Zeit sein täglicher Gedanke, und er wäre, wie er selbst sagt, diesen Entschluß auszuführen wohl fähig gewesen, »wenn er überhaupt zu einem Entschluß hätte kommen können.«
Ich will anführen, wie er selbst den qualvollen Zustand dieser Jahre, wo er »unthätig und mit sich uneins« war, schildert:
»Eine Liebe ohne Gegenstand brannte in ihm und zerrüttete sein Inneres. Bei dem geringsten Anlaß brachen die Flammen der Leidenschaft aus: aber bald schien diese aus Stolz oder Eigensinn ihren Gegenstand selbst zu verschmähen und wandte sich mit verdoppeltem Grimme zurück in sich und auf ihn, um da am Marke des Herzens zu zehren. Sein Geist war in einer beständigen Gährung; er erwartete in jedem Augenblick, es müsse ihm etwas Außerordentliches begegnen. Nichts würde ihn befremdet haben, am Wenigsten sein eigener Untergang. Ohne Geschäft und ohne Zweck trieb er sich umher und unter den Menschen wie Einer, der mit Angst etwas sucht, woran sein ganzes Glück hängt. Alles konnte ihn reizen, nichts mochte ihm genügen. – Er konnte mit Besonnenheit schweigen und sich in den Genuß gleichsam vertiefen. Aber weder hier noch in den mancherlei Liebhabereien und Studien, auf die sich oft sein jugendlicher Enthusiasmus mit einer gefräßigen Wißbegier warf, fand er das hohe Glück, das sein Herz mit Ungestüm forderte. Und so verwilderte er denn immer mehr und mehr aus unbefriedigter Sehnsucht, ward sinnlich aus Verzweiflung am Geistigen, beging unkluge Handlungen aus Trotz gegen das Schicksal und war wirklich mit einer Art von Treuherzigkeit unsittlich.«
Ohne Zweifel hätte er sich heraufreißen können. »Es ist Trägheit, was uns an peinliche Zustände kettet«, sagt Novalis. Aber träge war er eben; der Elasticität seines Freundes Novalis gegenüber war er wie etwa eine Kuh, vor deren Augen eine Lerche pfeilschnell in die Wolken steigt. Was für goldene Worte wußte er seinem Bruder über den Nutzen eines bürgerlichen Amtes zu sagen: ein vollkommener Querpfeifer erfülle doch sein Wesen, nämlich die Querpfeiferei; wenn er einen guten Pfiff thue, könne er ebenso zufrieden mit sich sein wie Gott, wenn er eine Welt gemacht habe. Durch sein ganzes Leben hindurch zieht sich der Wunsch, ein Amt, einen festen Beruf zu haben, seinem Hange zum bequemen Sichgehenlassen ganz entgegen; und doch wich er gern aus, wenn sich eins bieten wollte. Wenn er seinem Bruder predigte: »Es kommt nur auf dich an, ein großer Mensch zu werden« oder »Laß doch ja nicht die Gottheit aus deiner Brust aus Trägheit allmälig entweichen« oder er solle sein Glück für seine Vortrefflichkeit nützen, so ermahnte er damit eigentlich mehr sich selbst als Wilhelm, für den diese Lehren gar nicht paßten und kaum verständlich sein mochten. Klopstock, Schiller, Luther, Fichte, Männer von frischer Thatkraft, waren die Muster, die er aufstellte, die er groß nannte. An Einsicht konnte es ihm bei seinem umfassenden Verstande nicht fehlen; aber er war wie die Jünger, denen Christus zurief: »Könnet ihr denn nicht eine Stunde mit mir wachen? Siehe, der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.«
Das Außerordentliche, das er so lange dunkel erwartet hatte, geschah: er lernte Karoline kennen, und die Liebe, die zerrüttend in ihm gebrannt hatte, weil ihr der Gegenstand fehlte, begrüßte entzückt die endlich Gefundene. Im Allgemeinen waren ihm die Frauen zu platt – denn sie wären noch platter als die Männer, sagte er – um sich mit ihnen abzugeben. Daß er auf diejenigen mit dem Geiste herabsah, die seine Sinnlichkeit mächtig anzogen, war stets die Ursache zu quälenden Conflikten, wenn er mit Frauen in Berührung kam. Damals meinte er, er sei reiner Liebe wohl nur zu Männern fähig. Und die Leidenschaft zu einer Frau, die er als Student in Leipzig durchmachte, war allerdings eine dermaßen verzerrte »armselige Raserei«, daß man ihre Geschichte in seinen Briefen nicht ohne Ekel und Mitleiden lesen kann. Karoline ergriff ihn ganz. Da gab es keine Spaltung in seinem Gefühl, wie es keine in ihrem Wesen gab: seine Freundschaft, seine Bewunderung, sein Urtheil gehörten ihr wie seine blinde Zuneigung. Aber indem er sich seine schrankenlose Liebe gestand, schwur er sich zugleich Entsagung; denn diese einzig verehrte Frau war die Geliebte Wilhelm's seines heißgeliebten Bruders. Nie erscheint Friedrich liebenswerther als damals, wo er, still und anspruchslos verzichtend, sich dankbar des Glückes freute, der heimlich Geliebten, die zugleich Freundin seines Bruders war, dienen zu können, des Glückes zu lieben überhaupt. Durch Karoline fühlte er sich dem Leben wiedergegeben; in der Liebe, die eine positive Thätigkeit des Gemüthes ist, fand er das Gegengewicht gegen den negativen Verstand.
