Else Ury

Else Ury: Die beliebtesten Kinderbücher, Romane, Erzählungen & Märchen (110 Titel in einem Band)


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Lotte.« Mutti zog Annemies Blondkopf zu sich heran, ganz dicht, damit Nesthäkchen nicht sehen sollte, wie schwer es Mutti wurde, ihr Kleinstes nun auch in die Schule zu geben.

      Aber das jagte schon zur Küche hinaus.

      »Frida – Hanne – haben Sie schon meine neue Schulmappe gesehen?«

      »Ih der Tausend«, machte Hanne und vergaß vor lauter Bewunderung den Mund wieder zuzumachen. »Da muß ich wohl die Brezel auf deiner Geburtstagstorte heute noch mal so groß backen wie sonst, was, Annemiechen?«

      »Ja, Schulmädel haben doppelten Hunger«, stimmte die Kleine ernsthaft zu.

      »Aber Annemie, du kannst doch gar nicht in die Schule gehen,« neckte Frida, »wer soll mir denn morgens beim Aufräumen helfen? Die Teppichmaschine läuft überhaupt nicht ohne dich.«

      »Und zum Einholen brauche ich dich auch,« fiel Hanne ein, »wenn du nicht mehr mitkommst, wem sollte der Kaufmann dann wohl den Bonbon schenken?«

      Ganz betroffen stand Klein-Annemie da. Ja, wirklich, sie konnte nicht in die Schule gehen, sie hatte zu Hause zu viel zu tun, sie wurde zu notwendig gebraucht.

      Und als sie nun in ihre Kinderstube trat und die Puppen alle dasaßen, mit Blumensträußchen in den Händen, die Fräulein für sie besorgt hatte, um ihrer kleinen Mama zu gratulieren, da fühlte Nesthäkchen noch viel mehr, wie unentbehrlich sie war. Was sollte denn bloß aus ihren Kindern werden, wenn sie in die Schule ging?

      »Es ist ja schade um die schöne, neue Schulmappe,« sagte sie nach reiflicher Überlegung, »aber ich kann dem Herrn Direktor nicht den Gefallen tun und morgen zur Schule kommen. Mutti, Hanne und Frida brauchen mich zu nötig, und meine Kinderchen wären ja dann ganz verlassen. Puck, und du, Fräulein, ihr beide wißt auch sicher nicht, was ihr ohne mich anfangen sollt.«

      »Na, für deine Kinderchen könnte ich ja sorgen, Annemie, da habe ich gleich was zu tun«, lachte Fräulein. »Und Mutti, Hanne und Frida müssen eben sehen, daß sie ohne dich fertig werden. Jeder Mensch muß in die Schule gehen und was lernen, sonst bleibt er dumm, und alle Leute lachen ihn aus.«

      Nein – ausgelacht wollte Nesthäkchen nicht werden!

      »Ja, denn hilft es nicht, mein Gerdachen, ich muß nun morgen in die Schule«, seufzte sie, ihren Liebling auf den Arm nehmend.

      Mit unverhohlener Bewunderung schaute Puppe Gerda auf die neue Schulmappe, und auch die andern Puppen staunten ihre kleine Mama als Schulmädel an.

      »Was wirst du denn nun ohne mich anfangen, Gerdachen?« flüsterte Annemie weiter der Puppe ins Ohr.

      Die machte ein trauriges Gesicht.

      »Du könntest ja vielleicht mit Hanne einholen gehen und statt meiner den Bonbon vom Kaufmann kriegen«, überlegte Nesthäkchen weiter.

      Puppe Gerdas Gesicht heiterte sich auf.

      »Oder aber du gehst allein zu Tante Martha in den Kindergarten, die war doch immer nett zu dir, und ich habe ihr auch versprochen, sie oft zu besuchen«, überlegte die Kleine weiter.

      Da fiel ihr Blick auf den Herrn Leutnant mit dem stattlichen Schnurrbart, der angelegentlich zu den beiden herüberblickte.

      »Halt – ich hab’s, du machst noch heute mit dem Herrn Leutnant Hochzeit, Gerda, dein Bräutigam ist er ja schon lange. Dann hast du einen Mann und bist nicht mehr allein, wenn ich in die Schule muß!« rief Nesthäkchen plötzlich erfreut.

      Gerda lachte über das ganze Gesicht. Einen schöneren Mann konnte sie sich nicht wünschen. Aber auch der Herr Leutnant strahlte und stand noch strammer da als sonst, denn Gerda war ein allerliebstes Puppenmädchen.

      Irenchen aber blickte neidisch auf die beiden, sie hätte auch zu gern den schmucken Herrn Leutnant zum Mann gehabt.

