Ursula Isbel-Dotzler

Pferdesommer mit Lara


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war ein ungewöhnlich großes, schönes Pferd. Die Sonne brachte sein Fell zum Glänzen. Unwillkürlich bewunderte ich seinen edlen, gebogenen Hals und die kupferrote Mähne.

      Sobald es festen Boden unter seinen Hufen spürte, war es wie verwandelt. Es tänzelte ein wenig, doch die Anspannung wich aus seinem Körper, und es sah sich aufmerksam um, wobei sich seine Ohren ständig bewegten.

      Aus dem Innern des Lastwagens drang dumpfes Gepolter. Sie hatten also noch ein drittes Pferd mitgebracht. Mein Blick ging zu dem Mädchen, das den Apfelschimmel hielt. Da sah ich, dass Bonnie aufgestanden war. Langsam begann sie, den Weg entlangzutrotten, genau in meine Richtung.

      Ich drehte mich um und rannte den Trampelpfad zurück, über den ich gekommen war.

      In meiner Panik stolperte ich über eine Wurzel, fiel ins Gestrüpp und schrammte mir die Nase auf. Mit einer Hand griff ich mitten in die Brennnesseln.

      Es brannte höllisch, und ich hätte heulen können – vor allem aus Wut, weil sie mich zu einem Eindringling machten und weil ich vor ihnen flüchten musste. Sie wollten sich offensichtlich für immer hier einnisten, mit ihrem Hund und ihren Pferden.

      Erst später fragte ich mich, wie sie denn in Eulenbrook leben wollten. Das Haus war praktisch unbewohnbar. Nur der Stall war in gutem Zustand. Er war vor ungefähr fünf Jahren renoviert worden, weil ein Bauer aus der Umgebung vorgehabt hatte, seine Kühe darin unterzubringen. Dann war nichts daraus geworden und der Stall war weiter unbenutzt geblieben.

      Auf dem Heimweg fiel mir Ronjas Ohrring wieder ein. Die einzige Chance, ihn zu finden, war verpasst. Ich konnte nicht mehr nach Eulenbrook zurück.

      Aber vielleicht war es ja richtig so, dass einer der beiden Ohrringe irgendwo in Eulenbrooks Garten verborgen lag – dort, wo mir Ronja während der letzten beiden Jahre am nächsten gewesen war. Einer für sie, einer für mich.

      5

      »Sie haben Pferde nach Eulenbrook gebracht«, sagte meine Mutter beim Abendessen. »Frau Pfefferle hat es mir erzählt.«

      Frau Pfefferle war die Inhaberin unseres Supermarkts, bei der alle Fäden zusammenliefen. Wenn etwas Neues in unserem Städtchen passierte, wusste sie es sofort, und die Nachricht verbreitete sich in Windeseile. Ronja hatte sie immer »die Urwaldtrommel« genannt.

      Ich sagte nicht, dass ich das mit den Pferden bereits wusste. Stumm schob ich die Fischstäbchen auf meinem Teller hin und her. »Sie haben das Anwesen übrigens geerbt, nicht gekauft«, fügte meine Mutter hinzu.

      Mein Vater hob den Kopf. »Geerbt? Für eine solche Erbschaft würde ich mich aber bedanken! Sie müssen jede Menge Geld aufbringen, um das Haus einigermaßen bewohnbar zu machen.«

      »Das haben sie sicher auch. Jemand, der drei Pferde hält, ist bestimmt kein armer Schlucker.«

      »Nicht alle Leute, die Pferde haben, sind reich.«

      Meine Eltern sahen mich überrascht an. Sie waren inzwischen so an mein Schweigen gewöhnt, dass sie es kaum glauben konnten, wenn ich mich in ihre Gespräche einmischte.

      »Pferde kosten Geld, besonders ihr Unterhalt«, sagte mein Vater. »Aber vielleicht wollen sie eine Reitschule eröffnen.«

      Eine Reitschule! Daran hatte ich noch nicht gedacht.

      »Mit drei Pferden?«, fragte Mama zweifelnd.

      »Vielleicht kommen ja noch mehr Pferde nach. Hättest du nicht Lust, Reitunterricht zu nehmen, Rikke?«

      Als Ronja noch lebte, hätten wir beide unheimlich gern Reiten gelernt. Ronjas größter Wunsch war ein eigenes Pferd gewesen, doch damals mussten unsere Eltern das Haus und den Fotoladen abbezahlen und sparten an allen Ecken und Enden. Heute hätte ich ihnen vielleicht einen Gefallen getan, wenn ich wieder für irgendetwas Begeisterung gezeigt hätte.

      »Nein danke«, sagte ich. »Kein Bedarf.«

      Sie wechselten einen Blick. Mama unterdrückte einen Seufzer.

