Марк Туллий Цицерон

Gesammelte Werke von Cicero


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unserer Standpunkte. Du hältst deine Amtsthätigkeit für das einzige Moment, das du vor mir voraus hast; ich würde, selbst wenn du sonst in jeder Hinsicht den Vorzug verdientest (das Gegenteil ist der Fall), dieses Motiv allein für ausreichend halten, damit dir die Anklage entzogen werde. Denn so haben unsere Vorfahren uns gelehrt: der Prätor soll seinem Quästor ein zweiter Vater sein; nie gehören zwei Menschen so eng zusammen, als wenn das heilige Los und der Wille des Staates sie zur gemeinsamen Führung des Amtes in einer Provinz verbinden. (62) Hättest du also juristisch einen Grund, Verres zu verklagen, so dürftest du es doch moralisch nicht; nun willst du ohne jeden Rechtsgrund deinen Vorgesetzten in Gefahr bringen – gesteh es, du unternimmst einen nach menschlicher und göttlicher Satzung gleich ungerechten Krieg. Bedenke: du darfst nicht auf dein ehemaliges Amt hin die Erlaubnis zur Klage fordern, sondern mußt dich rechtfertigen, daß du trotz dieses Amtes Klage erhebst! Noch nie ist auch ein derartiger Klageversuch seitens eines Quästors gemacht worden, ohne zu scheitern. (63) Der Fall lag vor bei Lucius Philo gegen Gaius Servilius, bei Marcus Aurelius Scaurus gegen Lucius Flaccus, bei Gnaeus Pompeius Strabo gegen Titus Albucius; alle wurden zurückgewiesen und zwar nicht wegen persönlicher Unbrauchbarkeit, sondern nur weil der Gerichtshof einer willkürlichen Verletzung jener Pflichten prinzipiell vorbeugen wollte. Der zuletzt genannte Fall ist dem unsrigen ganz analog; Gnaeus Pompeius stand gegen Gaius Julius wie du gegen mich; er war bei Albucius Quästor gewesen wie du bei Verres; Gaius Julius hatte den gerechten Anspruch, weil ihn die sardinischen Abgeordneten um die Führung des Prozesses ersucht hatten, wie mich die von Sicilien. Dieses Moment hat zu allen Zeiten am meisten Gewicht gehabt; es ist der ehrenvollste Anlaß zur Klage, wenn man zum Schutz einer Provinz, einer verbündeten Nation seine Arbeitskraft, sein Wollen und Können, ja seine ganze eigene Sicherheit einsetzt. (64) Schon wer auf persönliche Mißhandlung hin klagt, also doch nur aus eigenem Leide, nicht aus Interesse für den Staat, ist in seinem guten Recht; wer sich gar ohne irgend ein eigenes Rachegefühl allein von den Leiden unserer politischen Freunde bewegen läßt, also die bei weitem vornehmere Aufgabe übernimmt, der verdient nicht nur Zustimmung, sondern allgemeinen Dank. Als kürzlich im Prozesse des Publius Gabinius unser trefflicher Lucius Piso die Anklage übernehmen wollte, meldete sich ein gewisser Caecilius und verlangte sie für sich: aber Piso wirkte nicht nur durch seinen Namen und Charakter, sondern hauptsächlich als der erkorene Schutzherr von Achaia. (65) Es versteht sich ja auch von selbst, daß, wo das ganze Erpressungsgesetz eben zum Schutz unserer Bündner da ist, der von ihnen gewählte Vertreter ihrer Interessen am kräftigsten für Gesetz und Recht kämpfen wird. Oder soll man sich auf einen Ehrentitel berufen, aber nie versuchen dürfen, mit seiner Hilfe etwas durchzusetzen? Welcher Ehrentitel ist nun glänzender: »Ich klage wider meinen nächsten direkten Vorgesetzten, mit dem ich als Beamter nach Sitte und Recht, Schicksal und Gewissen zusammen gehöre« oder »ich klage auf Bitten unserer Freunde und Bündner, gewählt von der ganzen Provinz, ihr zu Recht und Billigkeit zu verhelfen!« Der eine Quästor klagt im Interesse der Leute, bei denen er sein Amt verrichtete, der andere klagt gegen seinen Prätor; welcher benimmt sich anständiger? –

