Levin Schücking

Levin Schücking: Historische Romane, Heimatromane, Erzählungen & Briefe


Скачать книгу

abschütteln und dann mit einem Tuche das starke schwarze lockige Haar von den Tropfen befreien wollte, womit der Nebel es leicht überpudert hatte. Die Ellenbogen des jungen Mannes kamen dabei rechts in Berührung mit allerlei Matten, Bürsten, Kuhketten, Stuhlrohr, Stricken und dergleichen malerischen Draperien eines Ladenraumes; auf der andern Seite stießen sie an die aus dunklem Eichenholz geschreinerte Theke, über der eine Art von Triumphbogen sich erhob, gebildet von zwei kühn geschweiften und in der Mitte sich umschlingenden Schlangen und belastet mit glänzenden Wagschalen und dicken Packen grauer Tüten.

      Umschlossen von diesem sinnig erfundenen Rahmen stand hinter der Theke eine sanfte Männergestalt mit grauem Haar und einem mehr freundlichen und belebten als sorgfältig rasierten Gesicht, das, an den Schläfen stark eingedrückt, eine sehr gewölbte, hohe, kahle, höchst gelehrt aussehende Stirn zeigte; ein Gesicht, das viel mehr das eines gutmütigen spekulativen Weltweisen war als das eines Mannes, der geboren, sich mit dem Abwägen von Pfeffer, Kandis und Waschbläue zu beschäftigen.

      Es schien in der Tat, daß auch der eintretende junge Mann diese Bemerkung machte, denn nachdem er dem Manne hinter der Theke eine nicht unzeremoniöse Verbeugung gemacht hatte, sagte er mit einiger Überraschung im Tone:

      »Ei der Tausend, mein Herr Professor, ist dero Gelahrtheit wieder einmal zwischen die Öl- und Heringsfässer gebannt, so daß ein lernbegieriger Jünger, der kommt, zu den Füßen seines Lehrers zu sitzen, Gefahr läuft, dabei in den Tran zu geraten?«

      »Was soll man machen, Herr Bender, was soll man machen! Die werte Eheliebste liegt an einer kleinen febris intermittens rheumatischen Charakters danieder, die Magd ist mit den Angelegenheiten der hilfebedürftigen Jugend in der Kinderstube beschäftigt, und so muß denn der Hausvater wohl vom Kothurn der Wissenschaft auf den Soccus des Spezereigeschäfts herabsteigen. Treten Sie näher, Herr Bender, ich will nur noch einige Lot gemahlenen Kaffees in die respektiven Tüten verpacken, um diesen vorzugsweise beliebten Artikel bei vorkommender Nachfrage sofort fertig und ohne Zeitverlust verabreichen zu können. Wir wollen alsdann unverweilt unsere Vorlesung beginnen. Wir waren stehengeblieben bei ...«

      »Nehmen Sie sich nur Zeit, Herr Professor;, die Uhr ist noch nicht sechs, und Ihre beiden andern Zuhörer sind ja auch noch nicht da.«

      »Werden wohl wieder das Kollegium schwänzen, die Herren Zander und Elleschen; was uns aber nicht abhalten wird, heute zum Abschnitt von der spina dorsalis überzugehen.«

      »Ist denn Jungfer Traudchen Gymnich nicht zur Hand, um Ihnen das Geschäft abzunehmen? Sie ist ja sonst die hilfebereite Hausfreundin.«

      »Jungfer Traud«, versetzte der Gelehrte, »war heute noch nicht« – sichtbar, wollte er hinzufügen, als die Klingel der sich öffnenden Tür ihn unterbrach und der Laden durch das Erscheinen einer Kundschaft erfreut wurde, die sich in Gestalt eines etwa achtjährigen barhäuptigen Buben präsentierte und keck an die Theke trat, auf deren Rand der freundliche Kleine seine beiden Ellenbogen lehnte.

      »Wat eß, Kind?« sagte der Professor.

      »Gitt meer enß zwei Lut Angenis!«

      Der Professor wog zwei Lot Anis ab.

      »Wat koß et?«

      »Wat et koß ...«, sagte der Professur sinnend, »wat et koß ...«, er war offenbar nicht ganz im klaren über den Marktpreis von zwei Lot Anis, aber er wußte sich zu helfen.

      »Wies enß, Köbesje, we vill hann se deer metgegevve?«

      »'nen Albuß,« versetzte der Junge, eine seiner Hände öffnend und eine Münze von diesem Wert zeigend.

      »Et eß rääch, zwei Lut Angenis koß 'nen Albus,« sagte der Professor und ließ das Geld durch eine Ritze in der Theke in die darunter befindliche Geldlade fallen.

      »För 'nen Albus Seif!« sagte der Junge jetzt.

      »För 'nen Albus Seif!« wiederholte der Professor und zog aus einem Fache des Ladens eine Stange weißer Seife hervor, die er in Löschpapier einwickelte.

      Der Junge öffnete nun die andere Hand und ließ einige Kupfermünzen daraus fallen.

