Stefan Zweig

Gesammelte Werke von Stefan Zweig


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Kirche, wiewohl ihr unser Bemühen und gemeinsam Werk gelten wird. Laßt uns gehn!«

      Der Maler blieb noch zögernd einige Augenblicke stehen, ehe er sich vom Bilde abwandte, das immer leuchtender zu werden schien, in dem Maße, als die rauchige Finsternis sich zu erhellen strebte und der Dunst immer goldener um die Fenster sich wölbte. Und es war ihm fast, als würde, wenn er andächtig betrachtend zurückbliebe, die sanft-schmerzliche Falte dieser Kinderlippen sich in ein Lächeln verlieren und neue Holdseligkeit ihm offenbaren. Doch sein Begleiter war schon vorausgegangen, und er mußte seinen Schritt beschleunigen, um ihn noch beim Portale zu erreichen. Gemeinsam, wie sie gekommen waren, traten sie aus der Kirche.

      Aus dem schweren Nebelmantel, den der Vorfrühlingsmorgen der Stadt umgehängt hatte, war ein matter, silberner Flor geworden, der wie ein Spitzengewebe sich an den gegiebelten Dächern verfangen. Das enggesteinte Pflaster glänzte feucht-atmend wie Stahl, und schon begann sich das erste Sonnenflimmern goldig darin zu spiegeln. Der Weg der beiden ging durch die schmalen verwinkelten Gassen dem hellen Hafen zu, wo der Kaufherr wohnte. Und da sie langsam dahinschritten, in Gedanken und Erinnerung verloren, führte des Kaufherrn Geschichte schneller hin zum Ziele als ihrer Schritte träumerischer Gang.

      »Ich hab Euch schon erzählt«, begann er, »daß ich in jungen Jahren in Venezia war. Und um nicht lang zu zögern: ich trieb es nicht sehr christlich. Statt meines Vaters Contor zu verwalten, saß ich in Schenken mit dem jungen Volk, das dort den lieben Tag in Saus und Braus verbringt, trank, spielte, wußte auch schon manches freche Lied und manchen bittern Fluch über den Tisch zu donnern, wie die andern. An Heimkehr dacht’ ich nicht. Das Leben war mir leicht, wie meines Vaters Worte, die er mir dringender und drohender von Hause schrieb: man kannte mich und hatte ihn gewarnt, daß mich das Luderleben noch verschlingen würde. Ich lachte nur, manchmal mit Ärgernis: ein rascher Schluck von diesem dunkelsüßen Wein schwemmte mir alle Bitterkeiten weg, und tat’s nicht er, so tat’s ein Dirnenkuß. Die Briefe riß ich auf und bald entzwei: mich hatte ganz der böse Rausch gefaßt, ich dachte nie mehr loszukommen. Doch eines Abends ward ich alles frei. Sehr seltsam war’s, und manchmal fühl’ ich’s heute noch so, als hätte sichtbarlich ein Wunder meinen Weg gebahnt. Ich saß in meiner Schenke: heut noch seh’ ich sie mit ihrem Qualm und Dunst und meinen Kneipgesellen. Auch Dirnen waren mit, und eine war sehr schön; wir trieben’s selten toller als in dieser Nacht, die stürmisch war und sehr unheimlich. Plötzlich, als eben eine unzüchtige Historie dröhnendes Lachen weckte, trat mein Diener ein und gab mir einen Brief, den der Kurier von Flandern gebracht hatte. Ich war sehr ärgerlich, weil ich die Briefe meines Vaters ungern sah, denn sie mahnten mich unablässig an meine Pflicht und an ein christlich Tun, zwei Dinge, die ich längst im Wein ersäuft hatte. Ich wollt’ ihn nehmen: da sprang der eine meiner Kneipgesellen auf, ein schöner Bursch, geschickt und aller ritterlichen Künste Meister. ›Laß doch den Unkenschrei! Was geht’s dich an!‹ rief er und warf den Brief hoch, riß seinen Degen rasch heraus und stieß geschickt das niederflatternde Blatt tief in die Wand, daß die blaue geschmeidige Klinge zitterte. Er zog sie vorsichtig zurück – der geschlossene Brief blieb an seiner Stelle. ›Da klebt die Fledermaus‹, lachte er. Die andern schlugen in die Hände, die Dirnen sprangen freudig zu ihm auf, man trank ihm zu. Ich lachte selbst, trank mit, zwang mich zu toller Fröhlichkeit, in der ich Brief und Vater, Gott und mich vergaß. Wir gingen fort, ohne daß ich noch des Briefes dachte, zu einer andern Schenke, wo unsre Fröhlichkeit zur Torheit wurde. Ich war berauscht wie nie, und eine der Dirnen war schön wie die Sünde.« –

      Der Kaufherr blieb unwillkürlich stehen und strich sich mit der Hand mehrmals über die Stirne, gleichsam, als wollte er ein unerfreuliches Bild von sich abstreifen. Der Maler merkte rasch die Peinlichkeit der Erinnerung und sah ihn nicht an, sondern ließ seinen Blick wie neugierig auf einer raschsegelnden Galeone ruhen, die sich mit vollen Segeln dem Hafen näherte, in dessen farbigem Gewirre die beiden langsam angelangt waren. Das Schweigen dauerte nicht lange, und der Erzähler fuhr mit Hastigkeit fort.