      »Ja, Irenchen, du sollst auch Hochzeit machen, weil du doch meine Älteste bist«, sagte da die vorsorgliche kleine Puppenmutter, der Irenchens weinerliche Miene nicht entging. »Einen Herrn Leutnant habe ich ja nicht mehr für dich, bloß meinen Kurt, aber dann hast du doch wenigstens auch einen Mann, wenn er auch kaputige Beine hat.«

      Irenchen nickte getröstet, weil sie sah, daß Mariannchen jetzt auf ihren Kurt neidisch war. Aber für Mariannchen konnte Nesthäkchen beim besten Willen keinen Mann mehr beschaffen. Höchstens Puck kam noch in Frage, aber den wollte Mariannchen nicht, weil er solch Krakeeler war und immer blaffte und seiner Frau auch sicherlich die besten Happen fortschnappen würde.

      So wurde am Nachmittag, als die Geburtstagsschokolade mit Schlagsahne getrunken war, in Nesthäkchens Kinderstube Puppenhochzeit gefeiert.

      Die beiden Bräute bekamen ihre weißen Kleider an, Gerda das mit der rosa Schärpe, und Irenchen das mit der blauen. Als Schleppe aber steckte Annemie jeder ein Taschentuch an das Kleid, denn eine Braut muß eine Schleppe haben. Von Mutter hatte sich Nesthäkchen einen alten, weißen Schleier erbettelt, der wurde getreulich zwischen Gerda und Irenchen als Brautschleier geteilt. Frida hatte ihr zwei kleine Kränzchen geflochten, und da gerade keine Myrte da war, hatte sie grüne Petersilie dazu genommen. Aber es sah genau ebenso schön aus. Auch der Herr Leutnant und Kurt trugen ein Petersiliensträußchen in ihrem Knopfloch. Kurt sah zwar für einen Bräutigam etwas zerfetzt aus, aber dafür hatte ihm Annemie einen tadellosen Helm aus Zeitungspapier gemacht, da der Herr Leutnant doch auch eine Soldatenmütze trug.

      Nun fuhr die Brautkutsche vor. Das war der weiße Puppenwagen, vor den Annemie das Schaukelpferd von Klaus gespannt hatte. Feierlich ging es so zur Kirche. Auf dem Vordersitz saß der Herr Leutnant mit seiner Gerda, auf dem Rücksitz das zweite Brautpaar, Irenchen und Kurt. Letzterer sah recht betrübt drein, es schien ihm schwer zu werden, sein lustiges Leben aufzugeben und ein gesetzter Ehemann zu werden.

      Mariannchen und Lolo trugen den Bräuten die Schleppe, und Baby streute Blumen. Nesthäkchen aber hielt die Traurede.

      »Wollt ihr euch alle vier heiraten?« fragte sie die Brautpaare.

      Und da keiner von ihnen »Nein« sagte, fuhr sie fort: »Na, denn man los!« Drauf zog sie ihnen Gardinenringe als Eheringe über die Hände, und damit war die Trauung zu Ende.

      Nun kam die Hochzeitstafel. Die kleine Brautmutter deckte sie selbst mit ihrem schönsten Puppenservice. Alle zur Hochzeit geladenen Puppen nahmen daran Platz, und ließen sich die übriggebliebene Schlagsahne schmecken.

      Kurt, der wilde Bräutigam, sprang zwar mit dem einen abgeschlagenen Bein in die Schlagsahne hinein, aber Irenchen, die jetzt seine Frau war, trocknete ihn sorglich mit ihrer Taschentuchschleppe ab.

      Dann brachte Annemie mit Gänsewein das Wohl der Brautpaare aus, und alle stießen mit Kaffeetassen an, da keine Gläser vorhanden waren.

      Klaus aber schleppte jetzt seinen Leierkasten herbei und begann lustig darauf los zu dudeln. Da fingen sie alle an zu tanzen. Jeder Bräutigam hopste mit seiner Braut herum, und Annemie tanzte mit Puck.

      Und dann war die Hochzeit aus, und das jetzt siebenjährige Nesthäkchen lag, müde von dem schönen Tage, im Bettchen.

      »Morgen geht’s in die Schule!« dachte sie und »ach, wie freue ich mich, daß ich meine Kinder so gut versorgt habe!« Dann schlief Nesthäkchen.

      Aber im Traum hörte Klein-Annemarie ganz deutlich, wie der Leierkasten plötzlich von selbst zu dudeln anfing. Und jetzt – nanu, was war denn das?

      Der Herr Leutnant legte die Hand an die Mütze und salutierte vor seiner Frau Gerda, und dann hüpften sie beide zusammen im Galopp davon. Auch Kurt machte vor Irenchen einen Diener und begann sich mit ihr zu drehen, er tanzte trotz seiner abgeschlagenen Beine mit ihr Tango. Und nun erwachten auch die andern Puppen und nahmen am Hochzeitstanz teil. Mariannchen und die schwarze Lolo, sogar Baby, alle hopsten sie durch die Kinderstube.

      Und mit einemmal wurde auch Nesthäkchens neue Schulmappe, die schon zu morgen bereit lag, und die den ganzen Tag über ein so ernstes Gesicht gemacht hatte, von der allgemeinen Lustigkeit angesteckt.

      Sie sprang vom Tisch herunter, mitten unter die tanzenden