Von dem Zeitpunkt an, wo die Liebe der beiden Brüder, durch das Gefühl für dieselbe Frau nicht aufgelöst, sondern erhöht, einen so schönen Triumph feierte, ging sie ihrem Niedergange entgegen. So langsam allerdings, daß das Verhältniß durch eine Reihe von Jahren noch unverändert blieb, ja sogar in vollerer Blüthe zu stehen schien. Beide, Wilhelm sowohl wie Friedrich, konnten glauben, jetzt dem Höhepunkte des Glückes nahe zu sein. Was er so lange vergebens ersehnt hatte, Freundschaft und Liebe, fand Friedrich reichlich in Berlin, wohin er sich als fünfundzwanzigjähriger junger Mann begab: die Freundschaft Schleiermacher's, die Liebe von Dorothea Veit, der Tochter von Moses Mendelssohn. Ein Bild hoher Freundschaft hatte ihm immer vor der Seele geschwebt; er hielt sich für geschaffen, es zu verwirklichen. »Ich bin nun einmal eine unendlich gesellige und in der Freundschaft unersättliche Bestie«, sagte er von sich selbst. Er konnte durchaus nicht allein sein, nichts allein treiben; er brauchte Jemanden zum Symphilosophiren, zum Symfaullenzen, kurz zum Symexistiren – eine charakteristische Wortbildung, die er sich erfunden hatte und gern gebrauchte. »Mittheilung, Theilnahme, Arm, an dem du wandelst, das wird dir fehlen, und wird dir fehlen, wie es Keinem fehlt«, schrieb ihm Novalis einmal, als er nach einer anderen Stadt übergesiedelt war, wo er Niemanden kannte. Aber der »gute innige« Schlegel hatte einen Teufel in sich, der ihm die liebsten Freunde muthwillig und bösartig verscheuchte. So sagte er Novalis geradezu in's Gesicht, daß er ihn zuweilen verachte, und begriff kaum, daß der Beleidigte diese Erklärung nicht mit seinem Wahrheitsdrange oder seiner Eigenheit »Dolche zu reden«, wenn es die Gelegenheit mit sich brachte, entschuldigte. Später freilich zog sich der Zwist wieder zu; Friedrich's »Zauberkraft auf menschlichen Geist« war so groß, seine kindliche Offenheit und Umgangslust so versöhnlich, daß seine Freunde ihm nicht leicht Etwas nachtrugen. Damals aber führte das Leben ihm Schleiermacher zu, der von allen Männern, die Friedrich nahe traten, ihm die zärtlichste und dauerndste Neigung geschenkt hat.
Mit seinen lebhaften Augen, der Schärfe seines Blickes, die sogar etwas Zurückstoßendes haben konnte, mit seinen streng geschlossenen Lippen, immer überlegt und besonnen, war Schleiermacher ein bestimmter Gegensatz zu dem weichen, behaglich trägen Schlegel. Dieser Verschiedenheit waren sie sich auch wohl bewußt und nannten ihr Verhältniß scherzweise eine Ehe, in der Schleiermacher die Frau war. Mit weiblicher Innigkeit hing der kleine, zarte, etwas verwachsene Jüngling an dem schönen, stattlichen Freunde. Friedrich's Kindlichkeit und Naivetät, die Heftigkeit seiner Wünsche, Neigungen und Abneigungen, ja sogar seine Leichtfertigkeit entzückten ihn. Alles, was Schleiermacher fehlte, hatte Friedrich im Uebermaß. Ein großes Wort habe Friedrich einmal von ihm gesagt, schreibt Schleiermacher, »nämlich ich müsse aus allen Kräften darauf arbeiten, mich immer frisch und lebendig zu erhalten. Niemand ist dem Verwelken und dem Tode immerfort so nah als ich.« Friedrich war eher in Gefahr des Erstickens oder dem Tode durch Ueberfütterung nahe. Ihren Verstand bewunderten sie gegenseitig. Und wenn Friedrich durch seine Natur, durch die Wucht seiner Persönlichkeit imponirte, gestand er selbst wiederum Schleiermacher, obwohl er der Jüngere war, eine gewisse Ueberlegenheit zu, die ihren Grund in seiner Frühreife, Besonnenheit, Zielbewußtheit, seinem thätigen Fleiß, seinem Ernst hatte. Friedrich hatte ein sinnliches, Schleiermacher ein moralisches Uebergewicht. Damit hing zusammen, daß Schleiermacher ganz unkünstlerisch war, was aber nicht störend empfunden ward; denn Ethik, Psychologie, Religion, kurz die Wissenschaft war ein so großes Gebiet gemeinsamen Interesses, daß es an Stoff zu endlosem »Symphilosophiren« nicht fehlte.
Die Freundschaftsehe hinderte aber beide Theilnehmer nicht, auch Frauenliebe zu suchen. Während Schleiermacher einen eigenthümlich geistig-herzlichen Verkehr mit der berühmten Schönheit Henriette Herz pflegte, stürzte sich Friedrich in zügellose Leidenschaft zu der häßlichen Dorothea. Auch Dorothea ergänzte Schlegel: sie war immer thätig, geschickt zu aller Arbeit, ebenso behende zum Schreiben und Schaffen, wie er schwerfällig. Freilich gab es in ihr auch nicht entfernt so viel Gehalt zu verarbeiten. Sie galt für klug und bedeutend; auch dürfte man nicht das Gegentheil von ihr behaupten; aber weder logisch noch tief zu denken war ihre Sache. Daß sie lebhaft, leicht und viel sprach, eine rasche Fassungsgabe besaß,