Wahre Verbrechen: Morde am Fließband - Die bekanntesten Kriminalgeschichten aller Länder
Vier Tage vor seinem Tode gab sie ihm noch einmal in einer Krankensuppe Gift.
Die letzten vier Tage konnte sie sich nicht mehr seinem Bette nahen. Nicht aus Rührung oder Gewissensbissen: es war ihr nur immer, als ahne sie, daß er es wisse. Sie blieb an der Türe stehen. Einmal glaubte sie, er werde aus dem Bette springen und sie schlagen.
Als Gottfried mehrere Tage vor Miltenbergs Tode nach Oldenburg reisen mußte, sagte der Kranke zu ihm: »Gottfried, lebendig findest du mich nicht wieder, wenn du zurückkommst, Ich weiß, du hast mit meiner Frau zu tun gehabt; ich vergebe dir gern. Versprich mir, sie nicht zu verlassen, und nimm dich der Kinder an,«
Am 1. Oktober 1813 stiegen die Leiden des Unglücklichen unerhört. In seinem Schmerze krümmte und wälzte er sich, flog oft hoch in die Höhe und schrie wie rasend. Gesina ließ sich am Sterbebette nicht sehen. Etwa eine Stunde vor dem Tode rief man sie; sie kam nicht. Er verschied unter lautem Brüllen. Da erst trat Madame Miltenberg in der vor dem Spiegel vollkommen fertig einstudierten Rolle einer untröstlichen Witwe an das Lager des Verblichenen.
Es war ihr gelungen. Kein Mitleid, keine Neue, keine Gewissensbisse, die Frucht der ersten Tat war für ihre Seele keine andere, als daß sie gelernt hatte, wie man an Gift stirbt, und daß man die Portion größer machen müsse als diesmal, wenn man schneller damit zum Ziele kommen wolle.
Nur ein Schrecken bemeisterte sich ihrer. Sein Leib war hoch aufgeschwollen, der ganze Körper voller Flecken. Da bekam sie einen schrecklichen Frost. Sie hatte Angst, daß ihre Mutter Verdacht schöpfen könnte. Aber diese sagte nur zum Tischler, er möchte den Sarg gut mit Pech anmachen; sie befürchte, der Körper möchte bersten. Daß der Sarg ordentlich verpicht wurde, gereichte der Witwe zum wahren Herzenstrost; aber beim Zunageln beschlich sie noch einmal ein Gefühl der Angst, denn sie glaubte, der Mann könnte von dem Klopfen wieder erwachen.
In Bremen war es Sitte, daß ein Kirchhof nach dem Namen des zuerst darauf Beerdigten genannt wurde. Der Kirchhof vor dem Heldentore war eben erst angelegt worden, und die Witwe schwebte in großer Angst, daß Miltenbergs Leiche ihm für alle Zukunft den Namen geben und ihr das Gedächtnis des Toten zurückrufen werde. Zu ihrer Beruhigung ward indes Miltenberg als Zweiter begraben. Keine Blume ward auf sein Grab gepflanzt.
Gottfried kam von der Reise zurück, als die Leiche noch über der Erde stand; in schonender Achtung lenkte er sein Pferd um und schlich zu Fuß in das Haus. Anders benahm sich eine schwangere Weibsperson, die an Miltenberg Rechte zu fordern hatte. Vier Wochen lang kam sie in den Hof und schrie unter den Fenstern, wenn das Kind zur Welt komme, wolle sie es ins Haus schmeißen.
»Jetzt will ich mich deiner annehmen! Du hast nach deiner Eltern Willen geheiratet«, so sprach der alte Timm zur Tochter und hielt redlich Wort. Im schlechtesten Rock, den ältesten Hut auf, ging er mit einer Schrift bei allen Gläubigern Wittenbergs umher und akkordierte mit ihnen. Das bare Geld in der Tasche und seine Versicherung, wie schlecht es mit dem Nachlaß bestellt sei, wirkten; er konnte sich eines Tages erschöpft auf einen Stuhl niederwerfen und sprechen: »Miltenbergin! nun bist du schuldenrein!« Er ordnete ihre Wirtschaft, verschaffte ihr tüchtige Gesellen, kaufte Vorräte zum Geschäft, und sie betrieb es zuerst mit Eifer. Gottfried rekommandierte sie überall, sie konnte auf Borg holen, und sie war ganz zufrieden. In Wirklichkeit war sie ja durchaus nicht insolvent, im Gegenteil, sie war eine reiche Witwe.
Von jetzt ab teilte sie ihre ungestörte Liebe zwischen Gottfried und dem wieder erscheinenden Kassow. Mit letzterem führte sie ein buhlerisches Leben außer dem Hause. Gottfried betrachtete sich mehr als gemütlichen Freund, der durch Galanterie, Aufmerksamkeiten aller Art und eine herzliche Unterhaltung die junge Witwe zu trösten suchte. Die Kinder liebten ihn als ihren Vater, krochen in sein Bett, und wenn er kam, brachte er Geschenke; aber er hielt sich in einer scheuen Entfernung, welche die Leidenschaft der Liebenden unbefriedigt hielt.
Als ein Beweis der ungeheueren Selbstsucht der Verbrecherin und dafür, daß sie sich für nichts interessierte, was nicht zu ihrem Wohlleben beitragen konnte, wird angeführt, daß sie von den gewaltigen Weltereignissen jenes Jahres (1813) später nicht die Spur mehr wußte und sich nur noch der großen Freude entsann, die ihr ein Erlaß von fünfunddreißig Talern gewährte, welche sie von seiten der Einquartierungskommission zurückerhielt.