      »Es dat 'nen Albus?« sagte der Gelehrte verweisend; »dat sin sechs Heller.«

      Der Knabe schwieg einen Augenblick betroffen; dann sich sammelnd antwortete er mit der selbstbewußten Geistesgegenwart eines künftigen Reichsstadtbürgers: »Dann sin de Heller, förde Angenis, un der Albus eß för de Seif.«

      »Jo, du Lotterbov, wat sähß do dat nit glich! Nu eß et rääch, nu gang!«

      Der Knabe zog mit Anis und Seife ab; der Student, der unterdessen seinen Mantel und Hut an denselben Nagel gehängt hatte, woran die Kuhketten an der Mauer niederhingen, hatte lächelnd die Art, wie der Professor Geschäfte abschloß, beobachtet und schritt jetzt durch den Laden, um auf ein paar Stufen zu treten, welche aus demselben in ein dahinterliegendes Zimmer führten.

      »Professor Bracht,« sagte er dabei, »Sie werden Ihrer Frau Eheliebsten schöne Dinge im Laden anrichten! Wer verkauft denn zwei Lot Anis für einen Albus? Auch sehe ich an der Art, wie Sie jetzt den Kaffee abwägen, daß Sie mit den eigentlichen Finessen des Geschäfts in beklagenswerter Weise unbekannt sind! Ist das die rechte Art, wie man dem Zünglein in der Wage einen kleinen Schneller nach der Seite hin gibt, wo die Ware hängt? Ich wette darauf, den gestoßenen Zimt verkaufen Sie, ohne in Ihrer strafbaren Unbesonnenheit auch nur einen Blick daraufzuwerfen, ob er den gehörigen Zusatz von geraspeltem Zigarrenkästchenholz hat, und ob er lange genug im Keller lag, um durch die Feuchtigkeit sein Gewicht zu vergrößern; und wenn Sie im ungemahlenen Kaffee zufällig das Vorkommen auffallend vieler Kirschensteine bemerken, so ahnen Sie in Ihrer leichtsinnigen Unschuld wohl gar nicht, welche tiefere Bedeutung diese befremdlichen Gegenstände haben. Ist Ihnen jemals eingefallen, über das Geheimnis nachzusinnen, wie man durch einen einfachen Kunstgriff dem Schwefelholzpäckchen zu Nachkommenschaft auf dem Wege natürlicher Vermehrung verhilft, indem man die Päckchen unmerklich um einzelne Exemplare bemaust? Ich behaupte, die ganze Kipper- und Wipperschaft des Kleinhandels ist Ihnen fremd, und wenn man sagt: schicke kein Kind auf den Markt, so sollte man hinzusetzen: stell' aber auch keinen Professor hinter die Theke!«

      Herr Professor Anatomiae D. Laurentius Bracht lächelte still bei dieser Vorlesung, welche ihm sein Schüler hielt, und nachdem er seine Kaffeetüten zustande gebracht, ging er dazu über, eine in der Mitte des Triumphbogens von den Schlangenhälsen niederhängende Lampe zu entzünden. »Was soll man machen!« sagte er dabei achselzuckend, »jede Hantierung hat ihre kleinen Kunstgriffe, die Überlieferung der biedern und klugen Vorvordern, die sich dann auf die pietätvollen Enkel vererben. Wenn man aber nun einmal kein Enkel, das heißt, nicht innerhalb solcher achtbaren Traditionen aufgewachsen ist, sondern so wie ich nur ein Appendix des Geschäfts, aus Gnaden und vermittelst eines Ehebündnisses in reiferen Jahren aufgenommen, dann wird man immer ein hilfebedürftiger tiro bleiben, man mag in litteris prästieret haben, so viel und so Rühmliches man will. Und nun, mein treuester Herr Scholar,« fuhr der Professor fort, indem er ein Talglicht an der brennenden Lampe anzündete, »da es scheint, als sollten wir eine Weile Ruhe haben vor den Anis- und Seifebedürfnissen der lieben Nachbarschaft...«

      »Und da die Herren Zander und Elleschen ihrer löblichen Gewohnheit, zu schwänzen, getreu zu bleiben scheinen ...« fiel der Scholar ein –

      »So können wir beginnen,« sagte der Professor Bracht und schritt mit seinem entzündeten Licht in die Hintere Stube hinauf, an deren Schwelle Bender bisher Posto gefaßt hatte.

      Das Zimmer bot einen von dem davorliegenden Räume sehr verschiedenen Anblick dar. Es war unsers Professors Doctoris Medicinae et Artis obstetriciae Bracht Auditorium für seine öffentlichen und privaten Vorträge über Anatomie des Menschen, vergleichende Anatomie und Osteologie. Unsere Leser wissen, daß solche Vortrage gemeinhin auf anatomischen Theatern gehalten zu werden pflegen. Es fehlte auch an einem solchen Institut der alten und berühmten Hochschule zu Köln nicht; aber leider war es ein düsterer großer zugiger Saal, möglichst unzweckmäßig eingerichtet, und im Winter gar nicht zu erwärmen. Und da hinzukam, daß Professor Bracht in seinen Vorlesungen auf der wenig mehr