magst du über deinem Buche hocken und lesen!
Das meine ist doch gescheuter gewesen!
Dann halt ich auf ewig meinen großen Mund,
Wir sehen uns nimmermehr wieder – und –
Und – hier blieb der Gebirgsgeist plötzlich stecken, man hörte eine andere Stimme immer lauter, aber vergeblich soufflieren. Darüber geriet das Haupt nach und nach ins Wackeln, auf einmal kollerte es zwischen den Zweigen auf die Anhöhe herunter, und prasselnd hinterdrein der Förster und Fortunat zu großem Gelächter und Ergötzen der Umstehenden.
Otto stürzte dem schimpfenden, sich abstäubenden Waldmann herzlich in die Arme, dann sah er mit den schönen Augen Fortunat nachdenklich an. „Gott weiß es“, sagte er, „ich verstehe die Waldessprache noch immer, und was ich auch seitdem hinzugelernt habe, sie ist und bleibt doch meine rechte Muttersprache!“ Nun bemerkte er erst die andern in der Allee und fiel jubelnd dem Amtmann und seiner Frau und endlich auch den Mädchen in der Runde um den Hals, die errötend und verlegen sich des Ungestümen nicht erwehren konnten. Aber kein Mensch konnte zu Worte kommen, denn der unermüdliche Förster, der in seinem Eifer gar keine Notiz von der Rührung nahm, hatte insgeheim Pauken und Trompeten herbestellt, die jetzt furchtbar in die Ohren der Damen schmetterten, Böller auf Böller wurde dazwischen gelöst, er selbst aber rührte sehr künstlich die Pauken, auf die er zuletzt hinaufsprang und, Schlägel und Hut hoch über sich in die Luft werfend, unaufhörlich Hurra schrie. Da war der tolle Förster endlich mit seinem Empfange fertig geworden, und noch ganz erhitzt führte er nun mit einer wunderlichen, ungelenken Grandezza die fremden Mädchen nach der Amtmannswohnung hin.
Hier unter den Bäumen standen auf einer altmodischen Kaffeeserviette unzählige kleine chinesische Tassen aufgepflanzt, ein ungeheurer Kaffeekrug dampfte einladend dazwischen, die junge Dienstmagd im Sonntagsputz brachte eine Schüssel mit den in Kuchen gebackenen Namenszügen Ottos herbei und küßte dem neu angekommenen jungen Herrn hocherrötend die Hand. Der Förster, der alte Junggesell, war inzwischen in den vollen Redestrom seiner Feiertagslaune geraten und brachte alle seine alten Jagdspäße und lateinischen Brocken wieder aufs Tapet, worüber die Pachterstöchter jedesmal in ein unmäßiges Lachen ausbrachen. Bald aber nahm Otto die Aufmerksamkeit auschließlich in Anspruch, noch in der vollen Heimatsfreude des ersten Wiedersehens erzählte er von seinem Studentenleben in Halle, er sprach so frisch, und als nun gar der Amtmann die funkelnden Weinflaschen auf den Tisch setzte, glitten alle Gedanken fröhlich mit dem bunten Studentenschifflein am Giebichenstein und den blühenden Kirschgärten die Saale hinab in das gelobte Land der Jugend.
So war unvermerkt der Abend herangekommen, der Förster und die Mädchen hatten sich heimlich ins Haus geschlichen. Otto erzählte noch immer, als plötzlich die Tür sich weit auftat, und bei dem Gewirr einer Geige ein ganzer Hofstaat von Damen und Herren in Reifröcken, Haarbeuteln und altfranzösischen Fräcken sich rauschend herausbewegte. Man erkannte sogleich den Förster unter ihnen, er führte feierlich die jungen Leute vom Tisch den verlegen knicksenden Damen auf, die Geige schwirrte von neuem, und so entspann sich unversehens ein Tanz auf dem Rasen. Jeder sprang, so gut er konnte, und als nun vom Schwung der Reifröcke die Lichter verlöschend flackerten, ergriff der Wirbel endlich auch die Alten am Weintisch, der Förster führte die sich vergebens sträubende Amtmann zu einer Sarabande, jeder der übrigen wählte gleichfalls seine Dame, und es entstand eine wundersame, künstliche Verschlingung, wobei der Förster durch kühne Schwenkungen alles in Erstaunen setzte.
Auf einmal fuhr Florentine aus dem leuchtenden Kreise wie eine Sternschnuppe in den finstern Garten hinaus. Ihre Brust flog über dem knappen, seidenen Mieder, sie atmete erschöpft in der kühlen Nachtluft, dabei blickte sie immerfort nach den Bäumen zurück, als erwartete sie noch jemand. Fortunat bemerkte sie, ihn hatte unter den abenteuerlichen Gestalten nach und nach die Hofluft der alten Zeit unwiderstehlich ergriffen, er folgte rasch dem Mädchen nach, faßte sie zierlich an den äußersten Fingerspitzen und promenierte so feierlich mit ihr auf den geschnörkelten Gängen. Sie ließ ihm lachend die Finger, sah aber immer ungeduldiger zurück. So waren sie in galantem Diskurs an eine einsame Grotte gekommen, noch ein Überbleibsel jenes grillenhaften Schmucks altmodischer Gärten. Bunte Muscheln blitzten im Mondschein von Decke und Wänden, ausgestopfte Reiher und Wasservögel standen mit weitaufgesperrten Schnäbeln auf Kristallriffen umher. „Süßer Gott der Liebe“, sagte Fortunat, „das ist recht eine Grotte zum Schnäbeln, o wären wir doch jetzt zwei Turteltäubchen!“ Sie sah ihn einen Augenblick verschmitzt an, dann drehte sie leise einen verborgenen Kran, auf einmal spritzten alle Schnäbel funkelnde Wasserstrahlen gerade auf Fortunat, und eh er sich noch besinnen konnte, war seine wilde Taube in dem Sprühregen verflogen.
