Wahre Verbrechen: Morde am Fließband - Die bekanntesten Kriminalgeschichten aller Länder
solle er sich vor der bisherigen Besitzerin in acht nehmen und sie nicht im Hause wohnen lassen. Denn wenn auch keiner der Madame Gottfried etwas Böses nachzusagen wußte, so herrschte doch bei vielen, die sie näher kannten, eine gewisse Furcht vor ihr, die allerdings einigen Grund hatte.
In dem Hause, welches die verwitwete Madame Gottfried bis jetzt besessen hatte, waren in den letzten Jahren nicht wenige Todesfälle vorgekommen. Sie hatte ihren ersten Mann, dann ihre Mutter, ihren Vater, ihre Kinder, ihren Bruder, den zweiten Mann, alle nach einem kurzen Krankenlager, plötzlich verloren. Ja, wenn man es zusammenzählte, so hatte die unglückliche Witwe im Verlauf von vierzehn Jahren nicht weniger als dreizehn Särge bei dem Tischler Bolte, der ihr gegenüber wohnte, bestellen müssen, alle für liebe, teure Angehörige; und so auffällig war das ungewöhnliche Unglück dieser Frau geworden, daß ein hochberühmter Kanzelredner in Bremen, Dräseke, selbst auf der Kanzel für die »christlich starke Dulderin« öffentliche Fürbitten hielt.
Gegen die anständige, allgemein geliebte und wohltätige Frau selbst konnte kein Verdacht obwalten, ihr Ruf war, wenn nicht ganz unbescholten, doch durch einen untadeligen Wandel gegen alle Verdächtigung wirklicher Verbrechen gekräftigt. Wenn einige meinten, daß sie schon bei Lebzeiten des ersten Mannes mit dem zweiten in vertrauterm Umgänge gelebt habe, als erlaubt ist, so wußten diese zugleich, daß jener durch sein wüstes Leben ihr dazu Anlaß gegeben, ja wahrscheinlich diesen Umgang gewissermaßen als Ersatz für seine eigenen Untugenden zugelassen und nicht ungern gesehen hatte; vielleicht daß er sogar auf dem Totenbette gewünscht hatte, daß der Hausfreund seine Witwe heirate und gut mache, was er schlimm gemacht hatte. Und wenn sie da gefehlt hatte, so hatte sie durch ihre unerhörten Leiden gebüßt. Durch ihre religiöse Gesinnung, durch ihre christliche Wohltätigkeit, mit der sie die Lager der Kranken besuchte, liebevoll pflegte und Spenden über ihre Kräfte austeilte, sowie durch ihr bescheidenes Benehmen gegen Höhere und durch ihre Leutseligkeit gegen Untergebene war sie überall beliebt und gern gesehen. Viele wußten überdem von ihrer früheren Schönheit und Lieblichkeit zu erzählen, und auch jetzt, im angehenden Matronenalter, hatte sie eine Anmut sich zu bewahren gewußt, die überall für sie einnahm.
Madame Gottfried, von Geburt mehr dem mittleren Bürgerstand angehörend, zählte durch ihre Heiraten, ihre anscheinende Bildung und ihren Umgang schon zu den höheren Ständen. Im Hannöverschen Nachbarlande verkehrte sie freundschaftlich mit angesehenen Familien und wurde ihres Charakters wegen nicht allein gern gesehen, sondern man fand sich durch den Besuch der liebenswürdigen Frau geschmeichelt, und sie konnte nicht genug den wiederholten Einladungen nachkommen. Ihre Wohnung in dem ansehnlichen Hause, welches sie bis da besessen hatte, war elegant und mit Geschmack ausgestattet. Fußteppiche, Blumen, Kupferstiche und alle die Kleinigkeiten, welche den Aufenthalt behaglich machen und seine weibliche Sorgfalt verraten, schmückten ihr Zimmer. Auch eine kleine Bibliothek neuerer Schriftsteller fand sich darin, mit Geschmack gewählt, schönwissenschaftlichen und religiösen Inhaltes; alle im elegantesten Einbande, nur oft den Goldschnitt von Staub geschwärzt. Ihre Toilette war die einer Dame der höheren Stände, und man bemerkte die Sorgfalt, womit sie das, was das modernste war, zugleich am passendsten und am mindesten auffällig sich anzueignen wußte.
Höhere suchten ihren Umgang, Gleichstehende fühlten sich darin behaglich, Niedere waren durch ihn geschmeichelt. Ihre Dienstboten hingen ihr mit rührender Liebe und Treue an; Bewerber um ihre Hand näherten sich, wie dem jungen Mädchen und der Jungfrau, so noch der Matrone und Witwe, die jetzt um die Vierzig zählte, weniger leidenschaftlich, die meisten schüchtern, durch anständige Freiwerber. Familienväter hätten es für ein Glück geachtet, wenn eine so herzliche, teilnehmende, gefühlvolle Frau von feinen Sitten und einem hübschen Vermögen in ihre Kreise gekommen wäre. Sie pflegte indessen die Anträge in freundschaftlicher Art abzulehnen: sie habe es ihrem seligen Gottfried auf dem Totenbette versprochen, sich nicht wieder zu verheiraten. Dennoch stand ihr furchtbares Schicksal als nicht wegzuleugnende Tatsache da: die in ihrer Nähe sich immer wiederholenden Todesfälle. Einige hielten sie für schwere, unergründliche göttliche Prüfungen; andere flüsterten sich zu von einem pestartig giftigen Atem, welcher der eigentümlichen Frau als ein krankhaftes Übel anhafte.