      »– Ihr könnt Euch denken, wie es wurde. Ich war jung und verwirrt, sie frech und schön. Wir gingen zusammen, und ich war voll Unrast und Begierde. Aber ein Sonderbares geschah. Als ich in ihren buhlerischen Armen lag und sich ihr Mund an meinen preßte, da ward diese Zärtlichkeit mir nicht wilder, gern erwiderter Genuß, sondern in wunderbarer Weise mahnten mich diese Lippen an den sanften Abendgruß im Elternhause. Mit einem Male, wundersam und kaum glaublich, fiel mir in den Armen der Dirne meines Vaters zerknüllter, zerstoßener, ungelesener Brief ein und mir war, als fühlte ich den Stoß des Gesellen in meiner blutenden Brust. Ich fuhr auf, so unvermittelt und blaß, daß mich die Dirne erschreckten Blickes befragte, was mir zugestoßen sei. Aber ich schämte mich meiner törichten Angst, und ich schämte mich dieses fremden Weibes, in dessen Bett ich gelegen und deren Schönheit ich genossen, ohne ihr den törichten Gedanken eines Augenblickes anvertrauen zu wollen. Aber in dieser Minute hat sich mein ganzes Leben gewandelt, und heut wie damals fühle ich, daß nur Gottes Gnade solches wirken kann. Ich warf ihr Geld hin, das sie widerwillig nahm, weil sie fürchtete, daß ich sie verachte, und nannte mich einen deutschen Narren. Ich aber hörte nicht mehr, sondern stürmte fort in die kalte Regennacht und schrie wie ein Verzweifelter in die dunklen Kanäle hinaus nach einer Gondel. Endlich kam eine, die sich ihre Fahrt mit Gold aufwiegen ließ, aber mein Herz pochte in einer so jähen, unbarmherzigen und unbegreiflichen Angst, daß ich an nichts anderes dachte als an den Brief, den mir ein Wunder so jählings wieder in Erinnerung gebracht. Als ich bei der Schenke angelangte, brach die Begierde nach diesen Zeilen aus wie ein zehrendes Fieber; ein Rasender stürmte ich jäh in die Schenke, ohne der freudig-erstaunten Rufe meiner Genossen zu achten, sprang auf einen gläserklirrenden Tisch, riß den Brief von der Wand und rannte weiter, ohne das tolle Hohnlachen und zornige Fluchen hinter mir zu beachten. An der nächsten Ecke entfaltete ich den Brief mit zitternden Händen. Der Regen strömte nieder vom verwölkten Himmel, und der Wind riß an dem Blatt in meiner Hand. Ich ließ aber nicht früher ab, als bis ich mit überquellenden Augen alles entziffert hatte. Es waren nicht viel der Worte: meine Mutter sei zum Sterben krank, und ich möchte nach Hause kommen. Kein Wort des Tadels und Vorwurfs wie sonst. Aber wie brannte mein Herz in tiefster Scham, als ich sah, daß des Degens Klinge mitten durch meiner Mutter Namen gestoßen war…«

      »Ein Wunder, ein offenbarliches Wunderzeichen, nicht allem Volke verständlich, aber wohl dem, für den es erstanden«, murmelte der Maler, als der Erzähler tiefbewegt in Schweigen versunken war. Eine Zeitlang gingen sie wieder wortlos nebeneinander her. Fernüber leuchtete schon das prächtige Haus des Kaufherrn ihnen entgegen. Als der Kaufherr aufblickend es bemerkte, fuhr er hastig fort.

      »Laßt mich kurz sein, laßt mich Euch verschweigen, in welchem Schmerz und reuevollem Wahnsinn ich diese Nacht verlebte. Laßt Euch nur sagen, daß mich der nächste Morgen knieend auf den Stufen der Markuskirche fand, wo ich in brünstigem Gebete der Muttergottes einen Altar gelobte, wenn sie mir vergönnen wollte, meiner Mutter Gruß und Verzeihung zu erlangen. Am selben Tage reiste ich ab, reiste Stunden und Tage der Verzweiflung und Angst nach Antwerpen, stürmte wild und verzweifelt zu meiner Eltern Haus. Vor dem Tore stand meine Mutter, gealtert und blaß, doch wohlauf. Als sie mich sah, breitete sie mir jubelnd die Arme entgegen, und ich weinte vieler Tage Sorge und vieler vergeudeter Nächte Schmach an ihrem Herzen aus. Mein Leben ist seitdem ein anderes geworden, ich darf beinah sagen ein gutes. Das Liebste, das ich hatte, jenen Brief, habe ich eingesargt in den Grundstein dieses Hauses, das meiner Hände Arbeit geschaffen hat, und mein Gelübde habe ich zu lösen gesucht. Bald nach meiner Ankunft ließ ich den Altar errichten, den Ihr gesehn habt, und bot alle Mühe auf, ihn würdig zu schmücken. Da ich aber unbekannt war in den Geheimnissen, nach denen ihr Eure Kunst zu werten wißt und der Muttergottes ein würdiges Bild weihen wollte, so wie sie mir ihr Wunder geoffenbart, schrieb ich an einen treuen Freund nach Venedig, er möge mir den Tüchtigsten der Maler senden, den er kenne, daß er mir das Werk meines Herzens würdig vollende.

      Monate vergingen. Eines Tages stand ein junger Mann vor meiner Tür, berief sich seiner Sendung und entbot mir Gruß und Brief meines Freundes. Der italienische Maler, dessen wunderbaren und seltsam traurigen Gesichtes ich mich noch wohl besinne, glich durchaus nicht den lärmenden und großsprecherischen Kumpanen meiner Venezianer Zechgelage. Eher hätte man ihn als Mönch empfangen, denn als Maler, weil sein Habitus schwarz und lang war, seine Haare schlicht gereiht und sein Antlitz von jener vergeistigten