die seine Frau bei den glänzenden Festen am Kaiserhofe getragen. Da liegen sie ... Der Rat hat die Schlüssel und das große Buch gebracht und den Kasten geöffnet. Dies Armband auf dem weißen Samt gebettet – der grüne Stein sprüht wie ehedem –, das den Arm schmückte, den feinen Arm, der sich einst um seinen Hals geschmiegt. Der Fürst nimmt es heraus und läßt die Steine durch seine Hand gleiten.
»Dies ist für meine Tochter einmal. Schließen Sie wieder, ich meinte die alten Sachen.«
Der Domänenrat öffnet sehr ungern, eigentlich weiß nur er und sein großes Buch und seine stille Sammlerfreude, was darin ist. Diese Dinge, die alle ihr Schicksal gehabt haben! Manches Stück ist darunter, dessen Gebrauch man kaum mehr kennt, – da funkelt ein fast barbarisch wirkender Rubinschmuck in Silber gefaßt von barocker Arbeit. Lauter hängende Blutstropfen, könnte man meinen. Seltsam geschmückt mußte die Frau sein, die ihn trug. Der Fürst nimmt das Halsband heraus, es hat keine Jahreszahl an dem hinteren Verschluß wie die meisten anderen, es hängt ein kleines Pappschildchen daran, worauf in steilen Buchstaben steht: Schmuck der Gräfin von Brauneck, der Thorsteinerin. † 1678.
»Der Thorsteinerin! Wahrhaftig!« rief der Fürst. Nun fällt ihm ein, daß er gehört hatte, es solle eine alte Verwandtschaft existieren! Das Halsband geht ja natürlich nicht, aber es ist doch gewiß noch etwas da mit dem Thorsteiner Wappen.
»Ende des siebzehnten Jahrhunderts, Durchlaucht,« sagt der Domänenrat. »War eine arme Zeit, es ist zu verwundern, daß immer noch so viel da ist.« »Wie hieß der Gemahl dieser Thorsteinerin?« »Heinrich Friedrich, Durchlaucht, und hier ist sein Ring; er scheint zu dem Schmuck gehört zu haben. Auch ein Rubin, nur in Gold gefaßt, und ähnliche Arbeit.«
An dem Ring hängt dasselbe Papptäfelchen, aber eine andere Schrift, eine ungelenke Hand, die mehr Schwert als Feder gewohnt sein mochte, und ein Wort, das in seiner harten Kürze von einem alten Schmerz redet: Mein Sohn †.
»Der Sohn starb also vor dem Vater; hatte dieser Heinrich Friedrich irgendwelche Bedeutung für die Geschichte des Hauses?«
»Nein, Durchlaucht, wenn man nicht sagen will, daß er der Vater des ersten Fürsten war.«
Auf der Goldplatte unter dem Rubin ist des Thorsteiners Wappen eingraviert und ein Spruchband. »Können Sie den Spruch entziffern?«
»Er heißt: Gottes Will hat kein Warumb.«
Der Fürst seufzt: »Gottes Will hat kein Warum; sie müssen festere Herzen gehabt haben, die Alten. Ist dies das einzige Stück, welches das Wappen trägt?«
»Nur noch ein Stirnband, uralt, karolingische Arbeit, Gold; es war eine Erbtochter, die Thorsteinerin. Graf Heinrich Friedrich hat eine Menge Schmuck getragen. Er muß so eine Art Elegant des siebzehnten Jahrhunderts gewesen sein. Spangen, Ketten, Schuhschnallen, Hutschnallen. All das ist offenbar nie mehr benützt worden, und alles trägt das Zeichen auf dem Täfelchen: Mein Sohn †.«
Der Fürst wog den Ring nachdenklich in der Hand: »Eigentlich wäre mir etwas anderes lieber gewesen, als gerade ein Ring. Nun, dieser Heinrich Friedrich hatte keine weitere Bedeutung.« »Er starb sehr jung, der einzige Sohn.« Der Fürst sah auf das Täfelchen. »Der einzige, es mag ihm bitter schwer gewesen sein, doch hatte er ja einen Enkel. Nun schließen Sie die Kästen, bitte, es steigt ja doch immer irgendwelcher alte Jammer aus diesen Sachen heraus. Machen Sie den Eintrag und legen Sie das Täfelchen dazu; ich freue mich doch sehr, daß ich etwas gefunden habe,« sagte der Fürst. Er dachte: »Dies Geschenk mit seinem eigenen Wappen schließt so ganz aus, daß ich ihn seine verpfuschten Lebensumstände fühlen lassen will. Er hat mir den größten Dienst erwiesen. Wenn er Porträts malt, könnte ich ja ein Bild der Kleinen bei ihm bestellen; wenn es gar zu schlecht ist, braucht es ja nicht aufgehängt zu werden. – Aber das jetzt gleich zu tun, so gewissermaßen aus Erkenntlichkeit, widerstrebt mir doch. Er käme sich so sehr auf sein jetziges Niveau heruntergedrückt vor. Das hat er sich freilich selbst gewählt, aber es ist eine Liebenswürdigkeit, es zu ignorieren. Ob er nicht am Ende doch geschwenkt worden ist? Man hätte ihn, wenn er es nicht zu toll getrieben, ja immer als Dekorationspièce gebrauchen können! Diese Prachtgestalt! Sogar in der Aufmachung! Angenehm ist mir's ja nicht, wenn ich zu den Leuten mit gerecktem Halse sprechen muß.«
