Else Ury

Else Ury: Die beliebtesten Kinderbücher, Romane, Erzählungen & Märchen (110 Titel in einem Band)


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im Kinderheim

       Inhaltsverzeichnis

       1. Kapitel Klassenarbeit

       2. Kapitel In Vaters Klinik

       3. Kapitel Der zehnte Geburtstag

       4. Kapitel Genesung

       5. Kapitel Ein schwerer Entschluß

       6. Kapitel Nesthäkchens Seereise

       7. Kapitel In der neuen Heimat

       8. Kapitel Das Kinderheim am Nordseestrand

       9. Kapitel Wo ist Mutti?

       10. Kapitel Oll Modder Antje

       11. Kapitel Was Nesthäkchen alles im Kinderheim lernt

       12. Kapitel Fräulein Liederjahn

       13. Kapitel Ein hoher Besuch

       14. Kapitel Böse Freundschaft

       15. Kapitel Die alte Näherin

       16. Kapitel Sturmflut

       17. Kapitel In Angst und Sorge

       18. Kapitel Weihnachtsabend fern vom Elternhause

       19. Kapitel Kinderfest

       20. Kapitel Auf der Flucht

       21. Kapitel Nesthäkchens Heimkehr

      1. Kapitel

       Klassenarbeit

       Inhaltsverzeichnis

      Es war Frühstückspause. Ein ohrenbetäubendes Geschwirr von hellen durcheinanderrufenden Kinderstimmen schallte durch die achte Klasse.

      »Annemarie, wieviel ist neun mal siebzehn« – »ist sieben mal vierzehn achtundachtzig oder achtundneunzig« – »ach Gott, ich habe ja so dolle Angst vor der Klassenarbeit« – die zarte braunhaarige Margot Thielen seufzte schwer und machte furchtsame Augen wie ein Häschen.

      »Ich habe gar keine Bange, nicht für’n Sechser! Mein Bruder Hans hat gesagt, ich kann jetzt das große Einmaleins vorwärts und rückwärts, sogar im Schlafe!« Annemarie Braun, die Erste der achten Klasse, rief es und lachte dabei über das ganze runde Kindergesicht.

      »Ja, du – du brauchst auch keine Angst zu haben, Annemie. Du schreibst sicher wieder null Fehler und bekommst ›sehr gut‹ im Rechnen,« Margot sah voll Bewunderung auf ihre Freundin.

      »Wenn’s nur nicht grade die Probearbeit für die Osterzensur wäre!« Ilse Hermann hob den Kopf mit den blonden Haarschnecken von dem Rechenbuch, aus dem sie ganz schnell noch sämtliche Zahlenweisheit in den letzten Minuten vor der gefürchteten Arbeit zu erhaschen suchte.

      »Annemarie, könntest du nicht jetzt in der Pause flink noch ein bißchen mit uns üben – ach ja, bitte, bitte, tue es doch!« so bettelte und rief es durcheinander.

      Die Erste ließ sich nicht lange bitten. Das Rechenbuch unter den Arm geklemmt, den Kopf mit der lustigen Stubsnase und den abstehenden goldblonden Rattenschwänzchen steif in die Luft gebohrt, so schritt sie würdevoll zum Katheder.

      Die Klasse jubelte. Denn Annemarie ahmte Fräulein Neudorf, die Rechenlehrerin, in Gang und Haltung treffend nach. Und als sie jetzt gar noch in der Hannoveraner Mundart der Lehrerin zu sprechen anhob: »Aber Kinder, macht nicht solchen S–pektakel, Ihr s–tört die anderen Klassen,« da stieg die Ausgelassenheit und der Jubel aufs höchste.

      »Ruhe – seid s–till, Kinder, wieviel ist neun mal dreizehn. Marlene Ulrich,« mit durchdringend heller Stimme übertönte Annemarie den Radau.

      »Hundertsieben,« die dunkelblauen Augen der schwarzzöpfigen Marlene, die noch eben vor Übermut gesprüht, sahen plötzlich ganz ernst drein. Die drohende Rechenstunde begann die Ausgelassenheit wieder zu dämpfen.

      »Fünf mal neunzehn, Hilde Rabe – falsch, Marianne Davis – sieben mal sechzehn – acht mal vierzehn« – Schlag auf Schlag, mit rasender Schnelligkeit fielen die Fragen aus dem Munde der gestrengen kleinen Lehrerin. In lachender Aufregung tönten die Antworten zurück, eine überschrie die andere.

      Da war es kein Wunder, daß niemand in diesem Tumult auf die Glocke des Schuldieners Piefke achtete, welche die beginnende Stunde anzeigte. Annemarie Braun, die als Erste das Amt hatte, nach dem Leuten für Ruhe in der Klasse zu sorgen, machte den größten Lärm.

      »Viermal siebzehn – sei s–till, Marianne – Hilde, s–pringe in der S–tunde nicht vom S–tuhl – Margot, s-teh’ auf, wenn ich mit dir s–preche – –«

      »Ruhe – was soll denn der S–pektakel eigentlich bedeuten – S–tille bitte ich mir sofort aus!« mittenhinein in das Lachen und Rufen erklang es plötzlich streng von der Tür her.

      Im Augenblick verwandelte sich das Jubeln und Schreien in atemlose herzbeklemmende Stille. Die Mädchen schnellten von ihren Sitzen in die Höhe, mit entsetzten Augen blickten sie auf die im Türrahmen stehende Lehrerin.

      Die Entsetzteste von allen aber war Annemarie Braun. Ihre Blauaugen starrten Fräulein Neudorf gradezu entgeistert an – Himmel, hatte die Lehrerin etwa gehört, daß sie ihr nachgemacht hatte? Wie angewurzelt blieb Annemarie droben auf dem Katheder, sie dachte nicht daran, ihren Platz aufzusuchen.

      Kopfschüttelnd trat die Lehrerin näher.

      »Ja, möchtet ihr mir vielleicht erklären, was euer lautes Benehmen bedeuten soll? Wo ist die Erste?«

      Annemarie trat, das Stupsnäschen gar nicht mehr lustig emporgehoben, sondern schuldbewußt zur Erde gesenkt, näher.

      »Du sorgst ja recht nett für S–tille vor der S–tunde. Ans–tatt den andern mit gutem Beis–piel voranzugehen, s–tichst du noch alle anderen beim S–pektakelmachen aus. Du wirst schwerlich als Erste zur Osterversetzung bes–tehen können!«

      Keinem der Kinder fiel es ein, die Sprache der Lehrerin, die man noch eben bei Annemarie bejubelt, noch lächerlich zu finden. Am wenigsten Annemarie selbst. Aus deren noch vor kurzem lachenden Augen begann es zu tropfen, währen sie sich langsam zu ihrem Platz zurückschob.

      »Lieber