Joachim Ringelnatz

Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band)


Скачать книгу

Anker an Deck brachten und den Klüverbaum abnahmen, beobachtete ich das interessante Treiben in dem englischen Hafen, wofür mich der Steuermann verschiedene Male recht unsanft anhauchte. Er bedachte mich auch noch zu guter Letzt mit der unangenehmen Arbeit des Kohlenholens. Seine Schadenfreude prallte jedoch an meinem plötzlich erwachten übermütigen Humor ab. Ich stieg mit fidelstem Gesicht in den Kohlenschacht hinunter. Es war ja das letztemal.

      Als wir kaum im Dock festlagen, trafen wirklich Augusts Prophezeiungen ein, das heißt, wir wurden von einer Schar von Schustern, Schneidern und dergleichen belagert, die uns mit »Landsmann« und »Du« begrüßten, uns Geld anboten und sonstwie schön taten.

      Der erste, der ihnen ins Netz ging, war August. Er zog mit ihnen Arm in Arm an Land und kam abends stockbetrunken zurück.

      Der Pastor der deutschen Seemannsmission besuchte uns. Er verteilte religiöse Schriften und lud zum Besuch des Seemannsheimes ein. Jedoch fand er gar keine Beachtung, bei einigen sogar offenen Hohn.

      Am Abend stellte sich ein hagerer junger Landsmann ein, der Koch auf einem großen deutschen Segler war. Das Schiff lag nicht weit von uns. Wie er erzählte, war das Fahrzeug infolge langanhaltender Windstille hundertachtzig Tage von der Westküste Mexikos bis nach Liverpool unterwegs gewesen. Die Nahrungsmittel waren ausgegangen, und die ganze Besatzung bis auf vier Mann an Skorbut gestorben. Der junge Deutsche, ich glaube, er war aus Bonn, schilderte uns entsetzliche Szenen, die sich an Bord unterwegs zugetragen.

      Gleich nach unserer Ankunft wurden wir zum Kapitän gerufen und gefragt: Wer abmustern wolle.

      Alle bis auf Gustav und Willy traten vor. August und Napoleon blieben unentschieden aus Feigheit.

      Ich stand in der vordersten Reihe.

      Die »Elli« sollte von England aus mit einer Ladung Kohlen nach Brasilien und von da wieder nach Belize gehen.

      Am Donnerstag, dem 19. September um zwei Uhr, gingen wir zum Abmustern nach dem deutschen Konsulat. Ich hatte die Wollmütze mit der Kindertroddel auf.

      Augusts Gönner, die Halsabschneider, warteten wie Raubtiere am Konsulat, wo das verdiente Geld uns ausgezahlt werden sollte. Sie waren übermäßig besorgt, daß ihnen ihr Opfer durch die Lappen gehen könne.

      Besonders ein gewisser Lehmann war vor habgieriger Aufregung ganz außer sich.

      Während wir vor dem Konsulat in der Old Hall Street warteten, bot sich uns ein zerlumpter Mulatte als Stiefelputzer an.

      Obgleich es vorher geregnet hatte, warf er sich doch für eine Kupfermünze der Länge nach auf der schmutzigen Straße hin und brachte die alten versalzten Seemannsstiefel zu nie geahntem Glanz.

      Wir wurden einzeln der Reihe nach zum Konsul gerufen.

      August war der erste, der seine Heuer und sein Musterbuch erhielt. Als er herauskam, klammerte sich Lehmann an ihn fest und hielt ihm eine lange, eindringliche Rede mit dem kurzen Inhalt: »Geld her!«

      Auch Hermann und Paul mußten gleich bluten.

      Dann wurde ich hineinzitiert und erhielt als Heuer:

      Einunddreißig Mark!

      Der Alte erklärte mir, daß er vierzehn Mark als Strafe für meine Belizer Flucht von meinem Lohn abgezogen hätte. Es wäre dies der Betrag, der damals für meine Ergreifung ausgesetzt und auch ausbezahlt sei.

      »Ich meine es eigentlich noch gut mit dir«, schloß er, »ich könnte dich noch einsperren lassen.«

      Einunddreißig Mark – –!! Aber das schien mir doch ein Kapital! Was konnte ich mir alles dafür kaufen!!

      Ich eilte mit Jahn und Hermann sogleich in ein Lokal. Wir erquickten uns an ham and eggs, Butterbrot und Kakao.

