Rosa Luxemburg

Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band)


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wie ihrer Bedürfnisse bilden zugleich die wirtschaftliche Grundlage und den sozialen Antrieb zu entscheidenden Kulturfortschritten. Namentlich der Austausch und mit ihm die Entstehung der Klassengesellschaft und ihre historischen Fortschritte bis zur kapitalistischen Wirtschaftsform wären undenkbar ohne erweiterte Reproduktion. In der kapitalistischen Gesellschaft jedoch kommen der erweiterten Reproduktion einige neue Charaktere zu. Zunächst wird sie hier, wie bereits angeführt, zum Zwangsgesetz für den Einzelkapitalisten. Einfache Reproduktion, selbst Rückgang in der Reproduktion sind zwar auch bei der kapitalistischen Produktionsweise nicht ausgeschlossen, sie bilden vielmehr periodische Erscheinungen der Krisen nach der ebenso periodischen Überspannung der erweiterten Reproduktion in der Hochkonjunktur. Doch geht die allgemeine Bewegung der Reproduktion - über die periodischen Schwankungen des zyklischen Konjunkturwechsels hinweg - in der Richtung einer unaufhörlichen Erweiterung. Für den Einzelkapitalisten bedeutet die Unmöglichkeit, mit dieser allgemeinen Bewegung Schritt zu halten, das Ausscheiden aus dem Konkurrenzkampf, den wirtschaftlichen Tod.

      Ferner kommt noch anderes hinzu. Bei jeder rein oder vorwiegend naturalwirtschaftlichen Produktionsweise - in einer agrarkommunistischen Dorfgemeinde Indiens oder in einer römischen Villa mit Sklavenarbeit oder im feudalen Fronhof des Mittelalters - bezieht sich Begriff und Zweck der erweiterten Reproduktion nur auf die Produktenmenge, auf die Masse der hergestellten Konsumgegenstände. Die Konsumtion als Zweck beherrscht den Umfang und Charakter sowohl des Arbeitsprozesses im einzelnen wie der Reproduktion im allgemeinen. Anders unter der kapitalistischen Wirtschaftsweise. Die kapitalistische Produktion ist nicht eine solche zu Konsumtionszwecken, sondern eine Wertproduktion. Die Wertverhältnisse beherrschen den gesamten Produktions- wie Reproduktionsprozeß. Kapitalistische Produktion ist nicht Produktion von Konsumgegenständen, auch nicht von Waren schlechthin, sondern von Mehrwert. Erweiterte Reproduktion bedeutet also kapitalistisch: Ausdehnung der Mehrwertproduktion. Die Mehrwertproduktion geht zwar in der Form der Warenproduktion, in letzter Linie also Produktion von Konsumgegenständen, vor sich. Allein in der Reproduktion werden diese zwei Gesichtspunkte durch Verschiebungen in der Produktivität der Arbeit immer wieder getrennt. Dieselbe Kapitalgröße und Mehrwertgröße wird sich durch Steigerung der Produktivität fortschreitend in einer größeren Menge Konsumgegenstände darstellen. Die Produktionserweiterung im Sinne der Herstellung einer größeren Masse von Gebrauchswerten braucht also an sich noch nicht erweiterte Reproduktion im kapitalistischen Sinne zu sein. Umgekehrt kann das Kapital ohne Änderung in der Produktivität der Arbeit in gewissen Schranken durch Steigerung der Ausbeutungsstufe - zum Beispiel durch Herabdrückung der Löhne - einen größeren Mehrwert herausschlagen. ohne eine größere Produktenmenge herzustellen. Aber in diesem wie in jenem Fall werden gleichermaßen die Elemente der erweiterten Reproduktion im kapitalistischen Sinne hergestellt. Denn diese Elemente sind: Mehrwert sowohl als Wertgröße wie als Summe von sachlichen Produktionsmitteln. Die Erweiterung der Mehrwertproduktion wird, als Regel betrachtet, durch Vergrößerung des Kapitals bewirkt, diese aber durch Hinzuschlagen eines Teils des angeeigneten Mehrwerts zum Kapital. Dabei ist es gleichgültig, ob der kapitalistische Mehrwert zur Erweiterung der alten Unternehmung oder als selbständiger Ableger zu Neugründungen verwendet wird. Die erweiterte Reproduktion im kapitalistischen Sinne bekommt also den spezifischen Ausdruck des Kapitalwachstums durch progressive Kapitalisierung des Mehrwerts oder, wie Marx dies rennt, Kapitalakkumulation. Die allgemeine Formel der erweiterten Reproduktion unter der Herrschaft des Kapitals stellt sich also folgendermaßen dar:

      (c + v) + m/x + m'

      wobei m/x den kapitalisierten Teil des in der früheren Produktionsperiode angeeigneten Mehrwerts darstellt, m' den neuen, aus dem gewachsenen Kapital erzeugten Mehrwert. Dieser neue Mehrwert wird zu einem Teil wieder kapitalisiert. Der ständige Fluß dieser abwechselnden Mehrwertaneignung und Mehrwertkapitalisierung, die sich wechselseitig bedingen, bildet den Prozeß der erweiterten Reproduktion im kapitalistischen Sinne.

      Allein hier sind wir erst bei der allgemeinen, abstrakten Formel der Reproduktion. Betrachten wir näher die konkreten Bedingungen, die zur Verwirklichung dieser Formel erforderlich sind.

