gibt nichts zu besprechen zwischen uns. Das hier ist ein rein geschäftliches Meeting. Ich schlage vor, wir belassen es dabei.“
„Äh, also wenn du meinst.“
„Absolut.“
„Gut, dann Augenblick. Ich rufe mal eben die Datei auf.“ Ich ging zu dem Hauptterminal, über dessen Bildschirm wir die Aufnahmen sehen würden, und tippte mein Passwort ein. Einen Moment später hatte ich die Datei geöffnet. Während ich das tat, wirbelten die Gedanken durch meinen Kopf. Anscheinend war doch alles in Ordnung zwischen uns. Das war gut. Sehr gut. Ich kam davon, ohne falsche Schuldbekenntnisse von mir geben zu müssen.
Besser hätte es nicht laufen können.
Trotzdem fühlte es sich an, als sei sie total wütend auf mich, aber das lag bestimmt daran, dass ich mit einem emotionalen Ausbruch gerechnet hatte. Mit Vorwürfen. Vielleicht ein paar Tränen. Ich hätte nie gedacht, Marli könne diese eiskalte Fassade so lange aufrechterhalten. Aber vielleicht war es ja keine Fassade, vielleicht war sie wirklich so emotionslos mir gegenüber.
„So geht das nicht.“ Wir hatten nicht mal fünf Minuten von dem Material gesehen, als Marli mit dem Zeigefinger auf die Tastatur hieb, um das Video zu stoppen. Dann fuhr sie sich mit beiden Händen durch die Haare und schloss für einen Moment die Augen. „Ich hatte schon befürchtet, dass es schlimm sein würde, aber so schrecklich hatte ich es mir nicht vorgestellt.“
„Was meinst du damit? Wir sind Profis. Es ist ja nicht so, als wären wir da unten mit einer Spitzhacke zugange.“
„Profis? Ja, vielleicht. Wenn es darum geht, alles zu zerstören.“ Sie deutete mit dem Finger auf den Bildschirm. „Ihr arbeitet mit diesem Staubsauger.“
„Das ist kein Staubsauger, das ist ein …“
„Ist mir egal, wie ihr das nennt. Mit diesem Sauger macht ihr alles kaputt. Absolut alles!“
„Sollen wir da unten jede Goldmünze mit einem Pinsel abstauben, bevor wir sie nach oben bringen? Am besten einzeln und dabei noch in die Kamera grinsen?“ Allmählich redete ich mich in Rage. „Wie hättest du es denn gerne am liebsten? Auf einem roten Samtkissen präsentiert? Mit einem Glas Champagner dazu?“
„Ja, genau so.“ Marli stemmte die Hände in die Hüften und funkelte mich an. „Ich bin kein Idiot, Dylan. Ich weiß, ihr arbeitet unter Wasser, in Tiefen, in denen es gefährlich ist. Mir ist vollkommen bewusst, dass ihr weder alle Zeit der Welt habt noch wie ein ausgebildeter Archäologe vorgehen könnt, aber das? Ist das dein Ernst? Selbst dir muss klar sein, dass ihr nicht alles einfach aufsaugen könnt. Ich meine, wie soll ich das dokumentieren? Wie soll ich die Stücke katalogisieren und den Fundort beschreiben? Als ‚gefunden in einer riesigen Staubwolke‘? Außerdem macht ihr alles kaputt. Ich will gar nicht wissen, wie viele Artefakte schon beschädigt oder zerstört wurden, wenn ihr mit diesem Ding zugange seid.“
„Das Ding, wie du es nennst, ist vor allem dazu da, einen Überblick zu bekommen von dem, was sich dort unten befindet. Falls du es noch nicht gemerkt hast, wir haben die Galeone selbst bisher nicht gefunden. Die Strömung hat anscheinend einiges von dem, was an Bord war, davongetragen. Wir tappen also vollkommen im Dunkeln.“
„Das ist mir egal, Dylan. Ich wurde engagiert, damit ihr eine Vorgehensweise adaptieren könnt, die es Archäologen erlaubt, auch später noch zu rekonstruieren, was …“
„Marli, nimm mal den Stock aus dem Arsch. Was soll irgendjemand da unten rekonstruieren wollen? Dort fanden keine historischen Ereignisse statt. Ein Schiff ist gesunken. Das war’s. End of Story.“
„Du bist unmöglich, Dylan. Weißt du das?“
„Ja, das weiß ich ziemlich genau. Immerhin zeigst du mir seit Monaten die kalte Schulter. Ist ja nicht das erste Mal, dass ich versuche, mit dir zu reden. Aber hältst du es auch nur für nötig, ein Wort zu mir zu sagen? Nein, nicht du. Für dich war das alles bloß ein riesiger Fehler, über den man nicht reden muss und an dem ich allein schuld bin.“
„Du weißt gar nichts von mir, Dylan. Noch weniger weißt du, was ich denke, fühle oder mir wünsche.“ Marli raffte mit fahrigen Bewegungen ihre Sachen zusammen. „Aber das ist egal. Ich bin hier, um meine Arbeit zu erledigen, und genau das werde ich tun. Was ich gesehen habe, reicht mir.“ Mit diesen Worten rauschte sie davon. Und ich stand da und schaute ihr nach.
