Ricarda Huch

Der Fall Deruga


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Ihre Beschäftigung?«

      »Ich führe das Haus; koche das Essen, mache die Zimmer, empfange die Patienten, schreibe die Rechnungen und so weiter.«

      »Das ist sehr viel. Standen oder stehen Sie in freundschaftlichen, ich wollte sagen in mehr als freundschaftlichen Beziehungen zu dem Angeklagten?« Sie runzelte die Brauen und schien eine rasche Antwort geben zu wollen, besann sich aber und sagte kurz:

      »Nein.«

      »Wieviel Lohn erhielten Sie?«

      »Achtzig Kronen.«

      »Hatten Sie Nebeneinkünfte?«

      »Nein.«

      »Die Stelle muß offenbar ideelle Annehmlichkeiten haben. Sie waren vermutlich sehr selbständig? Der Doktor behandelte Sie gut?«

      »Er mich und ich ihn. Wir passen gut zusammen. Übrigens ist es leicht, mit Dr. Deruga auszukommen. Wer es nicht tut, trägt selbst die Schuld.«

      »Gut. Erinnern Sie sich an den 1. Oktober des vorigen Jahres? Der Angeklagte verließ die Wohnung etwa um sechs Uhr. Sagte er Ihnen, wohin er ginge und wann er wiederkomme?«

      »Dr. Deruga sagte, er käme vielleicht nachts nicht nach Hause und wisse auch noch nicht, ob er am folgenden Tage zur Sprechstunde wieder dasein würde. Wenn Patienten kämen, sollte ich sie vertrösten.«

      »Glaubten Sie, daß er verreise?«

      »Ich glaubte gar nichts – weil es mich nichts anging. Ich pflegte nie zu fragen, wohin er ginge, nur neckte ich ihn zuweilen, weil ich wußte, daß ihm die Frauenzimmer nachliefen. Vielleicht habe ich das auch an jenem Abend getan.«

      »Was hatte der Angeklagte bei sich, als er fortging?«

      »Ein Paket.«

      »Wissen Sie, was der Inhalt des Paketes war?«

      »Nein.«

      »Sie wissen es nicht, aber Sie ahnten es doch vielleicht. Haben Sie ihn etwas einwickeln sehen? Hat er in Schränken oder Kommoden gekramt?«

      »Ja, ich sah, daß er etwas suchte, und fragte ihn, was es sei. Da sagte er ärgerlich: ›Wo zum Teufel haben Sie den alten Faschingströdel versteckt?‹ Ich sagte, es sei alles in der Truhe auf dem Vorplatz, was überhaupt noch vorhanden sei. Er hatte nämlich verschiedenes verliehen oder verschenkt.«

      »Was verstehen Sie unter altem Faschingströdel?«

      »Kostüme, die er früher beim Fasching getragen hatte. In den letzten Jahren hatte er nichts mehr mitgemacht.«

      »Was für Kostüme waren das?«

      »Oh, das kann ich so genau nicht sagen, was sie bedeuteten. Bauernkleider und ein Bajazzo und ein Mönch, glaub' ich. Ich kenne mich nicht aus damit.«

      »Vermutlich boten Sie ihm Ihre Hilfe an?«

      »Ja, aber er sagte: ›Gehen Sie zum Teufel!‹ Das war nicht böse gemeint, es war so eine Redensart von ihm. Mir war es recht, ich hatte in der Küche zu tun.«

      Inzwischen war der Staatsanwalt aufgestanden, gestikulierte mit langen Armen und machte Grimassen. »Mein liebes Fräulein«, sagte er, »hatte der Angeklagte keine Reisetasche?«

      »Ja, wenn er verreiste, nahm er eine Reisetasche«, sagte Fräulein Klinkhart.

      »Nun, mein liebes Fräulein«, fuhr der Staatsanwalt mit süßlicher Liebenswürdigkeit fort, »sollten Sie als Dame und als Haushälterin, teils aus Neugier und teils aus Ordnungsliebe, nachdem Ihr Brotherr fort war, nicht nachgesehen haben, was er mitgenommen hatte? Wenn ich mich in Ihre Lage versetze, so scheint mir, Sie mußten sich Gewißheit zu schaffen versuchen, wie lange Ihr Brotherr fortbleiben würde. Aus dem, was er mitgenommen hatte, ließ sich doch manches schließen.«

      Fräulein Klinkhart faltete finster die Brauen und warf einen Blick unverhohlener Abneigung auf den Staatsanwalt. »Ich sah«, antwortete sie, »daß in der Truhe alles durcheinandergeworfen war, und machte wieder Ordnung. Ob etwas fehlte, weiß ich nicht, ich habe nicht darauf geachtet. Ein Nachthemd hatte er, wie mir schien, nicht mitgenommen.«