      (66) In Roms besten Tagen haben unsere erlauchtesten Männer ihren Stolz und ihre Ehre darein gesetzt, auswärtige Freunde und ebenso die ausländischen, dem Schutze Roms überlassenen Nationen vor Unbill zu schützen und in ihrem Wohlstande zu erhalten. Kein Geringerer als der weise Cato hat sich mit einer Menge einflußreicher Personen überworfen, um den Spaniern, die er von seinem Konsulat her kannte, vor Gericht Hilfe zu leisten. (67) Noch ist es nicht lange her, da zog Gnaeus Domitius den Marcus Silanus zur Rechenschaft, weil er einen einzigen Menschen aus befreundeter Familie, einen gewissen Aegritomar infam behandelt hatte. XXI. Nichts kann nun einen rechten Unheilstifter mehr erbittern, als daß wir jetzt diese schöne Sitte früherer Generationen nach langer Pause wieder in Aufnahme bringen; wenn die Bündner sich beschweren, werden sie nicht mehr an den ersten besten, der nicht zu reden versteht, gewiesen, sondern von einem zuverlässigen und sorgfältigen Anwalte verteidigt. (68) Das macht den Menschen Angst; da wühlen sie nun dagegen, daß nur ja dieser Brauch nicht aufkomme oder vielmehr nicht wiederkehre. Sie fürchten, wenn er erst zur Regel wird, dann wird die gesamte Rechtspflege anständig und energisch ausgeübt, nicht mehr von grünen Jungen oder Winkelkonsulenten. (69) Unsere Väter bedauerten den Brauch durchaus nicht, als Publius Lentulus, damals der erste in der Senatorenliste, im Verein mit Gaius Rutilius Rufus den Manius Aquilius verklagte, oder als der unvergleichliche Scipio Africanus, der schon zweimal Konsul und Censor gewesen war, den Lucius Cotta vor Gericht lud. Damals genoß die römische Rechtspflege den höchsten Ruhm, man hielt aller Orten das Recht für die gewaltigste Stütze unseres Staates. Gewiß wird niemand bei dem großen Africanus einen Schritt wunderlich finden, über den man sich jetzt bei meiner Wenigkeit – angeblich wundert, in Wahrheit ärgert. (70) »Was fällt ihm ein,« rufen sie, »will der Verteidiger jetzt plötzlich zum Kläger werden? Und noch dazu in diesem Alter? Er bewirbt sich ja schon um das Polizeipräsidium!« 29 – Ich finde dagegen, daß man in meinem oder auch in sehr viel höherem Alter und in jeder amtlichen Stellung die Gemeinheit verfolgen und das Elend lindern kann. Einem schwerkranken, nahezu aufgegebenen Staatsorganismus hilft dies Heilmittel oder keines; wo die Gerichtshöfe bestochen und durch die Nichtswürdigkeit einzelner Schurken entehrt werden konnten, müssen nur die anständigsten, bewährtesten Juristen die Rechtspflege in die Hand nehmen, sonst ist alles verloren. (71) Anderseits ist es ein Zeichen gesunder Verhältnisse, wenn der Kläger jedesmal seine moralische Existenz aufs Spiel setzen muß, wie der Beklagte sein materielles Dasein; die tüchtigsten Ankläger waren ja auch immer diejenigen, die das Gefühl hatten, es handle sich um ihren eigenen guten Ruf. 30

      XXII. Aus alledem muß der Gerichtshof die Folgerung ziehen: Quintus Caecilius, über den sich bisher überhaupt noch keine öffentliche Meinung gebildet hat und der auch in der bevorstehenden Verhandlung keinerlei Interesse erregen kann, der weder einen guten Ruf zu erhalten, noch irgend eine Hoffnung auf seine Zukunft zu bestärken hat – der wird einen solchen Prozeß wahrlich nicht mit der nötigen Schärfe, Energie und Gewissenhaftigkeit führen. Er hat im Fall einer Blamage nichts zu verlieren; sollt er mit Schimpf und Schande abziehen, so braucht er nichts zurückzuerobern. (72) Von mir dagegen hält Rom so manches moralische Pfand in Händen und ich muß all meine Kraft einsetzen, um es mit Ehren einzulösen. Ein solches Pfand ist die Bewerbung um ein hohes städtisches Amt; oder die Hoffnung auf meine weitere Entwicklung; oder ein mit saurer Arbeit bei Tag und Nacht mühsam erworbener Ruf. Dies alles wird Rom mir sicher erhalten und fördern, wenn ich im vorliegenden Prozesse mein Wollen und Können bewähre; passiert mir dagegen nur das kleinste Mißgeschick, der unscheinbarste Fehltritt, so ist es vorbei, und alles, was langsam Stück für Stück gesammelt war, ist mit einem Schlage für immer verloren. (73) Ihr, meine Herren, möget nach eigener Wahl entscheiden, wer zu diesem mächtigen Prozeß die nötige Einsicht, Sorgfalt, Zuverlässigkeit und Stellung mitbringt. Zieht ihr mir den Caecilius vor, so kann ich doch nicht annehmen, daß er mir an Wert überlegen sei; Rom aber – dürfte in diesem Falle annehmen, daß eine so ehrenhafte und sachgemäße Anklage euch und eurem ganzen Stande nicht eben erwünscht kommt; danach möget ihr euch einrichten.

      Erste Verhandlung. Einleitungsrede

       Inhaltsverzeichnis

      I. (1) Hoher Gerichtshof!

      Wir stehen vor einem großen Augenblick. Ein von uns allen aufs tiefste empfundenes Bedürfnis, dessen Befriedigung im Interesse eures so bösartig gefährdeten Rufes 31 wie im Interesse der arg kompromittierten Gerichtshöfe überhaupt auf das allerdringendste zu wünschen war, scheint jetzt befriedigt werden zu sollen. Daß euch jetzt, wo unser Staat eben eine Krisis durchmacht, eine solche Gelegenheit geboten wird, darin steckt nicht menschliche Einsicht, das ist göttliche Fügung. Es hat nämlich die für uns alle gefährliche, für den Staat aber geradezu unheilvolle Vorstellung allenthalben in Rom wie im Auslande Platz gegriffen, von unseren jetzigen Gerichtshöfen könne ein Mensch, der recht viel Geld hat, auch auf die schlimmsten Verbrechen hin nicht verurteilt werden. Diese Idee ist nicht nur allgemein verbreitet, sondern sie hat schon Wurzel gefaßt; sie spielt die Hauptrolle im Gerede