Morgan Daimler

Die Morrígan


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davon eingefärbt.

      Ich bin seit 1991 irische Heidin, und die Morrígan verehre ich aktiv etwa seit dem Jahr 2000. Als Priesterin der Göttin Macha, die oft als eine der Morrígans bezeichnet wird, kann ich mit Gewissheit sagen, dass der Weg der Macha kein leichter ist und alle, die ihn beschreiten, dazu herausfordert, ständig hinzuzulernen und sich weiterzuentwickeln.

      Jedes Kapitel im vorliegenden Buch enthält übrigens einen kleinen Abschnitt, in dem ich von meinen eigenen Erfahrungen mit der Morrígan berichte, denn ich möchte zeigen, dass sie eine aktive Kraft in der heutigen Welt ist und wie wir sie ehren können, und zwar über die Grenzen unterschiedlicher Glaubensrichtungen hinweg. Für manche Menschen mag dieses Buch dadurch zum ersten Schritt einer lebenslangen Reise werden. Andere wird der Ruf der Morrígan nicht so intensiv erreichen, aber sie werden dennoch zu einigen wertvollen Erkenntnissen gelangen, und sei es nur ein größeres Wissen über diese Göttin, ihre Geschichte und moderne auf sie bezogene Glaubensvorstellungen und Praktiken.

       Einführung Auf schattigen Flügeln

      Die Morrígan spielte von jeher eine wichtige Rolle in der irischen Mythologie. Sie spricht zu uns aus alten Sagen und Legenden, den Erzählungen der traditionellen Geschichtenerzähler und aus modernen Liedern. Sie kommt auf schattigen Flügeln zu uns, in der stillen Dunkelheit und in den schemenhaften Bildern unserer Träume. Wir hören ihre Stimme im Pochen unseres eigenen Herzschlags, im Schrei des Raben und im wilden Wind. Diese Göttin besitzt große Macht, doch jene, die sich zu ihr hingezogen fühlen, machen die Erfahrung, dass sie oft schwer zu begreifen ist. Sie ist auch in der heutigen Welt sehr aktiv.

      Wenn wir zum ersten Mal den Ruf der Morrígan spüren, sehen wir uns einem verwirrenden Angebot von Büchern und Internet-Quellen gegenüber, die alle behaupten, uns vermitteln zu können, wer sie war und ist. Es wird aber schnell deutlich, dass die Wahrheit über die Morrígan sich nicht so leicht erschließt. Moderne Annäherungsversuche an diese uralte Göttin kümmern sich oft wenig um historische Erkenntnisse; umgekehrt sind ältere, traditionelle Informationen schwerer zu finden und zu verstehen. Manche Autoren betonen die persönliche Erfahrung zu sehr, während andere diese völlig ignorieren. Idealerweise sollten moderne Sucher anstreben, eine Balance zwischen diesen Extremen zu finden.

      Wenn wir versuchen, die Morrígan zu studieren, sehen wir uns mehreren Herausforderungen gegenüber. Erstens lässt sich nur schwer herausfinden, was der Name wirklich bedeutet, weil es darauf keine eindeutige Antwort gibt. Als Nächstes müssen wir uns klarmachen, dass Morrígan als Name verwendet wird, als Titel und als Begriff gleichermaßen. Daher gibt es Geschichten über die Morrígan – auch über die drei Morrignae oder Morrígans –, und ebenso Geschichten, die von Göttinnen handeln, welche in bestimmten Zusammenhängen mit dem Titel Morrígan bezeichnet werden, und obendrein noch Geschichten von übernatürlichen Wesen, die man mit dem Gattungsbegriff Morrígan benennt. Suchende bekommen es daher mit einem umfangreichen Schatz an oft widersprüchlichen traditionellen Überlieferungen zu tun und mit altirischen Konzepten, die anders zu verstehen sind, als wir es heutzutage gemeinhin tun, weil sie aus einem anderen kulturellen Kontext kommen. Mit diesen Schwierigkeiten müssen wir uns gleich zu Anfang auseinandersetzen, um herauszufinden, was die Morrígan früher eigentlich war und wie wir sie heute in einem modernen Bezugsrahmen begreifen können.

