Georges Simenon

Aus den Akten der Agence O


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weitergeht, fürchte ich, dass du’s bald bis zum Obergefreiten bringen wirst!«

      »Was soll ich dazu sagen?«

      »Nichts. Sag mir nur, was wir heute Morgen gemacht haben.«

      »Die Versicherung hat heute Morgen um acht angerufen, damit wir uns …«

      »Wie oft ist das in den letzten sechs Monaten vorgekommen?«

      »Da muss ich in meinem Kalender nachsehen. Vielleicht zwölf- oder dreizehnmal …«

      »Und was haben wir jedes Mal am Tatort gefunden?«

      »Nichts.«

      »Du meinst, wir haben jedes Mal einen ausgeraubten Juwelierladen vorgefunden. Jedes Mal die gleiche Methode. Ein Mann lässt sich am Abend zuvor in dem Gebäude einschließen. Ein Mann, der über Schlösser nur lachen kann, egal, wie ausgetüftelt sie auch sein mögen, und der von jeder Alarmanlage, die je erfunden wurde, weiß, wie man sie austrickst. Einer, der seinen Job sauber und fehlerlos erledigt. Welche Spuren hat er bis jetzt hinterlassen?«

      Torrence wird rot wie ein Schuljunge, der seine Hausarbeiten nicht gemacht hat.

      »Überhaupt keine Spuren.«

      »Und was war heute Morgen im Juwelierladen in der Rue Tronchet?«

      »Wir haben ein Taschentuch gefunden.«

      »Sagt dir das nichts?«

      Torrence gibt seinem Schreibtisch einen ordentlichen Faustschlag.

      »Was bin ich doch für ein Esel! Ein verdammter Esel! Ein gottverdammter Esel!«

      »Riechst du nichts?«

      Torrence schnüffelt. Die breiten Nasenflügel dieses guten Essers schlagen die Luft wie die Flügel eines Vogels.

      »Nein, ich rieche nichts.«

      Zwei- oder dreimal hat Émile bereits einen besorgten Blick auf das Telefon geworfen.

      »Ich hoffe nur, dass Barbet …«

      Sechs Monate lang hat die Agence O mit leeren Händen dagestanden. Sechs Monate sind vergangen, seit sich die größte auf Schmuckversicherungen spezialisierte Versicherungsgesellschaft an die Agentur gewandt hat, weil die Polizei nichts erreicht hatte. Dreizehn Diebstähle in sechs Monaten. Ohne eine Spur. Ohne den kleinsten Anhaltspunkt.

      Und heute Morgen … Torrence und der rothaarige Émile waren, die schwere Fotoausrüstung mit sich schleppend, zur selben Zeit am Tatort erschienen wie die Polizei. Vor dem Schaufenster des Juweliers hatte sich eine Menschentraube gebildet.

      »Entschuldigung, Chef«, rief Émile. »Könnten Sie mir bitte mal helfen, einen neuen Film einzulegen?«

      Torrence kam. Émile flüsterte ihm zu:

      »Unter meinem Fuß … Ein Taschentuch … Sei vorsichtig.«

      Torrence ließ etwas fallen, und während er sich bückte, um es aufzuheben, schnappte er sich das Taschentuch. Etwas später, als ihn niemand beobachtete, steckte er es in einen Umschlag, den er in seiner Tasche verschwinden ließ.

      Wer könnte das gesehen haben? Vielleicht einer, der draußen in der Menge zwischen den zwei- oder dreihundert Schaulustigen stand.

      Im Taxi, mit dem sie zurück in die Cité Bergère gefahren waren, hatten sie sich das Taschentuch angesehen. In der einen Ecke war ein Wäschereizeichen.

      »Jetzt haben wir ihn«, hatte Émile gesagt. »Torrence, du fängst heute Mittag damit an, die Pariser Wäschereien abzuklappern …«

      Das Telefon klingelt.

      »Hallo? Ja … Wo? Im Quatre Sergeants? Nun, dann isst du eben auch zu Mittag, alter Junge. Was soll ich dir sonst sagen? Wenn du den Fehler machst, sie aus den Augen zu verlieren …«

      Dann erklärt er Torrence:

      »Dein junges Fräulein aus La Rochelle sitzt jetzt im Restaurant Quatre Sergeants an der Bastille und hat gerade ihr Mittagessen bestellt … Riechst du immer noch nichts?«

      »Ich glaub, ich krieg eine Erkältung, Chef.«

      »Aber das sollte dir nicht auch die Augen verstopfen …«

      Von dem gelben Umschlag auf dem Boden steigt eine dünne Rauchfahne auf. Torrence will sich auf ihn stürzen.

