Else Ury

Else Ury: Die beliebtesten Kinderbücher, Romane, Erzählungen & Märchen (110 Titel in einem Band)


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sich Nesthäkchen eines Tages.

      »Leider schmilzt es bei den Kriegspreisen jetzt sehr zusammen«, scherzte Großmama.

      »Du darfst aber gar kein Gold mehr haben, Großmuttchen, wir müssen alles Gold, was wir zu Hause auftreiben können, zur Schule mitbringen und Papiergeld dafür in Empfang nehmen.«

      »I, fällt mir ja nicht im Traume ein«, wies Großmama die Kleine energisch ab.

      Als vorsorgende und ängstliche Frau hatte sie sich soviel Geld wie möglich in Gold zurückgelegt. Gold behielt immer seinen Wert, selbst wenn Papiergeld wertlos war. Und das sollte sie jetzt fortgeben? Das wäre doch mehr als leichtsinnig!

      Aber Großmama rechnete nicht mit der Ausdauer und Beredsamkeit ihrer drei Enkel. Da kam der Klaus und trompetete durchs Haus: »Wer sein Gold nicht an die Reichsbank abliefert, versündigt sich am Vaterland!« Da hielt der Hans täglich ellenlange Vorträge, weshalb und warum es notwendig sei, alles Gold in den Staatsdienst zu stellen, daß Großmama allmählich mürbe wurde. Den Rest aber gab ihr Nesthäkchen mit seinen zärtlichen Bitten, Streicheln und Küssen. Das Schmeichelkätzchen setzte es zuerst durch, daß Großmama ihr fünf Goldstücke zur Ablieferung an die Schule einhändigte oder vielmehr dem Fräulein. Denn der huschligen Annemarie mochte Großmama nicht hundert Mark anvertrauen.

      Was dem einen recht ist, ist dem andern billig. Natürlich wollten nun auch die Jungen Gold für die Schulsammlung. Und den Rest – den brachte die Großmama dann eigenhändig zur Reichsbank. Nie hätte sie gedacht, daß sie das gehütete Gold aus freien Stücken abliefern würde. Aber die kluge und vaterlandsliebende Frau hatte inzwischen erkannt, daß es notwendig war, das Wohl des einzelnen dem Wohl der Gesamtheit hintenan zu setzen. »Ja, ja, die Welt ist jetzt umgekehrt, die Alten lernen von den Jungen«, sagte sie halb im Ernst, halb im Scherz zu Tante Albertinchen, die sie oft besuchte.

      Aber als die drei Kinder eines Tages gar einen Sturmangriff auf ihren Haushalt unternahmen, ging ihr das denn doch über den Spaß. Auf ihre Kupferkessel, ihre schönen, großen, in deren Glanz sie sich jeden Sonnabend, wenn sie geputzt waren, spiegelte, hatten sie es abgesehen. Die sollte die arme Großmama herausrücken.

      »Wir kriegen einen eisernen Ring mit Inschrift dafür, nicht wahr, du gibst mir ein paar von den ollen Kesseln, liebstes, einziges Großmuttchen?« Annemaries Augen bettelten mit ihrem Mund und ihren streichelnden Händen um die Wette.

      Es war nicht leicht, Nesthäkchens flehentlichen blauen Sternenaugen etwas abzuschlagen. Aber die Zumutung erschien Großmama doch etwas stark. Die Kessel waren noch ein Erbstück von ihrer eigenen Mutter, der Stolz der Hausfrau. Nein, diesmal blieb Großmama fest.

      Aber als Annemarie am nächsten Tage weinend aus der Schule kam, sogar Vera, die Polnische, habe einen Kupferkessel mitgebracht und dafür einen Gedenkring erhalten, bloß sie nicht – da ward Großmamas Herz von den Tränen ihres Lieblings doch erweicht.

      »Na, meinetwegen,« seufzte sie schließlich ergebungsvoll, »aber nur zwei kleine – mehr keinesfalls!«

      »Ach, das ist ja genug, dafür kriege ich sicher einen Ring«, jubelte Annemarie, die gute Großmama in ihrer Dankbarkeit fast erdrückend. Nesthäkchen schien zu glauben, die Kupfersammlung sei lediglich zu dem Zweck veranstaltet, um Schulkinder durch Gedenkringe zu erfreuen.

      Aber Bruder Hans belehrte sie eines Besseren.

      »Gedenkringe sind ja ganz schön, aber schließlich doch nur Nebensache. Die Hauptsache bleibt, daß wir genug Kupfer zur Herstellung unserer Munition zusammenkriegen.« Und nun ließ er seinen schönsten Vortrag vom Stapel. Nur schade, daß seine Hörerschaft das Ende desselben nicht abwartete. Annemarie ging schon nach den ersten Sätzen auf und davon, um Klaus ein bißchen zu ärgern, daß sie zwei Kessel bekam und er keinen. Großmama hatte in der Wirtschaft zu tun, so sah sich der beredte Hans plötzlich mit Puck allein im Zimmer, der als einziger seinen Vortrag richtig zu würdigen schien.

