Hans Leip

Liliencron


Скачать книгу

kein Härchen gekrümmt, selbst die Hofsprache zu Kopenhagen war jahrhundertelang deutsch. Auf einmal wurde Hannemann unklug. Er begann mit jenen unglücklichen Ideen von Grenzmarkpolitik und „kultureller Umschichtung“, die seither, überall nachgeahmt, Europa wie einen altmodischen Dampfkessel überheizen. Aus Deutschen sollten durch weitverzweigte Schikane so bald wie möglich Dänen gemacht werden. Was deutsch war, wurde gekränkt oder vernachlässigt. So auch die Kieler Gelehrtenschule, deren biologische Lehrmittel aus nichts als einem einzigen schadhaften Fuchsgerippe bestanden.

      Dieses wie die ganze Schule behagen dem Knaben wenig. Er hat manchen Ansporn nötig, ist bald Primus, bald Letzter. Er hasst die Mathematik, wie jeder Träumer, und liebt die Geschichte. Seinem Geburtsstern gemäss drückt er sich gern dort, wo er nicht alsbald glänzen kann. Er lernt weder Schwimmen noch Schlittschuhlaufen, turnt auch nicht gern. Erst auf der Kadettenanstalt wird sich zeigen, wie gewandt und zäh sein Körper ist.

      Einige aus Kiel gebürtige Damen hegen die Überlieferung an einen Spottvers, den ihre Mütter als höhere Töchter und Backfische hinter dem Rücken eines gewissen, etwas menschenscheuen jungen Mannes geflötet haben:

      Liliencrönchen,

      Muttersöhnchen,

      Zierbarönchen!

      Er hat nachmals die höheren Töchter darum — einen ersten grossen Versuch ausgenommen — lange nicht so gern gehabt wie die Mädchen einfacherer Sorte, die weniger spitzfindig waren und aus denen „Acker, Blume, Himmel und die Urweisheit der Erde noch unverfälscht leuchten“.

      Er geriet an Storms „Immensee“, das als einziges Werk neuerer Literatur auf dem Schreibtisch seiner Mutter stand. Er versenkte sich am Klavier in schwermütige Phantastereien. Er begleitete seine Mutter, die den „Erlkönig“ in Scotts Übertragung englisch sang. Er strich „verhangenen Auges“ durch die Feldwege, die Knicks der ländlichen Umgebung, die so nahe an die stille Kleinstadt reichte, darin noch nichts von Werftlärm, Schlachtschiffzauber und Kulibetrieb zu spüren war.

      Kinderland, du Zauberland,

      Haus und Hof und Hecken.

      Hinter blauer Wälderwand

      Spielt die Welt Verstecken.

      Und Busch und Baum und Feld und Klee und der Nebel in den Wiesen und die streichenden Krähen waren ihm mehr als die See, deren Grossartigkeit er notgedrungen erst als gereifter Mann auf der andern Seite der Heimat erfassen lernen sollte.

      Der kleine Thomsen, unruhig heftigen Blutes, lächelte über Liliencrons Gefühlsseligkeit. Er sah auch in (dem von Liliencron verehrten) Storm weniger den Dichter als den Märtyrer für die Sache der Heimat. Er entfachte das „deutsche Feuer“ in dem Pflegebruder, stachelte seinen Ehrgeiz an, entzog ihn der allzu frommen Konfirmationsstimmung, entflammte sein Herz, bis sie sich gegenseitig schworen, in preussische Dienste zu treten, um dem dänischen Unterdrücker an die Gurgel zu gelangen.

      Liliencrons Eltern war es recht. Es bestand eine entfernte Verwandtschaft mit dem Hause Hellmuth von Moltkes, der ja selber von dänischen in preussische Dienste übergetreten war. Der Knabe verliess die Kieler Gelehrtenschule, ohne sie zu Ende durchzumachen. Er ging mit mittelmässigen Zeugnissen zur letzten Vorbereitung nach Erfurt, kam von der Sekunda in die Obertertia und hatte es nicht leicht, genau so wenig wie August Thomsen, der mit ihm gleichzeitig Kiel Ade gesagt hatte und trotz dänischen Verbots auf eigne Faust zu Berlin in die preussische Marine wollte.

      Liliencrons Heimweh war anfangs gross. Und nun bewies sich das tüchtige Gemüt seines zu Haus so wortkargen Vaters, der dem Einzigen mit langen Briefen gut zuredet:

      „Über Deinen Styl hab ich mich sehr gefreut, weniger über Deine Hand, die oft das Gepräge der Flüchtigkeit an sich trägt und zuweilen sehr schwer zu entziffern ist, man nehme sich das gefälligst ad nota! — Leg Dich nur tüchtig auf Mathematik und Sprachen. Was sonst nöthig, wirst Du mit Deinem guten Kopf schon capieren, darum bin ich garnicht bange. — Bläue so nebenher alle Deine Mitschüler, die Dir etwa unverschuldet ans Rad laufen, wie man zu sagen pflegt, mit Deinen holsteinischen Fäusten tüchtig ab; das übt die Kräfte und setzt Dich bei den Jungen in Respekt. — Treibst Du nebenher auch noch oft Musik? Und mein Herrchen, wenn man irgendwo in Gesellschaft ist, wo getanzt wird, zähle man sich zu den erwachsenen Herren und nicht zu Jungen. Man tut gut daran, wenn man sich auch ein wenig vordrängt und sagt: Ich bin auch hier! Sonst geht es in dieser Welt nicht. — Mit einem Päckchen sollst Du auch etwas Geld wieder haben, mein Söhnchen! Bis dahin musst Du Dir durchhelfen. —“