      »Sehen Sie«, rief der Staatsanwalt triumphierend und mit dem langen Zeigefinger auf sie deutend, »dahin wollte ich Sie bringen! Also ein Nachthemd hatte er nicht mitgenommen?«

      »Nun, und?« sagte Fräulein Klinkhart finster, »wenn er doch gar nicht verreiste!«

      »Sehr wohl, mein liebes Fräulein«, sagte der Staatsanwalt mit entzücktem Lächeln, »wenn nun aber kein Nachtkleid in dem Paket war, was war Ihrer Meinung nach denn darin?«

      Fräulein Klinkhart zuckte ärgerlich die Achseln und sagte: »Wahrscheinlich war ein Kostüm zum Verkleiden darin, das er jemandem leihen wollte.«

      »Wollen Sie uns das Rätsel lösen?« wandte sich der Vorsitzende an Deruga.

      »Es war ein Kimono darin«, sagte Deruga, »den mir einmal ein Patient aus China mitgebracht hatte und den ich der Dame, die ich besuchte, leihen wollte.«

      »Sie sagten ja vorhin, es wäre Wäsche darin gewesen«, sagte Dr. Zeunemann, den Arm auf die Lehne seines Sessels stemmend und sich nach dem Angeklagten herumwendend.

      »Ja, können Sie sich nicht denken, daß ich das Breittreten der albernen Kleinigkeiten satt habe?« erwiderte dieser mit einem so wütenden Ausdruck, daß der Fragende unwillkürlich zurückfuhr. »Ich habe gesagt, was mir gerade einfiel, und nächstens werde ich überhaupt nichts mehr sagen. Es war ein Kimono, ein Nachthemd, eine Zahnbürste, ein Revolver und eine Flasche Gift darin. Das ganze Paket wächst mir zum Halse heraus.«

      Dr. Zeunemann wartete eine Weile und sagte dann ruhig: »Ich frage Sie nicht aus, weil es mir Vergnügen macht, sondern weil es meine Pflicht ist. Ich hoffe, Sie sehen das ein und entscheiden sich, was Sie endgültig als den Inhalt des Paketes angeben wollen.«

      Derugas Züge glätteten sich. »Wahrhaftig«, sagte er mit einem liebenswürdigen Lächeln, »ich bin ein grober Kerl, entschuldigen Sie mich. Es war also ein Kimono in dem verwünschten Paket.«

      »Den Sie der bewußten Dame leihen wollten«, fügte Dr. Zeunemann hinzu.

      »Der Fasching beginnt meines Wissens erst im Januar«, bemerkte der Staatsanwalt.

      Deruga lachte. »Die Dame machte entweder ihre Vorbereitungen sehr früh oder sie brauchte ihn für einen anderen Anlaß. Ich werde sie gelegentlich fragen und es Ihnen dann mitteilen.«

      Der Staatsanwalt bebte vor Ärger, um so mehr, als er auf dem Gesicht des Justizrats und auf dem des Vorsitzenden ein belustigtes Lächeln sah, das der letztere aber schnell unterdrückte. »Gehen wir nun«, sagte er, »zu der Rückkehr des Angeklagten am 3. Oktober über. Was ging dabei vor? Besinnen Sie sich noch, Fräulein Klinkhart, was Dr. Deruga sagte?«

      »O ja«, antwortete sie. »Ich sagte: ›Gut, daß Sie kommen, Doktor. Es warten einige Patienten über zwei Stunden auf Sie.‹ Der Doktor sagte: ›Desto schlimmer für sie, ich bin sehr müde und will mich sofort zu Bett legen.‹ Ich fragte, ob er nicht wenigstens einen Augenblick selbst mit ihnen sprechen und sie wieder bestellen wollte. Da machte er eine abwehrende Bewegung mit der Hand und sagte: ›Ich kann nicht‹, und da wußte ich, daß ich nicht weiter in ihn dringen dürfte.«

      »Fiel Ihnen denn dieses Benehmen nicht auf?« fragte der Vorsitzende.

      »Durchaus nicht«, sagte Fräulein Klinkhart. »Er leidet an Migräne, und wenn ein Anfall kommt, hat er solche Kopfschmerzen, daß ihm alles einerlei ist. Er legt sich dann hin, und ich muß ihn in Ruhe lassen. Gewöhnlich ist es am anderen Morgen vorbei. Er sah auch so fahl aus, wie er immer tut, wenn er die Migräne hat.«

      »Er ging also in sein Schlafzimmer, und Sie haben ihn bis zum folgenden Morgen nicht gesehen? Hatte er das Paket bei sich, das er mitgenommen hatte?«

      »Darauf habe ich nicht geachtet.«

      »Ich erinnere Sie, Fräulein Klinkhart«, sagte Dr. Zeunemann streng, »daß