geworden. Sie erzählt auch nicht mehr den ganzen Unterricht mit jedem Stirnrunzeln und Aufseufzen des Herrn Stiftspredigers wieder, sie ist ganz still darüber.
Harro ist wieder von Hamburg zurück und sehr beglückt über seinen Auftrag. »Das hebt den Bau bis zum ersten Stockwerk aus dem Boden, Seelchen.«
Rosmarie macht eine kleine frostige Miene, die man noch nie an ihr gesehen hat. »Ich freue mich gar nicht, wenn du dem Hamburger die Wände malst. Wie darf der sagen: malen Sie mir meine Wände! – Du hast selbst bald Wände, die du malen kannst.«
»Wo sind, bitte gefälligst, die Wände, die ich malen kann? Und haben vielleicht Euer Durchlaucht von einem gewissen Michel Angelo gehört, der auch Wände für Wochenlohn und freie Station gemalt haben soll?«
Rosmarie wird dunkelrot. –
»Ich mag doch den Hamburger nicht. Wenn es Bilder wären, – aber Wände, die kann man ihm nicht mehr nehmen.«
»Wer wollte das? Dieser Hamburger ist ein feiner und großartiger Mensch. Der Festsaal, den ich malen soll, liegt über der Elbe, und man sieht die Schiffe durch die weiten Bogenfenster vorbeiziehen. Und er läßt mir jede Freiheit, nur möchte er meine Skizzen zuvor sehen. Wenn er das erste nicht gewährte, möchte ich nicht für ihn arbeiten: wenn er das zweite nicht verlangte, auch nicht.«
»Wie lange wirst du in Hamburg sein?«
»Wohl den ganzen nächsten Sommer. An Ostern gehe ich nach Paris, ich brauche einige Modellstudien.«
»Ja, warum dorthin? Warum mußt du deine Modellstudien in Paris machen?«
»Das muß ich, hier gibt es keine Modelle.«
»Sind die Leute in Paris so viel schöner?«
»Hier gibt sich niemand zum Modellstehen her, und wer hat denn von den Menschenkindern hier noch einen unverkrüppelten Körper?«
»Harro, warum verkrüppelt man sich denn?«
»Weil es für schön gilt.« »Harro, ist dieses Gesprächsthema so sehr passend?« warf Frau von Hardenstein ein. »Wichtig wäre es schon, Frau Mutter, aber möglicherweise unpassend. Übrigens bescheide ich mich, ich bin nur gefragt worden.«
Aber Rosmarie ist ebenso hartnäckig wie früher.
»Bin ich auch schon verkrüppelt?«
»Du nicht, nein.«
»Dann will ich es auch nicht werden.«
Frau von Hardenstein erhob sich: »Harro, ich meine, wir gehen definitiv auf ein anderes Thema über; bitte, begleiten Sie mich ins Säulenheim, ich möchte Ihnen etwas zeigen, was mir meine Kinder geschickt haben. Rosmarie, ich glaube, Sie haben noch zu lernen.«
Im Säulenheim legte Frau von Hardenstein ihre Hand auf Harros Arm.
»Bringen Sie mir das Kind nicht in zu viel Widersprüche mit ihrer Umgebung. Sie glauben nicht, was sie um der Schuhe willen alles hat anhören müssen. Und nun noch mehr Eigenheiten.« Harro blickte schuldbewußt.
»Das möchte ich nun freilich nicht, daß sie damit geplagt würde, aber ich meine, die Erhaltung eines gesunden und schönen Körpers sei immerhin einige unangenehme Augenblicke wert.«
»Ach, Sie übertreiben! Wenn man Sie hört, könnte man meinen, wir seien alle krank und häßlich. Aber streiten wir nicht mehr. – Ich muß mich jetzt an den Gedanken gewöhnen, daß wir Sie nun nicht mehr so schön in der Nähe haben werden. Wie schnell sind die Jahre dahingegangen ...« seufzte sie.
