Nataly von Eschstruth

Der Majoratsherr Bd. 1


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in aller Herzen, und die Bürger von Angerwies, welche für gewöhnlich nur den Geburtstag ihres Landesfürsten feierten, jubelten bei der gegebenen Anregung, zweimal im Jahre ihren Gefühlen freien Lauf lassen zu können.

      Von selber waren sie nicht auf den Gedanken gekommen; erstens waren sie zu schwerfällig, um selbständige Neuerungen zu treffen, und zweitens grollten sie immer noch ein wenig, weil man trotz ihrer wiederholten Bitten Angerwies nicht zur Garnison gemacht hatte. Wer hätte aber jetzt an so etwas gedacht, wo Graf Rüdiger mit seiner Gemahlin ihr Erscheinen auf dem Kriegerball zugesagt hatten, wo die Runde ging, der Graf habe drei Fässer Wein durch Simmel kommen lassen, um sie dem Verein als Ehrengeschenk zu machen!

      Eine fieberhafte Thätigkeit entwickelte sich in dem Städtchen. Die Damen wuschen die weissen Kleider, kauften Band und Spitzen, und die Schneiderinnen konnten kaum die Arbeit bewältigen, welche auf sie einströmte. Die Herren bürsteten die Fracks und liessen sich neue Stiefel anmessen. Die Väter der Stadt sassen Abend für Abend im Gastzimmer der „Stadt Hamburg“, um gebläht vor Stolz und Genugthuung mit dem leutseligen Grafen zu verkehren wie mit ihresgleichen.

      Ja, die Herren stürmten das Hotel, um die Bekanntschaft zu machen. Die Damen aber mussten es voll brennender Ungeduld abwarten, bis der Kriegerverein ihnen Gelegenheit geben würde, die sagenhafte Gräfin Aug in Auge zu sehen. So ein Leben hatte Angerwies noch nie gekannt, — und mitten in die hochgradige Erregung fiel die Nachricht, das gräfliche Paar sei, gütig und friedliebend, nach Schloss Niedeck gefahren, um den verrückten Grafen zu besuchen, dieser aber habe den Vetter voll schroffen Hasses zurückgewiesen. — Dies war zu viel für die begeisterten Gemüter, — in wilden Flammen loderte die Empörung gegen Graf Willibald auf.

      III.

      — — — Gold ist’s ja, das Zutritt kauft sehr oft; ja es besticht Dianens Förster, dass sie selbst das Wild dem Dieb entgegen treiben.

      Shakespeare. Cymbeline II. Aufz. 3. Sc.

      Der bedeutungsvolle Tag brach an.

      Als erste Nachricht, welche die Herzen der weiblichen Bewohner von Angerwies hoch aufschlagen liess, kam die Kunde von der Post, dass für die Frau Gräfin eine mächtige Kiste aus der Residenz angekommen sei, welche sicher eine Toilette berge, wie sie seit Bestehen der Stadt noch nicht in ihren Mauern geschaut war.

      Da huschte es hin und her zwischen den Hausthüren, um dieses Ereignis voll höchster Mutmassungen zu besprechen; — die älteren Damen wandelten ungeniert in den Morgenhauben, deren Fülle die Haarnadeln, über welche die Scheitel festlich gewellt waren, teilweise versteckten! — Die jungen Mädchen aber hatten sich wahrhaft orientalisch verschleiert, um jedem Späherauge die Papilloten zu verbergen, in deren Ergebnissen die Hauptüberraschungen des Abends gipfelten.

      Es wari n Angerwies selbstverständlich, dass man vor einem Ball nicht zweimal Toilette machte, sondern tagsüber in jenem geheimnisvollen, unfertigen, halbverträumten Negligee einherschwebte, welches die Deckblätter der Knospe repräsentierte, aus welchen abends die strahlende Blüte brach!

      Dieses „Nachtjacken-Lockenwickel-Morgenschuh-Idyll“ gehörte nun einmal zu jeder Festvorfreude, darum starrten die Schönen von Angerwies auch höchlichst verblüfft auf die Gräfin, welche auch heute in eleganter Promenadentoilette schon vormittags spazieren ging, und bei Tisch sich ganz wie gewöhnlich schick und fesch gekleidet vor den Herren der table d’hôte zeigte.

      „Ja, die Residenzlerinnen“, seufzte die Frau Bürgermeisterin, „die sind auf das Toilettenmachen ganz anders eingedrillt als wie unsereins! Die können’s auch! Hat doch die Gräfin ihre französische Kammerjungfer noch nachkommen lassen, weil der alte Friseur hier sich absolut nicht auf ihre neumodische Frisur verstand. Du lieber Gott, wie soll er auch! Er legt nur Schnecken von den Haaren und kann sechzehndrähtig breite Zöpfe flechten, das ist seine Hauptkunst! Aber die Gräfin mit all ihren kleinen Löckchen ... o es sieht ja zum toll werden schön ans, wie der Assessor sagt — und meine drei Mädels ... heut abend ... o, wenn sie ahnten!“ Dabei aber schlug sich die indiskrete Mutter selber mit der flachen Hand vor den Mund und kicherte: „Du lieber Gott .. ich darf ja beileibe nichts verraten!“

      So waren die Kemnaten überreich mit dem interessanten Gesprächsstoff versehen, aber auch das Ewig-Männliche von Angerwies hatte ein Thema gefunden, welches gar nicht genug besprochen werden konnte!