Rumpf aber war ein entschlossener Mann, ein entschiedener Feind alles Aberglaubens, wofür er jene Meinungen und Warnungen hielt. Er kaufte nicht allein das Haus, sondern behielt auch Madame Gottfried als Mieterin in ihren bisher bewohnten Zimmern. Außerdem ließ er ihr den vertraglich ausbedungenen Mietertrag zweier Nebenhäuser.
Zu Anfang schien er allen Grund zu haben, mit seinem Entschlusse zufrieden zu sein. Man konnte sich kein angenehmeres Verhältnis denken, als welches zwischen der jungen Familie des Käufers und der früheren Besitzerin eintrat. Die freundliche Witwe, welche für nichts in der Welt zu sorgen hatte, lebte nur für die Rumpfsche Familie. Aber kaum acht Wochen, nachdem diese eingezogen war, starb die Gattin im Wochenbette. Sie hatte die Entbindung glücklich überstanden, als ein heftiges Erbrechen und Durchfall sich einstellten, welche den Tod zur Folge hatten.
Niemand konnte sich trostloser und liebevoller zeigen als Madame Gottfried. Sie war nicht vom Krankenlager der Leidenden gewichen. Die Sterbende sah in der Todesnähe nur darin einen Trost, daß sie eine solche Pflegerin für ihr verwaistes Kind und für ihren armen Mann zurückließ. Sie übergab ihr das teure Vermächtnis, für beide zu sorgen, und die Gottfried erfüllte den Willen der Gestorbenen. Sie pflegte das Kind, sie besorgte die Wirtschaft, die Küche; sie heiterte durch Unterhaltung und religiöse Zusprüche den tiefbetrübten Mann auf. »Tante Gottfried« hieß sie in der Familie.
Aber das Unglück, das die Freunde prophezeit hatten, war doch im Anmarsche. Bald darauf erkrankte, ebenfalls an Durchfall und Erbrechen, die für den Säugling in Dienst genommene Amme, und ebenso die Hausmagd. Die Amme erklärte, in dem Hause könne sie nicht gesund werden, und ging in ihre Heimat zurück.
Nun erbrachen sich Gesellen und Lehrlinge. Einer der letzteren lief auch fort. Rumpf selbst fing wenige Monate nach dem Tode seiner Frau an demselben Übel zu leiden an. Ein strenger und tätiger Mann, tat er das Seine, es nicht aufkommen zu lassen, und glaubte zuerst, die Burschen wollten sich nur über ihn lustig machen und äfften ihm deshalb nach. Er fuhr mit strenger Züchtigung unter sie, aber ohne Erfolg.
Das eigene Unbehagen des Meisters ward immer größer. Was für Speisen er auch zu sich nahm, sie erregten ihm das fürchterlichste Erbrechen. Seine früher blühende Gesundheit sank von Tag zu Tag mehr dahin. Zuerst wollte er sich selbst kurieren, er hielt seine Krankheit für die Folge einer Magenerkältung. Aber weder die eigenen noch die Mittel des Arztes schlugen an.
Eine niederdrückende Schwäche hatte sich seines Körpers bemeistert. Der kräftige, rüstige Mann war mutlos und träge geworden. Er scheute die geringste körperliche und geistige Anstrengung. Zehen und Fingerspitzen hatten das Gefühl verloren, und die entsetzliche Angst, daß er wahnsinnig werden könnte, quälte ihn. Er glaubte weder an eine Vergiftung noch an unerklärliche Einflüsse; er wollte einen natürlichen Grund auffinden, und in diesem unermüdlichen Bestreben gewann seine schon geisterhafte Erscheinung noch mehr Gespensterhaftes.
Gleich als suche er einen verborgenen Schatz, von dessen Dasein er dunkle Kunde hatte, durchstreifte er sein Haus vom Keller bis zum höchsten Boden. Er wollte in der Örtlichkeit den geheimen Grund entdecken, warum er krank sei und so viele vor ihm krank geworden seien. Er dachte an eine verderbliche Zugluft und schloß und öffnete alle Türen und stopfte alle Ritzen. Vielleicht dunstete der Fußboden, irgendein vermodernder Stoff brütete dort Gift. Er roch, atmete und lüftete die Dielen: alles vergebens.
Fast erlag er schon dieser doppelten Pein und kämpfte einen neuen Kampf, ob es wirklich geheimnisvolle Mächte gäbe, welche die Sinne der Menschen verrückten und ihren Körper heimlich verwüsteten. Da erschien die Tante Gottfried als einziger Trost des armen Leidenden. Sie pflegte ihn mit mehr als mütterlicher Sorgfalt. Jeden Morgen war sie die Erste, sich zu erkundigen, wie er geruht habe, und wenn sie hörte, daß er wieder eine qualvolle Nacht durchwacht habe, wünschte sie ihm nur etwas von dem sanften Schlafe, womit Gott sie erquicke.
Dieses Leiden dauerte jahrelang, ohne daß in Rumpfs Seele der geringste Verdacht aufstieg. Später entsann er sich wohl, daß die Magd ihm – etwa zwischen Ostern und Pfingsten 1827 – einmal Salat gebracht hatte, auf dessen Blättern