»Für mich auch. – Bis ich nun lerne, mich wieder in einen Höhlendachs zurückzuverwandeln.«
»Harro, Sie wollen uns doch die Freundschaft nicht kündigen? Wir sehen Sie vielleicht nicht mehr in der gleichen, ach, so gemütlichen Weise, aber darum ...«
»Sehen Sie, Frau Mutter, wie Sie anfangen zu nuancieren ... Ich bin aber nicht der Mann der Nuancen, wenigstens in meinem freundschaftlichen Verkehr nicht. Erinnern Sie sich, was Sie zu mir unter demselben Säulenschatten sagten: Man wird Ihnen eines Tages zu verstehen geben usw. Nun, ich erwarte diesen Wink nicht. Ich verschwinde schon vorher. Es wäre mir entsetzlich, wenn mir der Fürst einen berechtigten Vorwurf machen könnte. Rosmarie ist noch ein Kind, das können Sie an ihren direkten Fragen sehen ... sie ist nur lang gewachsen. Es kommen die Jahre, wo sie zu leben beginnt, bis jetzt hat sie nur geträumt. Ich glaube nicht, daß sie mich vergessen wird: bin ich aber in diesen Jahren aus ihrem Gesichtskreis getreten, so werde ich in ihrer Erinnerung zu den guten alten Onkels gesellt werden, die sind ungefährlich.«
»Harro, wenn Sie recht hätten. – Freilich ist Rosmarie noch ein Kind, aber ihre Liebe zu Ihnen –«
»Warum sollte ein liebes Kind den guten alten Onkel nicht lieb haben? Liebe Frau Mutter, hätte die Rosmarie ihr Wachstum vernünftig eingeteilt und hätte sie sich nicht in den Kopf gesetzt, plötzlich emporzuschießen wie eine Hopfenranke, so wären uns diese Gedanken gar nicht gekommen. Aber da sie nun ein so langes Kind ist ...«
»O Harro, Sie haben mir das Herz schwer gemacht. Sie haben ja recht. Aber meine arme Rosmarie!« – – –
Rosmarie soll nun eingesegnet werden. Es ist schon längst kein Zweifel mehr, wer die Erste ist. Auch wenn die Rosmarie keine Prinzessin wäre, das gibt sogar die Bubenbank zu. Der Herr Stiftsprediger hat eine eigene Art, ihren Namen aufzurufen und sie anzusehen, wenn sie spricht. Sie ahmt auch nicht mehr den Schulton nach, sie hat immer noch ihre hohe Kinderstimme, aber es lacht keines mehr über sie, obgleich sie nach Ansicht der Mädchenbank zuweilen die seltsamsten Sachen sagt. Der Herr Stiftsprediger scheint es aber nie sonderbar zu finden, sondern er nickt ihr zu:
»Das ist also Ihre Auffassung, Rosmarie.«
Doktors Elisabeth, die das Lehrerinnenexamen machen will und einen brennenden Ehrgeiz hat, sagt zu der kleinen dicken Berta Schlicht neben ihr: »Die Rosmarie hat immer eine ›Auffassung‹. Das kommt, weil sie vom Schloß ist: wenn ich oder du etwas sagen, dann ist's keine Auffassung, dann ist's falsch.«
Aber die kleine Dicke schüttelt den Kopf: »So ist der Herr Stiftsprediger nicht. Das ist dem einerlei, ob sie auch vom Schloß ist, aber weil es der Rosmarie immer so arg ernst ist, deshalb heißt's eine Auffassung.«
Frau von Hardenstein schaut manchmal mit fragenden Augen nach dem Kinde, wenn es über seinen Büchern so versunken dasitzt.
Und nun sollen morgen schon Fürst und Fürstin wiederkommen. Sie wollen vor der Einsegnung noch einige Zeit da sein, obgleich es noch rauh ist und kaum die ersten Schlehenbüsche ihr weißes Kleid angezogen haben. Harros Abreise ist auch schon nah herbeigekommen ... Rosmarie hat noch so viel zu denken über den kommenden großen Tag, daß ihr die traurige Tatsache, daß Harro den ganzen schönen Sommer nicht da sein wird, etwas verdeckt ist. Aber je näher der Tag heranrückt, desto bedrückter und stiller wird Rosmarie.
Ist es Harros Abreise oder greift sie der Unterricht zu sehr an, denkt Frau von Hardenstein. Eines Abends, als sie noch neben Rosmaries Bett sitzt, fragt sie sanft:
»So sagen Sie mir doch, liebes Kind, was Sie bedrückt.«
In Rosmaries Augen steigen Tränen.
»O Frau von Hardenstein, ich habe Kummer.«
»Sprechen Sie sich aus, es wird Ihnen leichter.«
»Ich, – o, ich ... man kann mir nicht helfen ... ich möchte nicht konfirmiert werden.«
Frau von Hardenstein schaut in sprachlosem Staunen auf das bitterlich weinende Kind.
»Aber ich höre doch immer mit solcher Freude, wie Herr Stiftsprediger Ihre innige Anteilnahme an allem bemerkt, und nun wollen Sie nicht konfirmiert werden! Sind Ihnen denn böse Zweifel gekommen ...« »Ich muß Dinge versprechen ... und wollte so gern und kann's doch nicht.«
»Ihr Gelübde macht Ihnen Kummer. – Ich finde auch, man verlangt viel von den jungen Herzen ... Ich werde morgen mit Ihrem gütigen Lehrer sprechen. Er wird herkommen, er hat es mir schon angeboten,