Ihr ältester Geselle, ein geschickter junger Mann, hielt bald um die Hand der jungen Witwe an. Alles sprach für ihn, die Kinder liebten ihn. Sie lehnte höflich den Antrag ab, und der Geselle verließ bald nachher die Werkstatt; doch – um wieder zu kommen. Es schmeichelte der Eitelkeit der Miltenberg – weiter wollte sie hier nichts, und der Antrag ward im Vertrauen Bekannten und Freunden mitgeteilt. Gottfried soll darauf geantwortet haben (wir wissen es nur aus den Geständnissen der eitlen Verbrecherin): »Wenn ich das noch erlebte, daß du dich verheiratetest, die Kugel ginge durch meinen Kopf.« Die Mutter aber sagte ihr: »Nicht wahr, du liebst Gottfried? Mit unserem Willen wirst du nie mit ihm zusammenkommen« – ein Motiv zum späteren Elternmorde.
Wir wissen von ihrem Gemütszustande um diese Zeit mit Bestimmtheit, daß auch keine Regung von Gewissensbissen sich zeigte. Alle ihre Gedanken waren, sowie die Furcht vor einer Entdeckung beseitigt war, nur auf ihr Ich gerichtet. Dagegen stellten sich jetzt zum ersten Male Visionen ein, welche in ihrem späteren Leben, und namentlich im Gefängnis, eine bedeutende Rolle spielten. Als hätte es eine äußere Geisterwelt, eine Naturkraft übernehmen müssen, die verhärtete Stimme der eigenen Brust zu ersetzen, stiegen sie nicht wie Traumgebilde auf, die von der inneren Seelenangst geboren werden, denn die Miltenberg erfreute sich nach allen ihren Verbrechen des ruhigsten und süßesten Schlafes; sondern wenn sie wachte, von außen traten sie ihr entgegen.
Sie erzählte selbst viel darüber. Einmal – einige Wochen nach Miltenbergs Tode – stand sie vor ihrer Stube: »Es war Abend und auf der Diele finster. Auf einmal sah ich ein hellbrennendes Licht, ganz niedrig an der Erde, die Hausdiele heraufschweben, bis vor meine Hinterstube. Da verschwand es.« Drei Abende wiederholte sich das. Ein andermal kann sie sich gar nicht die Diele herunterfinden. »Und wie ich in die Höhe sehe, kommt mir eine große Wolke entgegen. Ach, denke ich, das ist Miltenbergs Erscheinung.«
Wenn man fragt, wie es der Verbrecherin möglich wurde, so vielfachen Betrug, solche scheußliche Verbrechen zu begehen und dabei ihr Scheinleben unter Beobachtung so vieler Augen fortzuführen, ohne eine Unterstützung als ihre Schlauheit, so wird uns darauf geantwortet, es sei ihr deswegen leicht geworden, da dieses Leben sich immer nur in dem engen, sich gleichbleibenden Kreise bewegte, wo sie die Personen, die ihre Welt ausmachten, kannte und die Art, sich zu ihnen zu stellen; genau studiert hatte. Gesellschaften wurden nicht gehalten; sie verkehrte nur mit Verwandten und Freundinnen, die sie weit übersah, und mit untergebenen Personen, deren Urteil, wenn eins hätte da sein können, durch den höheren Stand der Madame oder durch die feste Überzeugung von deren Herzensgüte geblendet war. Um Ostern 1814 aber bekam sie eine erste Vertraute in ihrem neuen Dienstmädchen, Beta Cornelius. Nicht daß Beta die Mitwisserin ihrer Greueltaten wurde und ihr dabei half, denn sie war ein braves, gottesfürchtiges Mädchen von argloser Gutmütigkeit, Anhänglichkeit, Fleiß und einer anspruchslosen Bescheidenheit; aber sie war das treueste und verschwiegenste Geschöpf, welches, ohne zu fragen, im guten Glauben für ihre Herrschaft alles tat und dabei eine seltene, unverbrüchliche Verschwiegenheit beobachtete. Beta tat aber nicht allein alles, was die Herrin sie hieß, sie betete diese auch an, da sie die Überzeugung hatte, daß es keine gutherzigere, liebevollere und bessere Herrschaft in der Welt gäbe. Eines solchen Wesens bedurfte das auf den feinsten Selbstbetrug raffinierende Gewissen der heuchlerischen Verbrecherin.
Gottfried, wie liebevoll er auch war, wie nahe sie es ihm auch legte, zeigte durchaus noch keine Absicht, um ihre Hand zu bitten. Miltenberg stand ihm doch nicht mehr im Wege. Also mußte er einen anderen Grund haben: ihre Kinder und ihre Eltern! Ihre Phantasie spiegelte ihr nun immerfort die Schlüsse vor: Wären deine Eltern nur nicht dagegen, brauchtest du nur das Vermögen nicht mit deinen Kindern zu teilen, besäßest du sogar deren vom Großvater erwartetes Vermögen – dann würdest du Gottfrieds Frau!
Sie, die niemand liebte, betrachtete schon längst ihre Eltern trotz des Übermaßes von Güte, mit der sie die Tochter überschütteten, als lästige Zwischenpersonen. Aber auch auf die Kinder hatte sie schon