      Schauen wir uns zuerst an, welche Bedeutungen ihr Name hat und was uns das über das Wesen dieser Göttin verrät. Die Herkunft des Namens Morrígan ist umstritten, aber die heute führende Theorie besagt, dass er in etwa Königin der Albträume bedeutet – oft auch als Phantom- oder Geisterkönigin interpretiert. Andere bevorzugen weiterhin die einst beliebte Deutung des Namens als »große Königin«. Dieser Bedeutungsunterschied hängt davon ab, ob die erste Silbe des Namens mit oder ohne Fada (einem im Irischen gebräuchlichen Längenzeichen) geschrieben wird: Mor oder Mór. Für Mor ist allgemein eine Bedeutung akzeptiert, die eine Verwandtschaft zum althochdeutschen »mara« und dem angelsächsischen »maere« annimmt, was »Albtraum« bedeutet, ähnlich dem englischen Begriff nightmare und dem deutschen Begriff Nachtmahr. Mit Akzent, Mór, bedeutet die Silbe »großartig, groß« (eDIL, o.J.). Einer anderen Theorie zufolge ist mor mit dem indoeuropäischen Wort »móros« verwandt, das mit »Tod« übersetzt wird, was die Morrígan zur Königin der Toten oder Erschlagenen macht (Gulermovich Epstein, 1998). Der zweite Wortteil, rígan oder rigan, bedeutet Königin oder edle Dame (eDIL, o.J.). Leider lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, was die ursprüngliche Bedeutung war. Wir wissen aber, dass der Name im Altirischen Morrígan geschrieben wurde, was nahelegt, ihn mit »Königin der Albträume« zu übersetzen. In der mittelirischen Periode war Mórrígan üblich und damit die Bedeutung »große Königin«. Wenn wir all das zusammennehmen, erkennen wir, dass ihr Name Geisterkönigin, große Königin, Meereskönigin oder Königin der Erschlagenen bedeuten kann und dass all diese Namen darauf hinweisen, wer sie ist und was sie tut.

      Der Name Morrígan wird nicht nur für eine bestimmte Göttin verwendet, sondern auch für ihre beiden Schwestern: Badb und Macha. Selbst die Göttinnen Fea und Nemain werden manchmal Morrígan genannt und können mit der zuvor genannten Morrígan ausgetauscht werden, um die verschiedenen Morrígan-Triaden zu bilden. Persönlich ziehe ich es vor, die drei Morrígans als Badb, Macha und Morrigu anzusehen, und ich bin bereit, Anand als Name für die Morrígan zu akzeptieren (darauf werde ich in Kapitel 1 ausführlich eingehen). Manchmal lässt sich nur schwer sagen, ob die individuelle Göttin gemeint ist, die den Titel häufig als ihren Eigennamen benutzt, oder ob von einer Göttin die Rede ist, die als Titel die Bezeichnung Morrígan führt. Hin und wieder lässt sich das aus dem Zusammenhang erschließen, in anderen Fällen jedoch können wir nur Vermutungen anstellen, und nicht einmal die Wissenschaftler sind sich in jedem Fall einig. Zusätzlich verkompliziert wird die Angelegenheit noch dadurch, dass das Wort Morrígan manchmal auch als Übersetzung des griechischen Wortes »lamia« benutzt wurde und in manchen Quellen »Gespenster« bedeutet (Gulermovich Epstein, 1998). Deshalb empfiehlt es sich, bei der Lektüre älterer Texte mit der Interpretation des Namens Morrígan vorsichtig zu sein, solange der Zusammenhang nicht klar ersichtlich ist.

      Ein weiteres Problem, mit dem wir uns bei der Beschäftigung mit den historischen Texten auseinandersetzen müssen, besteht darin, dass diese alten Quellen sich häufig widersprechen, was die Geschichten über die Morrígan (und andere Göttinnen und Götter) angeht. Bei so gut wie keiner Geschichte finden sich miteinander übereinstimmende Versionen. Stattdessen existieren zahlreiche, im Detail sehr verschiedene Versionen, manchmal als Bearbeitungen [engl. »redactions«] bezeichnet. Etwas, das in einer Version gewiss erscheint, kann in einer anderen fehlen, oder es findet sich dort eine dazu in völligem Widerspruch stehende Darstellung. Keiner der Texte sollte als die definitive Version betrachtet werden. Vielmehr muss man möglichst alle Bearbeitungen lesen und dann entscheiden, bei welchen Informationen es die größten Übereinstimmungen gibt. In der Mythologie und den Volksmärchen Irlands ist nichts einfach und eindeutig, weder die Genealogien noch die Handlungsstränge der Erzählungen, und oft wird das Bild um so verwirrender, je tiefer wir in die Materie einsteigen.

      Zu guter Letzt gibt es bei der Beschäftigung mit der Morrígan als irische Kriegsgöttin ein durch und durch modernes Problem: Wir heutigen Menschen verstehen oft nicht, welche Vorstellung vom Krieg die alten Iren hatten und was entsprechend für sie eine Kriegsgöttin war. Unsere modernen Kriege haben wenig mit diesen alten Schlachten gemein, und unsere Gesellschaft ist völlig anderes strukturiert. Zwar sind Kriege bis heute eine blutige, gefährliche Angelegenheit und werden es auch immer bleiben, aber für die alten Iren ging es dabei oft um Viehdiebstähle, an denen kleine Gruppen von Kriegern beteiligt waren, nicht die großen Armeen, die wir uns vorstellen, wenn wir heute von Krieg sprechen. Schlachten wurden auf streng geregelte, ehrenhafte Weise geschlagen, oft im gleichberechtigten Kampf Mann gegen Mann oder von Heeren, bei denen auf Zahlengleichheit geachtet wurde. Das wird in den alten Erzählungen immer wieder betont.

      In ihrer Dissertation War Goddess: The Morrígan and her Germano-Celtic counterparts beschreibt Gulermovich Epstein die Elemente irischer Kriegsführung so: Weissagung vor der Schlacht, Aufstachelung der Krieger, drohendes Schreien und Lärmen,