      »Weiß man schon etwas über diese Leute?«, fragte mein Vater hastig.

      »Es ist ein Mann, der Theisen heißt, mit seinem Sohn und seiner Tochter. Eine Mutter scheint es in dieser Familie nicht zu geben.«

      »Vielleicht sind sie geschieden.«

      Ob ich wollte oder nicht, ich stieß immer wieder auf die neuen Besitzer von Eulenbrook. Mama beobachtete mich.

      »Rikke, du isst ja wieder nichts!«, sagte sie. »Und wie du aussiehst! Wie ist das eigentlich passiert, dass du vom Rad gestürzt bist?«

      Ich sagte, ich hätte nicht aufgepasst und wäre im Wald über eine Wurzel gefahren.

      »Du solltest nicht so allein durch die Gegend radeln. Hast du die Wunden desinfiziert?«

      Ich nickte. Sie fragte nach Isabell.

      »Isabell fliegt morgen nach Mallorca«, sagte ich, erzählte aber nicht, dass wir schon seit einigen Monaten einfach nichts mehr miteinander anfangen konnten. Früher waren wir mit Isabell befreundet gewesen, Ronja und ich, doch sie hatte sich verändert. Ich fand sie oberflächlich und schrill. Umgekehrt hielt sie mich wahrscheinlich für einen schnarchlangweiligen Trauerkloß. Damit war sie nicht die Einzige in unserer Schule.

      »Ich weiß einfach nicht mehr, was ich noch kochen soll!«

      Meine Mutter sah so verzweifelt aus, dass sie mir leidtat. Um ihr einen Gefallen zu tun, würgte ich zwei Fischstäbchen hinunter und kaute ein paar Salatblätter. Später hatte ich Magenschmerzen und hätte mich am liebsten übergeben, um die Fischstäbchen wieder loszuwerden.

      Jetzt wo ich nicht mehr nach Eulenbrook konnte, wusste ich nicht, wohin, so als gäbe es für mich keinen anderen Ort auf der Welt. Unser eigener Garten war winzig und aufgeräumt, mit ein paar künstlich wirkenden Nadelbäumen im Miniaturformat und einer rechteckigen Rasenfläche – pflegeleicht, wie meine Eltern sagten.

      Ins Schwimmbad mochte ich nicht. Da saßen sie alle in Cliquen beisammen, rauchten und machten hämische Bemerkungen über jeden, der nicht dazugehörte. Es war wie Spießrutenlaufen, im Badeanzug zum Becken zu gehen.

      »Sie denkt, sie ist schön, wenn sie ihr klapperndes Gebein durch die Gegend schiebt.« Das hörte ich besonders oft von den Mädchen. Sie begriffen nichts, wussten nicht, dass es mir nicht darum ging, besonders schlank zu sein, dass ich seit der Sache mit Ronja einfach keinen Appetit mehr hatte und mich zu jedem Bissen, den ich schlucken sollte, zwingen musste.

      Ungefähr eine halbe Fahrradstunde vom Städtchen entfernt gab es einen kleinen See, aber auch der war im Sommer total überlaufen. Ich wünschte, wir wären in Urlaub gefahren. Aber meine Eltern hatten einen Fotoladen und wollten sich das Geschäft mit den Touristen, die jetzt in unser altes Städtchen kamen, nicht entgehen lassen.

      In der folgenden Woche unternahm ich lange Radtouren über die Hügel und durch die Felder. Dabei musste ich immer an dem Waldstück vorbei, hinter dem Eulenbrook verborgen lag.

      Einmal sah ich den schwarzen Wagen aus der Zufahrt kommen, machte rasch einen Schlenker und fuhr über die Böschung zwischen die Büsche. Dort blieb ich stehen und wartete, bis sie verschwunden waren.

      Inzwischen glaube ich daran, dass das Schicksal bestimmte Begegnungen für uns vorgesehen hat und dass wir ihnen nicht ausweichen können, ganz gleich, was wir auch tun. So war es mit mir und Arne Theisen.

      Einige Tage später, an einem ungewöhnlich heißen Julimorgen, machte ich mich mit dem Rad auf den Weg zum Waldsee. Der frühe Morgen war die einzige Tageszeit, zu der ich den See, der eigentlich mehr ein Weiher war, für mich hatte und ein paar Runden in Ruhe schwimmen konnte.

      Es war noch nicht einmal sieben Uhr, als ich über den Kiesweg radelte und das Ufer mit dem dichten Schilfgürtel erreichte. Teichrohrsänger flöteten leise irgendwo in den Binsen und eine türkisfarbene Libelle düste im Zickzackflug vor mir her.

      Die Morgensonne lag mit sanftem Schimmer auf der Wasseroberfläche, in der sich die Tannen