      »Lass ihn einfach liegen, alter Junge«, sagte Émile. »Genau, was ich vermutet habe.«

      »Sie wussten, dass der Umschlag anfangen würde zu brennen?«

      »Wenn nicht, hätte sie keinen Grund gehabt, so hartnäckig darauf zu bestehen, dass du ihn im Safe einschließt.«

      »Ich muss gestehen …«

      »… dass du nichts verstehst. Dabei ist es ganz leicht. Jemand hat gesehen, wie du das Taschentuch aufgehoben und in deine Tasche gesteckt hast. Jemand hat sofort begriffen, dass wir endlich einen Anhaltspunkt haben, und da der Ruf der Agence O ein recht bedeutender ist, hat jemand Angst bekommen. Wann sind wir ins Büro zurückgekommen, Torrence?«

      »Um halb elf.«

      »Und um elf kommt diese Denise hereinspaziert. Wo konnte das Taschentuch zu diesem Zeitpunkt sein? Entweder war es noch in deiner Tasche, oder du hast es auf den Schreibtisch gelegt oder, noch besser, da du ein vorsichtiger Mann bist, hast du es vorübergehend in den Safe gelegt. Sieh mal …«

      Jetzt züngelt eine kleine Flamme aus dem Umschlag, und dann, wenig später, ist er samt seines Inhalts verbrannt.

      »Da hast du’s! Hättest du den Umschlag im Safe liegen lassen, wären jetzt alle Unterlagen darin verbrannt. Ein kleiner Trick, den man schon als Chemiestudent lernt. Man tränkt Löschpapier mit irgendeiner chemischen Lösung, und in Verbindung mit Luft geht es nach einer gewissen Zeit in Flammen auf.

      Während dir die junge Dame aus La Rochelle ihr Märchen aufgetischt hat und du darauf eingegangen bist, ist sie in deinem Büro auf und ab gegangen und hat jede Kleinigkeit aufgenommen.

      Du hast den Safe aufgemacht, und sie hat sich vorgebeugt und direkt hineingeschaut. Den Umschlag mit dem Taschentuch hat sie nicht gesehen.

      Also steckte es mit großer Wahrscheinlichkeit noch in deiner Tasche. Dann musste sie dir eben noch eine kleine Komödie vorspielen, die des erschöpften Fräuleins, das ohnmächtig wird und sich an die Schultern ihres netten, fetten Retters klammert.«

      »So fett bin ich nun auch wieder nicht«, protestiert Torrence.

      »Trotzdem ist es ihr gelungen, und während sie in deine Arme gesunken ist, hat sie sich das Taschentuch zurückgeholt, und wenn dieses Untier von Barbet sie unglücklicherweise verliert …«

      Er nimmt seinen Hut und Mantel.

      »Ich gehe besser und kümmer mich selbst darum.«

      »Wollen Sie mich dabeihaben, Chef?«, fragt der arme, eingeschüchterte Torrence mit der Haltung eines geprügelten Hundes.

      Und doch wird er in der ganzen Welt als einer der größten Detektive angesehen.

      II Wo eine Traubenschere zweckentfremdet wird und wo einem Rumpunsch eine unerwartete Bedeutung zukommt

      Alle Gäste sind gegangen, einer nach dem anderen. Das Restaurant ist praktisch leer. Jetzt riecht es nur noch nach abgestandenen Küchendünsten, Wein und Kaffee.

      Drüben in einer Ecke nahe der Tür hat Émile Barbet abgelöst, nachdem sie gemeinsam zu Mittag gegessen haben; gut gegessen sogar, denn es gab Schnecken, und Émile hat zwei Dutzend verspeist. Unglaublich, was sich Émile, so lang und dünn, wie er ist, alles einverleiben kann – selbst die reichhaltigsten Speisen, die am schwersten zu verdauen sind und vor denen sogar der stärkste Magen zurückschreckt.

      »Geh zurück ins Büro«, sagt er zu Barbet. »Sag dem Chef, dass ich noch nicht weiß, wann ich zurück sein werde.«

      Hat