Der Fürst ging mit seinem Ring in der Hand durch die Galerie in den sogenannten Prinzessinnengang, dessen hohe Oberfenster auf den Hof hinausführten. Da hingen auch einige Geweihe an den Wänden, die vielleicht aus andern Räumen daher gewandert sein mochten: sonst hing da Bild an Bild, weiß gepuderte Schönheiten des achtzehnten Jahrhunderts. Ein dicker Herr mit roter Nase, in einem pflaumenfarbigen Roquelore, war wohl für manche Generation fürstlicher Mägdelein eine Art Popanz gewesen, er stierte aus verquollenen Äuglein. Nun hatte er etwas seinen Nimbus verloren, ein breiter Riß lief über sein Gesicht; er wurde Kutscher Hack genannt, nach dem rotgesichtigen Kutscher, der das Gepäck führte, weil seine Gurkennase für die Equipagen zu wenig dekorativ befunden wurde. Der Fürst trat in einen kleinen Vorplatz ein, als sich stürmisch die Tür öffnete und seine Tochter ihm entgegenlief. Eben war sie den Händen der Fräulein Braun entronnen und schon im Festgewand, aus Spitzen und weißer Seide, duftig und frisch mit silberglänzender blauer Atlasschärpe. Aber das Gesichtchen sah fast schattenhaft aus dieser Pracht heraus, nur die großen Augen strahlten in erwartungsvoller Freude.
»Papa, ich hörte dich kommen, ich wollte dir entgegen gehen,« rief sie, »aber Fräulein Braun war nicht mit meiner Schleife fertig. Ich höre dich immer auf dem Gang gehen, wenn du kommst, und wenn du fort bist, hör ich dich auch.«
Über des Vaters Gesicht glitt eine Wolke, und er sagte mit etwas lehrhaftem Ton: »Abwesende hört man nicht gehen.«
Er ging mit ihr in das große freundliche, aber recht einfache Zimmer hinein und setzte sich mit ihr an den runden Tisch, auf dem eine grüne Decke lag, und zog die hinweg, daß die alte Eichenplatte zum Vorschein kam. Dann lachte er:
»Kleine, das ist nun dein Reich, früher war es meines, da müssen noch meine Kritzeleien sein. Die Decke haßten wir, sie lag stets zusammengeballt in einem Winkel. Sieh! dies Geweih ist an einem heißen Sommertag entstanden, während einer griechischen Stunde. Und nun, Kleine, freust du dich auf heute abend?« Das Seelchen schmiegte sich an ihn und sah ihn nachdenklich an.
»Ich weiß noch nicht.«
»Du weißt's noch nicht? Das wußten wir immer ganz gewiß. Tante Helen, Fedo und ich, wir hatten Kalender und rissen jeden Tag Zettel ab. Fedo hatte einen Prachtskerl gezeichnet, mit dicker Nase, so ein wenig nach dem alten Herrn da draußen.« –
»Dem Kutscher Hack meinst du?« Der Fürst lachte hell auf: »So heißt er jetzt, – nun, gar nicht übel. Und der Dicke hatte einen Zettel zum Mund heraushängen und fraß die Stunden. Das war sein Kalender. Fein war's nicht, aber schön. Und du weißt nicht, ob du dich freuen sollst!«
Er seufzte. Unter seinem Seufzer duckten sich die schmalen Schultern, als träfe sie ein Stich.
»Hattet ihr auch ein Ehrenwort, Papa? Ich meine, wie ihr so klein waret und so vergnügt und den Kalendermann machtet?«
»Kleine, wie kommst du nur darauf! Ich kann mir nicht denken, daß wir damals mit so großen Worten umgingen. Was weißt denn du davon!«
»Viel weiß ich, und du selbst hast's mir gesagt, als du im Sommer mit Onkel Fedo da warst.«
»Ich sollte mit dir über dergleichen gesprochen haben?«
»Du sprachst mit Onkel Fedo über einen Mann und ein Ehrenwort, und ich fragte dich, ob die vielen Leute mit Harnischen und Zöpfen im großen Saal auch eins gehabt hätten? Du sagtest: ja, und gehalten, sonst hingen sie nicht dort.«
Dem Fürsten dämmerte nun selbst etwas dergleichen.
»Du bist ein Wunderliches mit deinen Gedankensprüngen, und das hast du bis heute behalten ... aber was hat das mit dir zu tun?«
Wenn der Vater jetzt das goldumsponnene Köpfchen gegen das Licht hielte, so sähe er aus der grauen sanften Tiefe der Augen die Tränen aufsteigen. Aber er fährt nur ungeduldig fort: »Du weißt ja gar nicht, wovon du sprichst.«