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drückte sich an die dunkle Wand, und ich tat dasselbe, indem ich meinen Revolver in die Hand nahm. In der Türe gewahrte ich die undeutlichen Umrisse eines Mannes. Er stand einen Moment still, dann kroch er vorwärts. Die schwarze Gestalt war kaum drei Meter von uns entfernt; ich war schußbereit. Da wurde mir plötzlich klar, daß sie keine Ahnung von unserer Anwesenheit hatte. Sie schlich dicht an uns vorbei; hinüber nach dem Fenster. Sie öffnete es leise, etwa einen halben Fuß weit. Das Licht von der Straße wurde nun nicht mehr durch die schmutzigen Scheiben abgeschwächt, es fiel jetzt direkt auf das Gesicht des Mannes. Er schien sich in der furchtbarsten Aufregung zu befinden. Seine Augen funkelten, seine Gesichtszüge zeigten krampfhafte Zuckungen. Er war nicht mehr jung, hatte eine schmale vorspringende Nase, eine glatte, hohe Stirne und einen starken graumelierten Schnurrbart. Sein Gesicht war hager, von wilden Furchen durchzogen und von bräunlicher Farbe. In der Hand hatte er ein stockähnliches Instrument. Als er es auf den Boden legte, gab es aber einen metallischen Klang. Dann zog er etwas aus der Ueberziehertasche. Er hantierte längere Zeit daran herum, endlich gab es einen lauten Knacks, als wenn eine Feder oder ein Schloß einspringt. Er kniete noch immer auf dem Fußboden und mühte sich mit aller Kraft an irgend einem Hebel oder dergleichen ab, bis man wieder ein ähnliches, aber stärkeres Einschnappen hörte, wie vorher. Nun richtete er sich auf, und ich sah, daß das Werkzeug in seiner Hand eine besondere Art Schießgewehr vorstellte. Er öffnete es hinten, steckte etwas hinein und ließ den Bolzen wieder einschlagen. Dann kauerte er sich nieder, legte den Lauf auf die Fensterbrüstung und nahm, indem sein mächtiger Schnurrbart auf den Schaft herunterhing, mit blitzenden Augen das Visier. Er atmete tief auf, als er angelegt hatte. Einen Augenblick war er mäuschenstill und zuckte mit keiner Wimper. Endlich drückte er ab. Ein eigentümliches ›Ptsch‹ und der charakteristische Ton beim Aufschlagen eines Geschosses! Im selben Moment sprang ihm Holmes in den Nacken und warf ihn flach auf den Boden, mit dem Gesicht nach unten. Doch mit übermenschlicher Kraft arbeitete sich der Schurke herum und erwischte Holmes an der Kehle. Da schlug ich ihn mit dem Revolvergriff auf den Schädel, warf mich auf ihn und hielt ihn fest. Mein Gefährte ließ einen schrillen Pfiff ertönen. Gleich wurden Schritte auf dem Pflaster draußen hörbar, und zwei Schutzleute und ein Geheimpolizist stürzten durch den Vordereingang ins Zimmer.

      »Sind Sie’s, Herr Lestrade?« sagte Holmes.

      »Jawohl, Herr Holmes. Ich habe diese Arbeit selbst übernommen. Es ist gut, daß Sie wieder in London sind.«

      »Ich glaube wohl, daß Ihnen ein bißchen Mithilfe nicht unwillkommen sein wird. Drei unaufgeklärte Morde in einem Jahre ist des Guten etwas zuviel, Lestrade. Aber in der Moleseyschen Sache sind Sie geschickter zu Werke gegangen als sonst – ich meine, die haben Sie wirklich gut gemacht.«

      Wir waren alle auf den Beinen. Unser Gefangener befand sich wutschnaubend zwischen zwei handfesten Polizisten. Auf der Straße hatten sich natürlich einige Gaffer versammelt. Holmes schloß das Fenster und ließ die Rolladen herunter. Lestrade zündete zwei Kerzen an, und die Schutzleute machten ihre verhängten Laternen frei. Endlich konnte ich mir unseren Mann genauer bei Licht betrachten.

      Ich sah ein sehr männliches, aber auch sehr bösartiges Gesicht. Die Stirne war diejenige des Philosophen, die Kiefer verrieten den Genußmenschen; dieser Mann war mit großen Anlagen ausgestattet, zum Guten wie zum Bösen. Die trotzigen blauen Augen mit den hündischen Brauen und Wimpern, die starke gebogene Nase und die drohende tiefgefurchte Stirn zeigten den geborenen Verbrecher an. Er nahm von niemandem Notiz, sondern starrte unausgesetzt auf Holmes. Haß und Bewunderung lagen in seinem Ausdruck. »Sie Teufelskerl! Sie ganz geriebener Teufel!« knirschte er immer wieder zwischen den Zähnen.

      »Ja, ja, Herr Oberst,« sagte Holmes, während er seinen Kragen in Ordnung brachte, »der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht. Ich glaube, seitdem Sie mir am Reichenbachfall jene Aufmerksamkeit erwiesen, habe ich nicht wieder das Vergnügen gehabt, Sie zu sehen.«

      Der Oberst stierte meinen Freund noch immer mit haßerfüllten Blicken an. »Sie verfluchter, ganz verfluchter Teufel!« war alles, was er herausbringen konnte.