      Überall auf der Strasse sah man die ehrsamen Bürger zusammenstehen, wie düstere kleine Wetterwolken, welche sich immer finsterer und drohender zusammenballen, um sich schliesslich als Gewitter zu entladen.

      Obwohl der Tag kühl und regnerisch war, redeten sich die Männer doch immer mehr in die Hitze, so dass zur Mittagszeit ein jeder nach Hause dampfte wie ein Kessel, welcher dicht vor dem Platzen steht. War solch eine Beleidigung, solch eine Schmach je zu verwinden, je zu vergessen?

      Wehe dem Schafpelz von Niedeck, welcher so den Hass geschürt und die Rache herausgefordert hatte!

      Also hatte sich die Geschichte zugetragen: Obwohl Graf Rüdiger und seine Gemahlin umsonst an dem Portal von Schloss Niedeck angeklopft hatten, kannten die hochherzigen, edlen Menschen doch kein Gefühl des Zornes und der Rache, im Gegenteil, Graf Rüdiger hatte sich abends zu den alten Freunden der table d’hôte und den Vätern der Stadt gesetzt und hatte mit ihnen ehrlich und aufrichtig, wie zu seinen besten Vertrauten gesprochen. Obwohl ihn Graf Willibald jüngsthin noch aufs herzloseste gekränkt hatte, war er doch zu ihm nach Niedeck gefahren, die Hand der Versöhnung zu bieten. Nicht um seinetwillen — o bewahre! Es kann dem Millionär Rüdiger ganz gleichgültig sein, ob der Vetter ihm zürnt oder nicht, er trägt kein Begehr nach dem Majorat, welches sein Sohn ja doch einmal erben muss und wird, — nein, um der armen, vernachlässigten Angerwieser wollte Graf Rüdiger auf Niedeck vorsprechen! Er beabsichtigte dem geizigen Vetter einmal ernstlich in das Gewissen zu reden, dass er sich der Seinen doch besser annehmen möge! Da gab es eine neue Gemeindeschule zu bauen, welche der Majoratsherr selbstredend der Stadt zum Geschenk machen müsste, dann war es dringend nötig, Chausseen und Wege verbessern zu lassen, eine Ausgabe, welche er der armen Stadt auf jeden Fall abnehmen müsste! Nun und schliesslich noch so tausenderlei anderes! Man sah ja, wie Handel und Wandel aufblühten, wenn ein wirklich gräflich auftretender Niedeck nur acht Tage lang in der Stadt weilte! Hier hatte sich der Sprecher allerdings seufzend unterbrochen: „Dies letztere wird allerdings nie bei Graf Willibald zu erreichen sein, denn wo keine Frau im Hause ist, kann kein Aufwand gemacht werden, da gibts keine Ansprüche, keine Geselligkeit! — Wie soll aber ein Verrückter heiraten? Dieser Gedanke ist leider ganz ausgeschlossen!“ — Dann aber hatte er die jammernden Häupter getröstet, er wolle noch ein Letztes versuchen, günstig auf seinen Vetter einzuwirken. Er bäte darum, dass man dem Grafen eine formelle Einladung zum Festaktus und Ball des Kriegervereins schickte! Graf Willibald habe ja freilich nie am Pulver gerochen und keinen feindlichen Franzosen je zu Gesicht bekommen, dennoch müsse er so viel Patriotismus besitzen, um an dem Feste teil zu nehmen! Er könne ja die freundliche Einladung gar nicht ablehnen, ohne dadurch sämtliche Bürger der Stadt aufs tödlichste zu kränken und zu beleidigen. Nur Krankheit könne ihn entschuldigen — er sei aber nicht krank. Sagte er dennoch ab, wäre es eine Schmach! Auf dem Ball aber wolle Graf Rüdiger den Vetter schon stellen, dass er ihm Gehör geben müsste, und dann wollte er auf jeden Fall die Schule und Chausseebauten bei ihm durchsetzen.“

      Welch eine Aufregung hatten diese Worte verursacht! Sie wirkten wie ein Stich ins Wespennest!

      Man jubelte Graf Rüdiger zu und er mass mit funkelnden Augen, die Möglichkeit, dass der Majoratsherr vielleicht doch absagen könne! Bei diesen Gedanken ballten sie die Hände zu Fäusten!

      Dann hatte man eine feierliche, sehr schmeichelhafte und respektvolle Einladung aufgesetzt, welche zwei Herren persönlich nach Schloss Niedeck brachten.

      Natürlich bekamen sie den Grafen, welcher ausgegangen sei, nicht zu Gesicht. Aber es sollte baldmöglichst Antwort geschickt werden. Heute morgen war diese Antwort endlich eingetroffen, und als der Bürgermeister sie las, brach es wie ein Wutschrei über seine Lippen.

      „Er kommt nicht, Lieschen! — zum Teufel, er kommt nicht!!“ —

      Frau