Joseph von Eichendorff

Dichter und ihre Gesellen


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sie rasch die Spur des Fremden, der unterdes schon den Gipfel des nächsten Hügels erreicht hatte; nur seine Rockschöße sahen sie noch manchmal zwischen den Gebüschen fliegen, bis sie ihn zuletzt ganz aus den Augen verloren. Nach mühsamem Umherirren gelangten sie endlich an ein halbverfallenes, rings von hohem Unkraut umgebenes Haus, dessen Türen und Fenster fest verschlossen waren. „Da ist er gewiß hineingeschlüpft“, sagte Lothario und klopfte an die alte Tür. Es erfolgte keine Antwort, aber im Innern des Hauses hörten sie ein gewaltiges Gepolter, als würden Tisch und Bänke hastig an die Tür geschoben. Lothario pochte von neuem, stärker und immer stärker. Da flog plötzlich oben eine Dachluke auf, und mit zornblitzenden Augen erschien in der Öffnung ein kleiner, lebhafter Mann, in dem Fortunat zu seinem Erstaunen sogleich den nächtlichen, seltsamen Geiger aus dem Weinkeller in Walters Städtchen wiedererkannte. – „Doktor! – Dryander!“ riefen die Schauspieler überrascht aus.

      „Was wollt ihr?“ fuhr sie der Musikus von oben sehr heftig an. „Denkt ihr, ich werde aus den frischen Berglüften zu eurem dicken Lampendunst hinabkommen und das Volk lassen um das Publikum, und das Rauschen der Wälder um eure Triller und Sentenzen? Geht hinunter und weint um Hekuba, wenn ihr nicht über eure eigene Misere weinen könnt!“ Hier sah er erst seine Zuhörer einen nach dem andern genauer an. „Entsetzlich“, sagte er nach einer kurzen Pause zu Ruprecht, „du schaust wie ein brennender Busch aus. – Und du, idealer, blaß verwaschener Musen-Bräutigam, redest du jede Magd noch Jungfrau an und forderst den Stiefelknecht in Jamben? – Aber dich, Barbar, der in Blut watet und von den Tränen des Publikums lebt, dich erkannt ich gleich an der roten, tyrannischen Stirne wieder!“ Jetzt wurde er plötzlich auch Lothario gewahr, er stutzte, und wie ein Morgenleuchten überflog es sein ganzes Gesicht, dann warf er schnell das Dachfenster zu. Lothario aber hatte unterdes schon die morsche Tür eingerannt und über die umgeworfenen Stühle, womit sie verrammelt war, das Zimmer erreicht.

      Als die übrigen eintraten, fanden sie beide in einem leisen, heftigen Gespräch, das Laub vor dem Hause verbreitete eine wunderbare, grüne Dämmerung über die kleine Stube, durchs offene Fenster hörte man den mehrstimmigen Gesang der zurückgebliebenen Schauspieler von unten heraufschallen:

      Wir wandern wohl heut noch weit.

      Wie das Waldhorn schallt!

      O grüner Wald,

      O lustige, lustige Sommerzeit!

      Dryander war auf einmal wie verwandelt. „Das ist noch das alte Lied“, sagte er und schob ein paar Bücher in seine Rocktasche, „das hab ich euch damals komponiert, um eure Affekte von den Wirtshäusern auf die schöne, erhabene Natur zu lenken. Seid ihr noch immer so durstig? Und lebt Kordelchen noch, den Kennern zur Freude und den Frauen zum Trotz?“

      „O lustige, lustige Sommerzeit!“

      klang es wieder herauf. Da hatte der Doktor hastig wieder ein paar Bücher eingesteckt, nahm die Geige unter den Arm und setzte seinen Hut auf, die andern drängten ihn schon zur Tür hinaus, und so stiegen sie eilig mit dem Doktor die Höhe hinab.

      Unten auf der Waldwiese fanden sie alles soeben schon im Begriff, wieder aufzubrechen. Ein allgemeiner Jubel begrüßte die Ankommenden, und alle umringten den wiedergefundenen Doktor, der früher einmal als Musikdirektor die Gesellschaft eine Zeitlang begleitet hatte. Dieser embrassierte die alten Kameraden nach der Reihe durch, küßte dann der Dame Kamilla (die eben nicht sehr erfreut schien, ihn wiederzusehen) zierlich die Hand und half ihr, da Herr Sorti ängstlich zur Forsetzung der Reise trieb, mit ausnehmendem Anstande auf den Rüstwagen.

      Unter diesem Bewillkommungs-Getümmel bewegte sich endlich der Zug langsam weiter. Dryander aber setzte sich an die Spitze, ergriff seine Geige und spielte und sang, daß es weit durch den Wald erschallte:

      Mich brennts an meinen Reiseschuhn,

      Fort mit der Zeit zu schreiten –

      Was wollen wir agieren nun

      Vor so viel klugen Leuten?

