Dietrich Schulze-Marmeling

Guardiola


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Stoichkov wird erst in der 85. Minute eingewechselt, Guillermo Amor (der im Finale 1992 aber nicht spielte) kommt nach der Halbzeitpause auf den Platz. Das Tor hütet der Portugiese Vitor Baia, die Abwehr wird vom Portugiesen Fernando Couto organisiert, das defensive Mittelfeld bilden Guardiola und der rumänische Kapitän Gheorge Popescu. Vorne stürmt neben dem Brasilianer Ronaldo der Portugiese Luís Figo.

      In der 37. Minute überwindet Ronaldo Saint-Germain-Keeper Bernard Lama vom Elfmeterpunkt, und dieses 1:0 hält bis zum Schlusspfiff. Guardiola erhält vom „kicker“ die Note 3,5, der Korrespondent resümiert: „In spieltechnischer Hinsicht übertraf es das erste UEFA-Cup-Endspiel zwischen Schalke und Inter deutlich. Von der erhofften brasilianischen Fußball-Samba aber waren nur Spurenelemente erkennbar.“

      Der Zauber, den Cruyff mit dem FC Barcelona und Sacchi mit dem AC Mailand veranstaltet hatten, war Vergangenheit. Aus heutiger Sicht ist es fast unglaublich, wie defensiv damals noch (bzw. wieder) in Europa gespielt wurde. In derselben Saison bestreitet Schalke 04 sein zweites UEFA-Cup-Finalspiel bei Inter Mailand fast ausschließlich mit Defensivspielern und der Vorgabe: „Die Null muss stehen.“ Der technisch beste Mann des Teams, Olaf Thon, spielt Libero.

      Da der FC Barcelona nicht bereit ist, dem nun 26-jährigen Guardiola einen neuen Vertrag zu verbesserten Konditionen zu geben, will Pep zum AC Parma in die italienische Serie A wechseln. Auch der AC Mailand, AS Rom und der AC Florenz interessieren sich für den Katalanen. Zwischen Guardiola und Parma ist bereits alles klar, und der Spieler hat sogar schon unterschrieben, da erhebt Präsident Núñez Einspruch. Der FC Barcelona verliert bereits Ronaldo an Inter Mailand. Im Kampf um seine Wiederwahl will der Barça-Boss nicht auch noch den Wechsel der Identifikationsfigur Guardiola bekanntgeben müssen. Nun erhält Guardiola einen neuen Vierjahresvertrag. Sein damaliger Berater Josep Maria Minguella: „Letztlich wurde es für Barça teurer als eine sofortige Verlängerung. Wir hatten ja schon einen fertigen Vertrag mit Parma, und den toppte Barça dann noch einmal.“

      Van Gaal kommt

      Beim Finale in Rotterdam saß auch Louis van Gaal auf der Tribüne, der 1995 mit Ajax Amsterdam die Champions League gewonnen hatte. Guardiola ist ein großer Fan dieses Ajax-Teams: „Mir fiel die Kinnlade herunter, als ich van Gaals Ajax spielen sah. Das Tempo des Passspiels und der Bewegungen, die Flügelstürmer. (…) Spieler mit der Mentalität Johan Neeskens’ und den technischen Fähigkeiten Johan Cruyffs. Sie gingen totales Risiko ein. Dieses Ajax überwältigte mich. Die Disziplin des Teams, der Ballbesitz. Es sah so einfach aus und war so zerstörerisch. Für Madrid, AC Milan, Bayern … erstaunlich. Ajax erteilte allen eine Fußball-Lektion.“

      Längst pfeifen die Spatzen vom Dach, dass der Niederländer Robson ablösen wird, obwohl dieser noch einen Vertrag bis 1998 hat. Angeblich ist van Gaal nur als Direktor für die Nachwuchsakademie vorgesehen. Aber wenig später wird Robson auf den Posten des Sportdirektors abgeschoben, und der Niederländer übernimmt die Profimannschaft.

      Robson, der im Sommer 1998 zum PSV Eindhoven zurückkehren wird, empfiehlt van Gaal die Weiterbeschäftigung Mourinhos: „Ich erzählte ihm: Louis, er kennt die Stadt, er kennt den Klub, er kennt die Spieler. Er spricht ein fantastisches Spanisch und kann für dich das Gleiche tun wie für mich. Er ist ein Aktivposten.“

      So übernimmt van Gaal den Portugiesen – nicht zur ungeteilten Begeisterung. Für die Medien ist José Mourinho weiterhin nur El Traductor, der Übersetzer, und auch die Barça-Spitze nennt ihn zum Zeitpunkt der Ankunft van Gaals noch immer so. Van Gaal: „Manchmal glaube ich, dass ich der Einzige war, der an José glaubte. Ich sprach über José immer als einen Fußballmann. Mit der Zeit begannen auch die Funktionäre, ihn mit dem Respekt zu behandeln, der einem Assistenztrainer gebührt. Ich nahm ihn ernster als die meisten Leute im Klub, weil ich in einer Position war, ihn beurteilen zu können.“