      Dann trennte ich mich von meinen Begleitern, um mich nach einem Schiff umzusehen, das mir gegen Dienstleistungen freie Fahrt nach Deutschland geben könnte. Die weiten, modernen Docks entlang schlendernd, erblickte ich zwei deutsche Dampfer, »Lappland« und »Westmorland«, die, wie ich erfuhr, nach Hamburg bestimmt waren. Bei beiden sollte jedoch der Kapitän erst am nächsten Tage zu sprechen sein. Ich kehrte deshalb wieder auf die »Elli« zurück, die inzwischen ihren Liegeplatz verändert hatte. Unterwegs genoß ich noch eine Menge Lunchkeks. Leider hielt ich es auch für angebracht, mich an Brandy zu betrinken. »Na«, empfing mich Steuermann, »ist die Geschichte auf dem Konsulat gut abgelaufen?«

      »Ja, nur zu glatt!« erwiderte ich sarkastisch.

      »Wieso?«

      »Nun schon gut.«

      »Ja, dann mache andermal solche Dinge nicht.«

      Ich schlief die Nacht natürlich an Bord. Gesetzmäßig durften wir uns noch vierundzwanzig Stunden nach der Abmusterung auf dem Schiff aufhalten.

      Am nächsten Morgen weckte mich der mit dem Löschen der Ladung verbundene Lärm und die äußerst laute Unterhaltung der Schauerleute. Ich holte noch einmal wie bisher den Kaffee ins Logis. Dann machte ich mich wieder auf die Schiffssuche.

      Nachdem ich verschiedene nötige und unnötige Einkäufe besorgt hatte, fuhr ich mit der Hochbahn nach dem Nelsondock, wo ich nur noch die »Lappland« vorfand. Man wies mich hier aber ab.

      Ein Hamburger Dampfer mit dem Namen »Lutetia« war eingelaufen. Ich wandte mich an den Steuermann des Schiffes mit der üblichen Frage:

      »Kann ich eine Chance nach Hamburg bekommen?«

      »Sind Sie utgerüst?«

      Ich wies ihm meine Papiere und erzählte ihm von meiner Stellung auf der »Elli«.

      »Ja, Sie müssen um 12 Uhr mal mit dem Kapitän sprechen.«

      Ich faßte Hoffnung, bummelte einstweilen durch die Straßen, kaufte mir ein Scheidemesser, aß einen frischen Hering und fand mich pünklich auf der »Lutetia« wieder ein.

      Der zweite Steuermann des Schiffes fragte mich nochmals gründlich aus und verwies mich dann an den Kapitän.

      »Was wünschst du?« fragte dieser und verbesserte sich dann – was eigentlich ein ungünstiges Zeichen war – »Was wünschen Sie?« »Der Konsul muß Sie doch hinüberschicken«, meinte er, als ich ihm mein Anliegen vorgetragen hatte.

      Ich erklärte ihm, daß dazu keine Verpflichtung vorliege, da ich nicht in Deutschland, sondern in Frankreich angemustert sei.

      »Hast du Sachen?« forschte er weiter.

      »Ja, an Bord.«

      »Hol' sie mal rüber.«

      »So haben Sie also Chance für mich?« fragte ich erfreut.

      »Ja, mußt aber fix mit arbeiten.«

      »Ja, natürlich.«

      »Mach' schnell, es geht bald ab.«

      Jubelnd schwang ich mich auf die Ringbahn und eilte nach der »Elli«. Dort stand Napoleon, noch immer unschlüssig, was er machen solle. Im Logis traf ich Hermann, Gustav und Paul an.

      Vor Freude und Aufregung ganz nervös, geriet ich mit Hermann wegen irgendeiner Lappalie in Streit und gab ihm eine Ohrfeige. Da taute aber plötzlich Gustav auf. Der sonst so phlegmatische Riese ergriff mich mit seinen Bärentatzen, legte mich regelrecht übers Knie und verdrosch mich wie einen Schuljungen. Komischerweise war mit diesem Schlußeffekt sofort eine allgemeine Versöhnung hergestellt.

      Ich packte meine Sachen, nahm von Willy, Gustav und dem guten Napoleon Abschied und bestieg mit Hermann und Paul gemeinsam einen Wagen. Dem Kutscher versprach ich zwei Schillinge extra, wenn er mich recht schnell zum Nelsondock brächte.

      Pauls Ziel war Cardiff. Er hatte eine Empfehlung an den dortigen Konsul. Hermann wollte zu einem Onkel nach Manchester. Obgleich beide mehr Heuer als ich erhalten hatten, ließ ich es mir doch nicht nehmen, den Wagen zu bezahlen.

      So schied ich, als unsere Wege sich trennten, in bestem Einvernehmen von ihnen.

      Dann brachte ich mich