      »Ich habe Sie noch nicht miteinander bekannt gemacht,« sagte Holmes. »Dies, meine Herren, ist der Oberst Sebastian Moran, ehemaliger Offizier Ihrer Majestät im britischen Heer in Indien und der beste Schütze, den es je dort gegeben hat. Ich glaube, die Behauptung ist nicht übertrieben, Herr Oberst, daß Sie als Tigerjäger unerreicht waren.«

      Der wütende Graubart erwiderte kein Wort, sondern blickte meinen Gefährten noch immer unverwandt an. Mit den leuchtenden Augen und dem sich sträubenden Schnurrbart sah er selbst wie ein Tiger aus.

      »Es wundert mich eigentlich,« fuhr Holmes fort, »daß ein so alter Schikari auf meinen einfachen Trick hineingefallen ist. Er mußte Ihnen doch bekannt sein. Sie haben doch schon selbst, mit einem Zicklein als Köder und das Gewehr in der Hand, unter einem Baume gelegen und auf den Tiger gelauert? Nun, dieses leere Haus ist mein Baum, und Sie sind mein Tiger. Sie haben wohl auch Reservegewehre mitgenommen für den Fall, daß mehrere Tiger kommen, oder, was kaum anzunehmen war, daß Sie fehlschießen sollten? Diese hier,« er zeigte auf die Umstehenden, »sind meine Reservegewehre. Paßt der Vergleich nicht sehr schön?«

      Oberst Moran tat einen Satz nach vorne, auf Holmes zu, und knurrte wie ein wildes Tier, aber die Polizisten rissen ihn wieder zurück. Sein wütendes Gesicht war schrecklich anzusehen, es war ganz verzerrt.

      »Ich gebe allerdings zu, daß Sie mir eine kleine Ueberraschung bereitet haben,« sagte Holmes weiter. »Ich hatte nicht damit gerechnet, daß Sie selbst auch dieses Haus und dieses Fenster zu Ihrer Operation ausersehen hätten. Ich hatte geglaubt, Sie würden von der Straße aus vorgehen. Deshalb ließ ich meinen Freund Lestrade mit seinen Leuten dort Wache halten. Aber von dieser Kleinigkeit abgesehen, ist alles meinen Erwartungen entsprechend eingetroffen.«

      Jetzt wandte sich der Oberst an den offiziellen Detektiv.

      »Sie mögen mich nun zu recht oder unrecht verhaftet haben,« sagte er, »jedenfalls habe ich keine Lust, mir die Sticheleien dieses Menschen länger gefallen zu lassen. Ich befinde mich in der Gewalt der Justiz und kann verlangen, daß die Dinge ihren gesetzlichen Verlauf nehmen.«

      »Dagegen läßt sich nichts einwenden,« antwortete Lestrade. »Haben Sie noch etwas zu sagen, Herr Holmes, ehe wir aufbrechen?«

      Holmes hatte die mächtige Windbüchse vom Boden aufgehoben und prüfte ihren Mechanismus.

      »Eine wunderbare und eigenartige Waffe,« sagte er, »schießt geräuschlos und hat eine furchtbare Durchschlagskraft. Ich habe Herder, den blinden deutschen Mechaniker, der sie auf Bestellung des seligen Professors Mariarty konstruiert hat, persönlich gekannt. Ihre Existenz war mir schon jahrelang kein Geheimnis mehr, aber ich hatte noch nie die Gelegenheit, sie in die Hand zu bekommen. Ich empfehle sie Ihrer besonderen Beachtung, Herr Lestrade, und die zugehörigen Kugeln ebenfalls.«

      »Sie können sich darauf verlassen, Herr Holmes, daß wir beiden unsere Aufmerksamkeit schenken werden,« erwiderte Lestrade, als wir alle zusammen nach der Türe zugingen. »Noch etwas?«

      »Ich möchte Sie noch fragen, was Sie als Grund zur Festnahme angeben wollen?«

      »Was? Nun selbstverständlich den Mordanschlag auf Sherlock Holmes.«

      »Ach nein, Lestrade. Ich möchte mit meiner Person ganz aus dem Spiel bleiben. Ihnen, und Ihnen ganz allein, soll das Verdienst der denkwürdigen Verhaftung zugeschrieben werden, die Sie eben ausgeführt haben. Jawohl, Herr Lestrade, ich gratuliere Ihnen! Mit Ihrer gewohnten glücklichen Mischung von Schlauheit und Kühnheit haben Sie ihn gefangen.«

      »Ihn gefangen! Wen gefangen, Herr Holmes?«

      »Den Mann, den die ganze Polizei vergeblich gesucht hat – den Oberst Sebastian Moran, der den Baron Ronald Adair im zweiten Stock des Hauses Parkstraße 427 am 30. des vergangenen Monats durch das offene Fenster mit einer Büchsenkugel erschossen hat. Um dieses Verbrechen handelt es sich, Herr Lestrade. Und nun, mein lieber Watson, können wir uns in meinem Arbeitszimmer bei einer Zigarre noch ein Plauderstündchen gönnen.«

      * * *

      Unsere alten Räumlichkeiten waren dank der Aufsicht