      Mourinho ist anfangs nur dritter Assistent hinter Gerard van der Lem und Torwarttrainer Frans Hoek, die van Gaal aus den Niederlanden mitgebracht hat. Van Gaal: „Mourinho sollte erst nur ein Jahr bleiben. Anfangs war er nur Übersetzer, aber mit der Zeit wurde er genauso wertvoll wie meine anderen Assistenten. Er konnte ein Spiel so gut lesen und den Gegner so gut analysieren, dass ich nach dem ersten Jahr mit dem Gewinn der Meisterschaft und des Pokals froh war, dass er drei weitere Jahre blieb.“

      Die Mannschaft trainiert nun in drei Gruppen: Die Torhüter üben mit Frans Hoek, die Feldspieler teilen sich van der Lem und Mourinho. Bei den Spielern genießt Mourinho längst ungeteilte Anerkennung. Van Gaal: „Wenn die Spieler das Gefühl haben, dass der Trainer das Spiel besser lesen kann als sie, dann hören sie ihm zu.“

      Der neue Trainer ist anders gestrickt als Robson. Während Robson immer alles unter seiner Kontrolle haben musste und jede Trainingseinheit selber leitete, steht van Gaal schon mal im Hintergrund und beobachtet lediglich das Treiben. Mourinho darf zudem das B-Team übernehmen, damit er seinen eigenen Stil finden kann. Bei einigen Freundschaftsspielen und im katalanischen Pokal (Copa Catalunya), dort auch im Finale 2000, wird Mourinho sogar die volle Verantwortung für die 1. Mannschaft übertragen. Der Gewinn der Copa Catalunya 2000 mit dem FC Barcelona ist Mourinhos erster Titel als Trainer.

      „Er konnte wie ein Trainer reden“

      Zur Saison 1997/98 übernimmt Pep Guardiola die Kapitänsbinde, auch weil van Gaal mit den arrivierten und alternden Stars aneinandergerät. Van Gaal: „Da kam ein Trainer dahergelaufen, der ihnen sagte: ‚Hier ist deine Position, und dort draußen hast du nichts zu suchen.‘ Das eckte an. Sie folgten mir, doch sie taten es ohne Hingabe. Und die ist notwendig. Es geht um die Identifikation, die man zeigen muss. Die jungen Spieler hatten sie, die wollten etwas lernen und wachsen. Xavi, Puyol, diese Jungs. Sie fingen auch keine langwierigen Diskussionen an. Ich brach mit der Gewohnheit und machte Guardiola zum Kapitän. Vor meiner Ankunft war die Hierarchie: 1. Popescu, 2. Nadal, 3. Amor – nach Alter gestaffelt. (…) Pep war nicht der Älteste und ein Stück weiter unten in der Hierarchie – hinter Popescu, Nadal und Amor. Aber Pep verstand das Spiel und besaß die kommunikativen Fähigkeiten, um das Team zu strukturieren – auf dem Feld wie in der Kabine.“ Guardiola sei ein „taktischer Spieler“ gewesen, der Einzige im Team, mit dem er sich über taktische Dinge auf Augenhöhe habe austauschen können. Van Gaal: „Er konnte wie ein Trainer reden.“ Guardiola erinnert sich an van Gaal als den Trainer, „mit dem ich am meisten über Fußball diskutierte“. Vielleicht äußert sich Guardiola hier etwas zu höflich, wie er ja generell kein schlechtes Wort über einen ehemaligen Trainer verliert. Denn der zu Selbstherrlichkeit und autoritärem Verhalten neigende „Tulpengeneral“ führt den Dialog mit den Spielern anders als Cruyff und Rexach. Auch ist er weniger als diese (und später auch der Trainer Guardiola) bereit, die Eigeninitiative der Spieler zu stärken. Auf dem Spielfeld hat sich alles in dem vom Trainer diktierten engen Rahmen zu bewegen.

      Allerdings schätzt van Gaal Guardiolas emotionale Intelligenz: „Ich habe niemals den ältesten Spieler oder den besten Spieler oder den Spieler mit dem größten Mundwerk gewählt. Ich wählte den Intelligentesten in der sozialen Dynamik.“ Guardiola ist mit 26 Jahren kein junger Spieler mehr, aber auch noch nicht alt und satt.

      Van Gaal denkt defensiver als sein Landsmann und lebenslanger Rivale Cruyff, wovon auch Guardiolas Position betroffen ist. Der neue Barça-Coach präferiert einen defensiven Mittelfeldspieler, der stärker verteidigen kann. Van Gaal: „Bei Barcelona hatte ich anfänglich Guardiola auf der Vier. Am Ende habe ich mich doch wieder für einen verteidigenden Typen im Zentrum entschieden. Weniger riskant.“

      Zunächst kann Guardiola van Gaal ohnehin nicht helfen. Im August 1997 erleidet er in einem Champions-League-Qualifikationsspiel gegen den litauischen Klub Skonto FC eine Muskelverletzung, die den frischgebackenen Kapitän für den Rest der Saison fast komplett lahmlegt. Der FC Barcelona wird Meister, aber Guardiolas Beitrag fällt nur gering aus. In der Liga kommt er auf gerade mal sechs Einsätze.

      Die Verletzung verhindert auch eine Teilnahme an der WM 1998. Zum großen Bedauern von Guardiola-Fan Jorge Valdano: „Das Fehlen des einzigen Mannes im spanischen Fußball, der es schafft, dass sich eine Mannschaft um ihn dreht, ist eine sehr schlechte Nachricht, wenn wir es vom Gesichtspunkt