Er schüttelte sich lachend ab, und als er zu der Gesellschaft zurückkam, stand Florentine schon wieder am Tisch vor der Mutter, die ihr besorglich die Locken aus der heißen Stirn strich. Sie hatte die langen Augenwimpern tief gesenkt, denn es tat ihr nun heimlich leid um Fortunats neuen Frack, die flackernden Lichter spielten auf ihrem Gesicht und dem glitzernden Mieder, so sah sie in den rauschenden Wogen von Taffet und bunten Schleifen wie ein Elfchen aus, das aus einer Tulpe guckt. – Walter sah sie lange unverwandt an, dann faßte er Fortunat unter dem Arm und führte ihn rasch in den Garten. „Ist sie nicht wunderschön? o wie bin ich doch glücklich!“ rief er aus und erzählte nun dem Freunde, daß er seit längerer Zeit mit Florentine verlobt sei, daß sie auf den Rat der Eltern nur noch eine bevorstehende Gehaltserhöhung Walters abwarteten und dann in dem Städtchen Haus und Garten mit der Aussicht auf Hohenstein kaufen und dort im Grünen sich für die ganze Lebenszeit miteinander einrichten wollten.
Kaum eine Stunde darauf aber war alles verklungen, aus den Tälern schallte das Zirpen der Heimchen herauf, man hörte nur noch die Kalesche der Pachterstöchter auf dem steinigen Wege durch die Nacht fortrumpeln, in der Ferne zerplatzten einige Leuchtkugeln, die der unermüdliche Förster noch aus seinem Gärtchen warf. – O glückselige, bangsame Einsamkeit, dachte Fortunat, wer es wie Walter über sich gewönne, sich ganz darin zu versenken!
Viertes Kapitel
Fortunat zögert die Abreise hinaus. In des Amtmanns Garten will er Geschichten aufschreiben, aber die Morgenfrühe verlockt zu Ritten ins frische Grün. Zurückgekehrt, streckt er sich ermüdet an den hohen Bogengängen ins Gras.
Er hatte aber noch nicht lange geruht, als er Stimmen neben sich vernahm, an denen er die Amtmann und Walter erkannte, die, ohne ihn zu bemerken, in dem Gange auf und nieder wandelnd, in lebhaftem Gespräch begriffen schienen. „Das kommt bei dem Überstudieren heraus“, sagte soeben die Amtmann, „nichts als Verse im Kopf, Reisen und dergleichen unkluges und kostspieliges Zeug.“ „Ich glaube gar“, rief Fortunat, „die spricht von mir!“ „Beruhigen Sie sich“, hörte er nun Walter entgegnen, „ich werde versuchen, die eigentlichen Absichten dieses verschlossenen, rätselhaften Gemütes zu erforschen.“ „Bei Nacht möchte er spazierengehen“, fing die Amtmann wieder an, „den Tag verträumt er! Und warum verbirgt er sich vor uns?“ Hier verlor sich der Diskurs in der Ferne. Fortunat sprang hastig auf. Sie reden von meinem unbekannten Führer im Garten an jenem ersten Morgen, dachte er, und es fiel ihm aufs Herz, daß er ihn in der Zerstreuung so ganz vergessen hatte.
Als am Abend alle unter den Linden vor der Haustüre sich wieder versammelten, beschloß er, der Sache näher auf den Grund zu kommen. Der Amtmann war der erste auf dem Platz, er erzählte ihm sogleich das ganze Begegnis, wie er damals den Unbekannten schlafend am Springbrunnen getroffen und was sie miteinander gesprochen hatten. Dieser hörte sehr aufmerksam zu, er mußte ihm Größe, Kleidung, Haare und Stimme des Fremden ausführlich beschreiben, aber der Amtmann wußte alles besser als er, alle seine Fragen trafen wunderbar ein. „So kennen Sie ihn also?“ fragte Fortunat. Der Amtmann schüttelte nachdenklich den Kopf. „Ich weiß nicht, wer es war“, sagte er, „und darf nicht sagen, was ich vermute.“ Unterdes war seine Frau herausgekommen, er bat Fortunat schnell, vor den Weibern nichts von der Geschichte zu erwähnen. Jetzt trat auch der Student Otto, der von einem weiten Spaziergange zurückzukommen schien, zu der Gesellschaft. Als er sich bei ihnen niederließ und in der warmen Luft seinen Rock schnell öffnete, fiel ein sauber eingebundenes Buch daraus zu Boden; es war des Grafen Victors neuestes poetisches Werk, das er bisher noch nicht gekannt