Ricarda Huch

Die Romantik


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innerliche und äußerliche Zeiten einander ab; aber die Innerlichkeit gab der ganzen Epoche ihren Charakter. Wie eine große Revolution die neue Zeit eröffnete, ist sie durch eine andre, die französische beschlossen, während gleichzeitig die Romantik ein erneutes, erhöhtes Mittelalter heraufführte.

      Es giebt keine interessantere und furchtbarere Zeit, als das frühe Mittelalter, wo der Mensch sich im Innern einem Dämon gegenübersah, der ihm sein eigenstes Reich streitig machte, den er fürchtete und haßte und dessen er sich doch nicht entledigen konnte, mit dem er wie mit einem Zwillingsleibe verwachsen war, und der doch ewig nach entgegengesetzter Richtung drängte. Er wußte sich eins und fühlte sich doch zwei, was einen wohl krank und wahnsinnig machen kann. Vergebens suchten die Priester die bösen Geister aus den Besessenen auszutreiben und durch Beschwörungsformeln bei der Taufe den Teufel aus dem neugeborenen Kinde zu bannen. Bald wähnte man in der edelsten Begierde des Menschen, der nach Erkenntniß, die fremde, feindselige Wirkung zu spüren, bald in den natürlichen Leidenschaften; unbändiger Frevel wechselte ab mit heldenmäßigen Opferthaten und weltüberwindender Entsagung. Durch die beständige, wenn auch feindselige Berührung mit dem Unbewußtem wuchs das Bewußtsein mächtig; dem Antäus gleich, dem aus der mütterlichen Erde die Kraft einströmt.

      Auf einer inneren Zweiheit beruht die Möglichkeit des Selbstbewußtseins überhaupt; je deutlicher sich jene ausprägt, desto schärfer kann auch dieses werden. Einige Aussprüche der Romantiker sollen zeigen, daß sie die Doppelerscheinung des Ich klar erkannten.

      Novalis: Denn Niemand kennt sich, insofern er nur er selbst und nicht auch zugleich ein andrer ist.

      Eine nicht synthetische Person ist eine Person, die mehrere Personen zugleich ist, ein Genius. Jede Person Apollo und Dionysos ist der Keim zu einem unendlichen Genius. Sie vermag, in mehrere Personen getheilt, doch auch eine zu sein.

      Die höchste Aufgabe der Bildung ist, sich seines transcendenten Ich zu bemächtigen, das Ich seines Ichs zugleich zu sein.

      Unser Denken ist also Zwiesprache und unser Empfinden Sympathie.

      Jede Person, die aus Personen besteht, ist eine Person in zweiter Potenz oder ein Genius.

      Friedr. Schlegel in der Lucinde: Nur in der Antwort seines Du kann jedes Ich seine unendliche Einheit ganz fühlen. Dann will der Verstand den inneren Keim der Gottähnlichkeit entfalten, strebt immer mehr nach dem Ziele und ist so voll Ernst die Seele zu bilden, wie ein Künstler das eigene geliebte Werk. In den Mysterien der Bildung schaut der Geist das Spiel und die Gesetze der Willkür und des Lebens. Das Werk des Pygmalion bewegt sich, und den überraschten Künstler bewegt ein Schauer im Bewußtsein eigener Unsterblichkeit, und wie der Adler den Ganymedes reißt ihn die göttliche Hoffnung mit mächtigem Fittich zum Olymp.

      Nicht mehr fremd und feindselig also stehen die Menschen ihrem Du gegenüber; seit sie sich ihm gewachsen fühlen und es besser erkennen, sehen sie die Möglichkeit einer Verständigung, ja das erste Schaudern liebender Neigung überläuft sie. Mit gutem Grunde spricht matt hier von Liebe, da die Wesenshälften des Menschen sich wie die Hälften des Menschengeschlechts positiv und negativ, männlich und weiblich zu einander verhalten.

      Daß das Erkennen das weibliche Prinzip sei, liegt in einer der ältesten Sagen des Menschengeschlechtes: Eva war es, die den verhängnißvollen Apfel pflückte. Allerdings stellen eine Menge Frauen, vielleicht sogar die Mehrzahl, eher ein entgegengesetztes Prinzip dar. Diese vergegenwärtigen den Urtypus, in dem die Geschlechter noch unvermischt bei einander waren. Man kann ihn nicht androgyn nennen, da er nicht männlich und weiblich war, sondern weder das eine noch das andre, ein chaotisches Neutrum. Der Mann, das positive, thätige, schöpferische Prinzip riß sich zuerst los und eilte voran, die Frau folgt ihm zwar langsam nach, aber sie vertritt das höhere, wenn auch ohne ihn ohnmächtige Prinzip. Thatsächlich indessen vereinigen viele Frauen noch den Urtypus in seiner schwerfälligen, mütterlichen Trägheit. Erst in neuerer Zeit wird die Differenzirung des Männlichen und Weiblichen immer schärfer und bildet sich der rein weibliche Typus heraus. Auch stellen die modernen Schriftstellerinnen den Mann mit Vorliebe als den gutartigen, etwas rohen und etwas tolpatschigen Bären hin, der mit schwerer Tatze nach der feinen, neckischen Frauen-Libelle greift, die ihn umschwirrt. Je stärker die Differenzirung sich ausprägt, desto heftiger wird die Anziehung zwischen den Geschlechtern: der physiologische Grund, warum die Liebe in den neueren Zeiten eine so viel größere Rolle spielt als im Alterthum. Es ist anzunehmen, daß die Liebe ihren Charakter wieder ändern wird, wenn einst ein dem Urtypus analoger Mensch entsteht, in dem sich Männliches und Weibliches vereinigt, ohne in einander unterzugehen.