6
Marli
Na, großartig! Genau so hatte diese Besprechung nicht ausfallen sollen. Mein persönlicher Worst Case war eingetroffen, dabei hatte ich mir ganz fest vorgenommen, mich nicht von meinen Gefühlen beeinflussen zu lassen. Und nun stand ich hier und wusste nicht, ob ich schreien sollte oder doch lieber heulen oder etwas kaputtschlagen. Wut ballte sich brodelnd in meinem Bauch zusammen, meine Brust fühlte sich viel zu eng an und nahm mir den Atem. Ich hatte das Gefühl, mir tat alles weh vor lauter Anspannung, und auch wenn ich es mir nicht eingestehen wollte, am schlimmsten zog es im Herzen. Wir hatten alles kaputtgemacht. Wir beide.
Früher einmal war Dylan ein Freund gewesen, fast als wäre er auch mein großer Bruder. Er hatte nicht nur auf Lou aufgepasst, sondern auch auf mich. Er war immer für uns da gewesen, und in der einen oder anderen Situation war es wirklich cool gewesen, einen Bodyguard wie Dylan zu haben. Alles war perfekt, bis zu dieser Party am 4. Juli. Die Tauchschule blieb am Unabhängigkeitstag natürlich geschlossen, wir schauten uns gemeinsam mit ein paar Freunden die Parade an und kehrten dann in einer Cocktailbar ein. Von da an fing alles an, aus dem Ruder zu laufen, und mittlerweile waren wir nicht einmal mehr in der Lage, uns über das aktuelle Wetter zu unterhalten.
Seitdem Tyler mir erklärt hatte, dass ich hauptsächlich mit Dylan arbeiten würde, hatte ich mir fest vorgenommen, zumindest ein gutes professionelles Verhältnis zu ihm aufzubauen und für ein paar Monate, solange die Bergung hier dauerte, alles zu vergessen, was geschehen war. Anfangs war mir das tatsächlich geglückt, ich hatte Dylan sachlich erklärt, warum das Vorgehen mit diesem komischen Staubsauger aus archäologischer Sicht absolut indiskutabel war. Aber dann … Sein ironisches Grinsen, die Art, wie er mit mir sprach, wie er meine Bedenken lächerlich machte, seine ganze Körperhaltung … Ich fühlte mich wie ein kleines Kind, das von seinem Lehrer zurechtgewiesen wurde. Setzen, sechs. Durchgefallen. Dabei hatte ich sämtliche Fakten auf meiner Seite. Was ich forderte, sollte selbst für Dylan, der anscheinend dem Schatzsucher-Virus verfallen war, nachvollziehbar sein. Ich wollte doch nur, dass die Artefakte, egal, welcher Art, erhalten blieben und nicht unter der Kraft dieses Saugers zerstört wurden. Wenn ich mir vorstellte, dass eine zarte Teetasse angesaugt wurde – so filigran gearbeitet, aus feinstem Porzellan und liebevoll per Hand bemalt. Es musste ja wohl verständlich sein, dass so eine Tasse es nicht überleben würde. Oder war es Dylan egal, da er eh nur an den wertvolleren Dingen interessiert war, die man teuer verkaufen oder eintauschen konnte? Goldmünzen, silberne Lüster, Schmuck, wertvolle Gemälde … Was kümmerte ihn da eine zarte, kleine Teetasse?
In meinem Bauch ballte sich ein Kloß zusammen und verursachte mir Übelkeit; Tränen stiegen mir in die Augen, als ich aus dem Besprechungsraum stürzte. Gerade rechtzeitig, denn das Letzte, was ich wollte, war, ausgerechnet vor Dylan in Tränen auszubrechen. Gedankenfragmente wirbelten in meinem Kopf durcheinander wie Blätter in einem heftigen Herbststurm. Ich war nicht in der Lage, auch nur einen von ihnen zu fassen. Halb blind stolperte ich durch die Gänge der Jacht, bis ich an eine Treppe kam. Die war vorhin noch nicht hier gewesen. Oder irrte ich mich? Ich wischte mir über die Augen und schaute mich um. Nein, nicht diese Treppe war neu, ich hatte mich auf der großen Jacht verlaufen. Auch der Flur war hier viel schmaler, und alles wirkte beengter als in dem Bereich, wo meine Kabine lag.
„Hey, suchst du was? Kann ich dir helfen?“
Ich drehte mich um und entdeckte den Mann, mit dem Dylan sich gestern beim Abendessen angelegt hatte. Ich hatte nicht hören können, worum es in ihrem Streit gegangen war, doch anscheinend war der Mann vor mir ebenso schlecht auf Dylan zu sprechen wie ich.
„Entschuldige,