderspiel auf den Färöern war, sagte über den Flughafen: „Da ist man zehn Meter über dem Wasser, kann schon in die Häuser schauen, aber keine Landebahn. Ich habe keine Flugangst, aber das sprengt den Rahmen.“ Der Flughafen liegt ungünstig zwischen Bergen und Wasser. Experten sagen, dass eine Landebahn 2.000 bis 3.000 Meter lang sein muss. Jene auf den Färöern misst nur 1.800 Meter. Wer nicht bremsen kann, fällt ins Wasser. Überall ist Wasser. Keine Stelle auf den Färöern ist mehr als fünf Kilometer vom Meer entfernt. Außerdem beeinträchtigen die Berge das Flugleitsystem und die Radargeräte. 1996 ist ein Militärflugzeug gegen einen Berg geknallt. Und einmal ist ein Flieger versehentlich auf der Nachbarinsel gelandet, wo es keinen Flughafen gab – acht Menschen starben. Piloten von Linienmaschinen, denen es gelingt, auf der Flugpiste der Insel Vagar eine halbwegs rumpelfreie Landung hinzulegen, werden auch von einheimischen Passagieren mit lang anhaltendem Applaus bedacht. Die Landebahn wird nicht länger, wenn sich der Nebel über ihr lichtet.
Einmal ist auch Berti Vogts auf die Färöer geflogen, im Jahr 2003 war es, als er Trainer Schottlands gewesen ist. Die Färöer und Schottland trafen sich in Toftir zum EM-Qualifikationsspiel, 115 Journalisten wollten das Spiel sehen, sie ahnten, dass es eine Überraschung geben könnte. Vogts stand tatsächlich vor einer Blamage, nach zwölf Minuten führten die Färinger durch zwei Tore des Lehrers John Petersen 2:0, aber mit Ach und Krach und Toren von Lambert und Ferguson glichen die Schotten aus – und zweimal war Tormann Jens Martin Knudsen ohne Abwehrchance.
Knudsen spielte ohne Mütze. Der frühere Gladbacher Allan Simonsen, der die Färöer zwischen 1994 und 2002 trainierte, hatte ihm die Kopfbedeckung ausgeredet. Ein Torwart mit Pudelmütze – da würde das ganze Team nicht ernst genommen, meinte Simonsen. Er fand also, eine Pudelmütze sei für einen seriösen Torwart unhaltbar.
Das 2:2 war glücklich für die Schotten. „Ich bin enttäuscht“, sagte Henrik Larsen, der Trainer der Färöer. Larsen war mal dänischer Nationalspieler. 1992 wurde er Europameister, mit einem Sieg gegen die favorisierte deutsche Mannschaft, die von Vogts trainiert wurde. Diesmal waren die Färinger die Dänen und die Schotten die Deutschen – die einen waren flink und kreativ, die anderen waren es nicht. Sie hatten größere Chancen als die Schotten, die in der ersten Halbzeit „so unbeweglich wirkten, als hätten sie zum Mittagessen Eisenstangen verspeist“, schrieb die Süddeutsche Zeitung.
Nach dem Schottland-Spiel forderten britische Zeitungen die Ablösung von Vogts, und ein Blatt titelte: „Lehrer bestraft Berti“. John Petersen, der die beiden Tore gegen Schottland erzielt hatte, war in seinem echten Leben Lehrer. Er unterrichtete an einer Grundschule in Tórshavn Erdkunde, Färingisch und Sport. Beim zweiten Tor gegen die Schotten drosch er den Ball volley ins Tor – nach einer Flanke, die die Schotten völlig unterschätzt hatten. War da auch der berüchtigte Färöer-Wind auf seiner Seite? „Das ist nicht wahr“, sagte Petersen später in einem Interview, „gegen Schottland war es kaum windig. Es mag zwar sein, dass wir besser mit dem Wind umgehen können, und vielleicht berechnete ich instinktiv das bisschen Wind mit ein, weil wir das hier so lernen, aber wir waren gegen die Schotten die bessere Mannschaft und sehr enttäuscht.“
Die Färöer hatten in ihrer Anfangsformation bloß einen Profi: Angreifer Christian Jacobsen von Vejle BK in Dänemark. Alle anderen spielten in den zehn Mannschaften der ersten Liga auf den Färöern. Sie bekamen zwischen 1.000 und 10.000 dänische Kronen (130 und 1.300 Euro) im Monat und arbeiteten zumindest halbtags in anderen Berufen – als Lehrer, Bäckermeister, Fischer, Schafzüchter. Wenn die Spieler in die Disko gingen, mussten sie nicht