      Dieser Umstand also, daß es zwei Frauentypen giebt und ferner, daß es weibliche Männer und männliche Frauen giebt, je nachdem welches Prinzip gerade stärker entwickelt werden soll, sind die Ursache, daß die Frau von den Männern meistens als Vertreterin des Unbewußten hingestellt wird, während doch gleichzeitig die weibliche Neugier, Eitelkeit, Gefallsucht, Frühreife, Schlauheit, Bosheit, Bewußtheit in Aller Munde ist. Daß die Neugier, das Wissenwollen, weibliches Erbteil ist, ist allbekannt. In der Sprache der Romantiker könnte man sagen: die Frau ist eine Potenzirung des Mannes, ist der romantisirte Mann, das heißt der bewußtwerdende. Diesen Sinn wird man in folgenden Aussprüchen von Novalis über die Frau finden:

      Die Holzkohle und der Diamant sind ein Stoff und doch wie verschieden! Sollte es nicht mit Mann und Weib derselbe Fall sein? Wir sind Thonerde und die Frauen sind Weltaugen und Saphire, die ebenfalls aus Thonerde bestehen.

      Das Beiwesen des Mannes ist das Hauptwesen der Frau.

      Ungeheuere Verstellungsgabe, Verbergungsgabe der Weiber überhaupt. Ihr feiner Bemerkungsgeist. Alle Weiber haben das, was Schlegel an der schönen Seele tadelt. Sie sind vollendeter als wir. Freier, aber gewöhnlich sind wir besser. Sie erkennen besser als wir.

      Ihre Natur scheint unsre Kunst, unsre Natur ihre Kunst zu sein. Sie sind geborene Künstlerinnen.

      Alles fordert von der Frau unbedingte Liebe zum ersten besten Gegenstande. Welch hohe Meinung von der freien Gewalt und Selbstschöpfungskraft ihres Geistes setzt das nicht voraus.

      Alles dies und das Goethe'sche Wort, daß das Ewig-Weibliche uns hinanziehe, steht mit dem Mythos, daß das Weib den Sündenfall veranlaßt habe, nur scheinbar im Widerspruch. Man ist leicht geneigt, die Natur um ihre Sicherheit und Unschuld zu beneiden; die sorglose Lebenswonne der Thiere, ihre körperliche Unbefangenheit, Kraft und Bestimmtheit erscheint uns vorzüglicher als unser zusammengesetztes Wesen, und wir bedauern es, wenn der kindliche Frohsinn wilder Völkerschaften bei Berührung mit der Kultur in Angst, Unsicherheit und Sorge untergeht. Und doch können die Thiere nicht lachen; ein Zug großartiger Traurigkeit ist in ihren Gesichtern, da wo von Gesicht und Gesichtsausdruck überhaupt die Rede sein kann. Die Angst der Kreatur sieht aus ihren flehenden Augen. Ebenso erkennt man an den vollen, schweren, gesenkten Lippen, an einer beständigen unwillkürlichen Schwermuth des Auges den Sklaven-Menschen, der noch an der Kette des Instinktes liegt. Daß jedes Geschöpf zur Freiheit geboren und von edler Art ist, beweist die unbewußte Trauer über die Schmach der Unterthänigkeit. Selbst die wundervollen griechischen Götter- und Heldengestalten. ob sie uns nun in der Plastik oder in der Poesie begegnen, haben bei all ihrer Pracht eine stolze, verhaltene Schwermuth in den Zügen, als wären sie vom Geschlechte des Tantalus und trügen das eherne Band um die Stirn, das verdunkelt und fesselt; die verhältnißmäßig niedrige Stirn in dem formschönen, kraftvollen Antlitz ist der sichtbare Ausdruck davon. Und die Fröhlichkeit des Naturmenschen ist keine andre als die des Kindes, die jeden Augenblick grundlos in die äußerste Trübseligkeit umschlagen kann. Häufiger Genuß von Berauschungsmitteln muß ihm den dumpfen Druck des Lebenmüssens erträglich machen: der Rausch giebt ihm die Flügel, die der Geist ihm noch nicht geben kann.

      Nur Bewußtheit verleiht echte, dauernde Heiterkeit. Was ist dem Kinde sein Glück, um das wir es beneiden; dem Schmetterling, dem Schläfer, dem Todten? Die Schlange hatte Recht mit ihrer Verheißung: eritis sicut deus scientes bonum et malum. Die griechische Mythe erzählt, daß Zeus den Menschen das Licht habe vorenthalten wollen, damit sie nicht den Göttern gleich würden, und wie wirklich das Licht Bringer der Kultur wurde. Ebenso wie Psyche, deren Sünde wie Eva's im Sehen-, das heißt Wissenwollen bestand, nach vielen erduldeten Qualen