      Es hebt das Dach sich von dem Haus,

      Und die Kulissen rühren

      Und strecken sich zum Himmel raus,

      Strom, Wälder musizieren!

      Und aus den Wolken langt es sacht,

      Stellt alles durcheinander.

      Wie sich’s kein Autor hat gedacht:

      Volk, Fürsten und Dryander.

      Da gehn die einen müde fort,

      Die andern nahn behende,

      Das alte Stück, man spielts so fort

      Und kriegt es nie zu Ende.

      Und keiner kennt den letzten Akt

      Von allen, die da spielen,

      Nur der da droben schlägt den Takt,

      Weiß, wo das hin will zielen.

      Die Sonne stand schon tief und warf ihre letzten Strahlen zwischen den Baumstämmen schimmernd über die Wanderer, als diese durch die zierlichen Jägerhäuser und die im Walde sich kreuzenden Alleen daran erinnert wurden, daß sie dem Ziele ihrer Reise nicht mehr fern sein konnten. Von weitem vernahm man nun auch Waldhorn-Signale, einzelne Schüsse und Rufen dazwischen, wie das letzte Verhallen einer großen, weitverbreiteten Jagd. Die Gesellschaft wurde nun nach und nach stiller,

      embrassieren: umarmen

      jeder rückte sorgsam seine Kleidung zurecht und blickte erwartungsvoll vor sich in die Ferne hinaus . . .

      Ein halb banges, halb spaßiges Erlebnis fesselt die Gesellschaft. An unzugänglicher Felswand haben sich zwei Wanderer verstiegen: ein kleiner Dicker und langer Hagerer. Scharf abgehoben über ihnen in der Abendsonne hält zu Pferde eine schlanke Reiterin in grünsamtnem Jagdkleid, weiße Federn schwanken vom Barett. Man befreit unter Mühen die Verstiegenen.

      Kaum aber sahen sie sich unten in Sicherheit, als sie, Gefahr und Dank vergessend, sogleich mit spitzigen Worten aufeinander losgingen. Jeder schob dem andern die Schuld zu, es schien, als habe die schöne Jägerin, der sie in verliebter Galanterie nachgesetzt, sie absichtlich in dieses Klippenlabyrinth verlockt.

      Jetzt aber fegte der Sturm alles zusammen, von allen Seiten sah man einzelne Jäger an den einsamen Waldesabhängen herniedersteigen. Da begann es auch im Schlosse sich wundersam zu rühren, Türen wurden geöffnet und geschlossen, Bediente in bunten, reichen Livreen liefen die Marmortreppen auf und ab, die hellerleuchteten Fenster, hinter denen sich in prächtigen Gemächern einzelne Frauengestalten bewegten, warfen einen magischen Schein weit über den dunkeln Garten. Dann wurde auf einmal alles still in der ganzen weiten Runde, die Nacht und das Gewitter zogen immer tiefer herein; Fortunat, der keine Lust hatte, wieder naß zu werden, war bereits allein nach der Dorfschenke geritten, die Schauspieler schimpften, sie hatten zu ihrem Empfange sich Triumphbogen geträumt, einholende Kammerjunker und den Fürsten von hohem Balkon ihnen entgegenwinkend. Endlich sahen sie vom Schlosse her Fackeln und erkannten mit klopfenden Herzen die bunten Livreen der fürstlichen Bedienten. „Heda, ihr Herren Komödianten!“ rief der eine, „wo Teufel steckt ihr denn?“ „Nun Gott behüt uns!“ sagte ein anderer, im Kreise umherleuchtend, „das hängt ja wie Meltau an allen Sträuchern, als hätt es Plunder geregnet!“ Kamilla, höchst entrüstet, rauschte mit ihrem vornehmsten Anstande daher und ließ einiges von impertinenten Domestiken fallen. Da war aber nicht lange Zeit zum Ärgern und Händelmachen. Denn der Gewitterwind wühlte schon in den Flammen der Fackeln und in den Tüchern der Damen, die Bedienten trieben zur Eile. Mäntel und Regenschirme flogen verworren durcheinander, und so wälzte sich alles in unordentlicher Flucht dem Schlosse zu.

      Nur Lothario war zurückgeblieben, denn die schöne Jägerin mußte noch in den Bergen sein. Und er irrte sich nicht. Zwischen den Blitzen von Fels zu Fels, daß ihm schwindelte, lenkte sie mit kühner Gewandtheit ihr Pferd langsam den schmalen Steig hinab. Von dem letzten Abhange endlich wagte es einen verzweifelten Sprung und stürzte unten samt der Reiterin auf dem Rasen zusammen. In demselben Augenbliß riß sie es gewaltsam wieder empor, beide hatten keinen Schaden genommen,