      In der Jungenstube gab es inzwischen eine lebhafte Auseinandersetzung zwischen den beiden Jüngeren. »Natürlich gibst du mir einen Kessel ab, du dummes Ding, einer kommt mir überhaupt zu«, rief Klaus energisch.

      »Is ja nicht wahr, Großmama hat sie mir geschenkt! Und für einen kleinen Kessel bekomme ich am Ende gar keinen Ring!« War es ein Wunder, wenn fast ganz Europa gegeneinander losging, daß auch bei Doktor Braun ein Krieg im kleinen stattfand? Zum erstenmal seit langer Zeit keilten sich die Geschwister wieder kunstgerecht.

      »Aber Klaus – Annemie, schämst du dich denn gar nicht!« von beiden Seiten eilten Großmama und Fräulein friedenstiftend hinzu.

      »Der Klaus will mir meinen Kessel fortnehmen, Großmama«, begann Annemarie sich weinend zu verteidigen.

      »Einer gehört mir – – –«

      »Nein, mein Sohn, du irrst dich. Sie gehören alle beide mir, und ich habe sie für Annemie bestimmt.« Großmamas Ruhe stach seltsam von der lauten Empörung der kriegführenden Parteien ab.

      »Dann lasse ich mir eben einen Kessel von der Hanne geben«, mit einem letzten Knuff verließ Klaus das Zimmer. Natürlich wollte Nesthäkchen hinter ihm her, um nun ihrerseits wieder die »Offensive« zu ergreifen. Jedoch Fräulein hielt es zurück. Großmama sagte ernst: »Ich sorge mit Freuden für euch, Kinder, und nehme die kleinen Unbequemlichkeiten und die Unruhe eines größeren Haushaltes gern in Kauf. Aber Zank und Streit kann ich nicht vertragen, dazu bin ich schon zu alt und zu sehr an Ruhe gewöhnt. Wollt ihr, daß ich bei euch bleibe, dann müßt ihr Rücksicht auf mich nehmen und euch vertragen!«

      Blutrot wurde Annemarie bei Großmamas eindringlichen Worten. Muttis erster Brief wurde plötzlich wieder in ihr lebendig. Hatte sie nicht damals die feste Vornahme gehabt, rücksichtsvoll gegen Großmama zu sein und für sie zu sorgen? Längst hatte sie das vergessen, wie sie auch manches andere vergaß.

      »Verzeih mir, Großmuttchen,« bat sie beschämt, »ich will jetzt wirklich immer daran denken, daß du schon alt bist und keinen Krach mehr vertragen kannst.«

      Und als ein Weilchen später Klaus mit bitterbösem Gesicht wieder erschien, weil Hanne sich durchaus nicht auf irgendwelche Verhandlungen einlassen wollte, und ihre Kessel verteidigte, wie eine Löwin ihre Junge, da sagte Nesthäkchen aus freien Stücken: »Ich gebe dir einen Kessel ab, Klaus.«

      »Na also,« sagte der erfreut, »da hätten wir uns die Keilerei ja sparen können.«

      Am nächsten Tage marschierten Doktors Sprößlinge einträchtig, jeder mit einem Kupferkessel, in die Schule und kamen freudestrahlend mit ihrem Gedenkring wieder heim.

      Großmama sah lächelnd das gute Einvernehmen der beiden und dachte: »Ich wünschte, da draußen in der Welt wäre so schnell Frieden wie bei meiner kriegerischen, kleinen Gesellschaft.«

      15. Kapitel

       Reichswollwoche

       Inhaltsverzeichnis

      Die Reichswollwoche, die merkwürdigste Woche, die der Krieg gezeitigt, war ins Land gezogen. Das unterste kehrte sie zu oberst im ganzen Deutschen Reich. Da war kein Haus und kein Hüttchen, in dem nicht Kästen und Schränke durchsucht und durchstöbert wurden. Ein jeder kramte an altem Wollzeug hervor, was er nur entbehren konnte.

      »Kinder, ich muß ja Gott danken, wenn ihr mir noch die Kleider auf dem Leibe laßt«, meinte die Großmama. Wirklich die drei Enkel hatten sie ganz ausgeraubt. Nichts war sicher vor ihnen, es hätte nicht viel gefehlt, dann hätten sie auch den guten Perser Teppich mit Beschlag belegt. Klaus stibitzte der Hanne unter den Händen das Friestuch zum Bohnern fort und behauptete nachher dreist und gottesfürchtig, es wäre schon zerrissen gewesen. Annemarie wurde vom Fräulein beim Kramen im Flickenkasten erwischt. Und als Fräulein einige Zeit später ein paar Hosen für Hans ausbessern wollte, fehlten natürlich die passenden Flicken. Die hatte das patriotische Nesthäkchen dem großen Wollsachenkorb einverleibt. Es war ja für die Truppen – für die lief Hans selbst mit einem abstechenden