      Der angeeignete Mehrwert stellt sich, nachdem er auf dem Markt glücklich die Warenform abgestreift hat, als eine bestimmte Geldsumme dar. In dieser Form hat er die absolute Wertgestalt, in der er seine Laufbahn als Kapital beginnen kann. Aber in dieser Gestalt steht er zugleich erst an der Schwelle seiner Laufbahn. Mit Geld kann man keinen Mehrwert schaffen

      Damit der zur Akkumulation bestimmte Teil des Mehrwerts auch wirklich kapitalisiert wird, muß er die konkrete Gestalt annehmen, die ihn erst befähigt, als produktives, d.h. neuen Mehrwert heckendes Kapital zu wirken. Dazu ist es notwendig, daß er, genau wie das Originalkapital, in zwei Teile zerfällt, in einen konstanten, in toten Produktionsmitteln und einen variablen, in Arbeitslöhnen dargestellten Teil. Erst dann wird er, nach dem Vorbild des alten Kapitals, in die Formel c + v + m gebracht werden können.

      Dazu genügt aber nicht der gute Wille des Kapitalisten zu akkumulieren, auch nicht seine "Sparsamkeit" und "Enthaltsamkeit", womit er den größeren Teil seines Mehrwerts zur Produktion verwendet, statt ihn in persönlichem Luxus ganz zu verjubeln. Dazu ist vielmehr erforderlich, daß er auf dem Warenmarkt die konkreten Gestalten vorfindet, die er seinem neuen Kapitalzuwachs zu geben gedenkt, also erstens gerade die sachlichen Produktionsmittel - Rohstoffe, Maschinen usw. -, deren er zu der von ihm geplanten und gewählten Produktionsart bedarf, um dem konstanten Kapitalteil die produktive Form zu geben. Zweitens aber muß auch die als variabler Teil bestimmte Kapitalportion die Verwandlung vornehmen können, und hierfür ist zweierlei notwendig: vor allem, daß sich auf dem Arbeitsmarkt die zuschüssigen Arbeitskräfte in genügender Anzahl vorfinden. deren es gerade bedarf, um den neuen Kapitalzuwachs in Bewegung zu setzen, und ferner, daß - da die Arbeiter nicht von Geld leben können - auf dem Warenmarkt auch die zuschüssigen Lebensmittel sich vorfinden, gegen die die neu zu beschäftigenden Arbeiter den vom Kapitalisten erhaltenen variablen Kapitalteil auszutauschen in der Lage sind.

      Sind alle diese Vorbedingungen vorhanden, dann kann der Kapitalist seinen kapitalisierten Mehrwert in Bewegung setzen, ihn als prozessierendes Kapital neuen Mehrwert erzeugen lassen. Damit ist die Aufgabe noch nicht endgültig gelöst. Das neue Kapital mitsamt dem erzeugten Mehrwert steckt vorerst noch in Gestalt einer neuen zuschüssigen Warenmasse irgendeiner Gattung. In dieser Gestalt ist das neue Kapital nur noch erst vorgeschossen und der von ihm erzeugte Mehrwert erst in seiner für den Kapitalisten unbrauchbaren Form. Damit das neue Kapital seinen Lebenszweck erfüllt, muß es seine Warengestalt abstreifen und mitsamt dem von ihm erzeugten Mehrwert in reiner Wertform, als Geld, in die Hand des Kapitalisten zurückkehren. Gelingt das nicht, dann sind neues Kapital und Mehrwert ganz oder teilweise verloren, die Kapitalisierung des Mehrwerts ist fehlgeschlagen, die Akkumulation hat nicht stattgefunden. Damit die Akkumulation tatsächlich vollzogen wird, ist also unbedingt erforderlich, daß die von dem neuen Kapital erzeugte zuschüssige Warenmenge auf dem Markt einen Platz für sich erobert, um realisiert werden zu können.

      So sehen wir, daß die erweiterte Reproduktion unter kapitalistischen Bedingungen, d.h. als Kapitalakkumulation, an eine ganze Reihe eigentümlicher Bedingungen geknüpft ist. Fassen wir sie genau ins Auge. Erste Bedingung: Die Produktion muß Mehrwert erzeugen, denn der Mehrwert ist die elementare Form, unter der der Produktionszuwachs kapitalistisch allein möglich ist. Diese Bedingung muß im Produktionsprozeß selbst, im Verhältnis zwischen Kapitalist und Arbeiter, in der Warenproduktion eingehalten werden. Zweite Bedingung: Damit der Mehrwert, der zur Erweiterung der Reproduktion bestimmt ist, angeeignet wird, muß er, nachdem die erste Bedingung eingehalten, erst realisiert, in Geldform gebracht werden. Diese Bedingung führt uns auf den Warenmarkt, wo die Chancen des Austausches über die weiteren Schicksale des Mehrwerts, also auch der künftigen Reproduktion, entscheiden. Dritte Bedingung: Vorausgesetzt, daß die Realisierung des Mehrwerts gelungen und ein Teil des realisierten Mehrwerts zum Kapital zwecks Akkumulation geschlagen worden ist, muß das neue Kapital erst die produktive Gestalt, d.h. die Gestalt von toten Produktionsmitteln und Arbeitskräften annehmen, ferner muß der gegen Arbeitskräfte ausgetauschte Kapitalteil die Gestalt von Lebensmitteln für die Arbeiter annehmen. Diese Bedingung führt uns wieder auf den Warenmarkt und auf den Arbeitsmarkt. Ist hier das Nötige gefunden, hat erweiterte Reproduktion der Waren stattgefunden, dann tritt die vierte Bedingung hinzu: Die zuschüssige Warenmenge,