      Der junge Mann musste sich sehr durchhelfen bei dem knappen Wechsel, den ihm das Elternhaus schicken konnte. Der Lehrgang machte ihm Mühe. Die Mitschüler standen dem „Ausländer“ fern. Die Lehrer nannten seine Anlagen „im ganzen gut“. Er beginnt, Goethe zu lesen neben Spittas „Psalter und Harfe“, das ihm die mehr und mehr fromme Mutter in den Koffer gelegt. Er besucht Weimar und die Fürstengruft und schreibt in sein Merkheft Kampf- und Trostsprüche des Altmeisters, bald auch Gedichte von Eichendorff, Uhland, Heine, Strachwitz. Er muss Privatstunden nehmen, um sein Wissen abzurunden.

      Als er Januar 1863 zwischen den zukünftigen Helden in dem finsteren Berliner Militärgebäude zur Prüfung antrat, wirkte er fast mädchenhaft, so rosig und zierlich sah er aus. Er glänzte in Geschichte, trat im Deutschen gewandt für seinen Landsmann Klaus Groth ein, leistete in Latein, Französisch und Englisch Befriedigendes und versagte in Mathematik und Zeichnen.

      Für die Artillerie, die Truppe des rechnerischen Scharfsinns, wäre es ungenügend gewesen. Aber der junge Freiherr wollte gern Reiteroffizier werden. In ihm geisterte ungestümer, lyrisch beschwingter Tatendrang, dem Attacke und Säbelschwung als Ideal der Schlachten und des Lebens vorschwebten. Die väterlichen Mittel aber liessen nur die Wahl der Infanterie zu, der „kindlichsten, mittelmässigsten, aber billigsten aller Truppengattungen“. (Der Dienst war damals weniger vielseitig als heute.)

      Somit verschloss der angehende Fähnrich seine heissen Empfindungen, sah dem Geschick tapfer ins Auge, seiner Natur gemäss, und schrieb sich einen kräftigen Leitspruch ins Merkheft:

      Mag es auch schmerzen,

      Männlich steh!

      Zwing dich zu Scherzen!

      Kopf in die Höh!

      Er hatte Glück und kam zum Westfälischen Füsilierregiment Nr. 37 nach Mainz. Mainz war 1815 zur Bundesfestung erklärt worden und war 1863 Standort hessischer, preussischer und österreichischer Truppen aller Waffengattungen. Es galt nach Moltkes Ausspruch dem Offizierkorps als bevorzugter „klimatischer Kurort“ und war berühmt durch den munteren Umgangston, durch gute Weine und hübsche Mädchen.

      Liliencron wurde nach drei Monaten Gefreiter, im August nach der Parade vor Kaiser Franz Joseph Unteroffizier und im September Fähnrich. Es gibt ein Bild von ihm aus jener Zeit, das ihn zwischen den Unteroffizieren seiner Kompanie zeigt: ein schlanker Knirps zwischen bärtigen Riesen. Seine Kameraden rühmen seine Heiterkeit und Schneidigkeit. Er schien wirklich seinen Beruf gefunden zu haben und fing an, bei nicht allzu aufreibendem Dienst, in den angenehmen Theatern und Kaffeehäusern und bei mancher winterlichen Tanzgesellschaft die Freuden der Erde kennenzulernen.

      Aber schon kündigte sich ein neuer Geist im Heere an. König Wilhelm, 1861 auf den Thron gelangt, begann durch straffere Grundsätze die Schlagkraft seiner Armee neu zu beleben. Er sah grosse Notwendigkeiten und glorreiche Ziele vor sich. 1863 half er, den Aufstand der Polen zu zerdrücken. Ein Jahr später zog er gemeinsam mit Österreich gegen Dänemark, um Schleswig-Holsteins ungeteilte Unabhängigkeit zu sichern. Die Polen witterten Morgenluft, aber neue preussische Regimenter rückten in die Provinz Posen ein und liessen es zu keinen weiteren Unruhen kommen.

      Auch der Fähnrich Liliencron gelangte auf diese Weise an die Ostgrenze nach Rawitsch. Es war ihm lieber, als gegen „gammel Danmark“ zu ziehen, das einstmals allem guten Deutschtum so fördernd verbunden gewesen war. Er schätzte die singige Sprache, die innigen Volkslieder, die Eddavergangenheit, das helläugige, kunstverständige Behagen des stammverwandten Nordvolkes. Die Polen achtete er zwar, aber sie waren seinem Herzen fremd.

      Er machte sein Offiziersexamen,