Joachim Ringelnatz

Gesammelte Werke (Über 800 Titel in einem Band)


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meinte, ich wäre verrückt, die Herren in Hamburg würden mich auslachen. Aber er konnte und wollte auch nicht verhindern, daß ich den Brief absandte. Ich täuschte mich nicht in der Großzügigkeit des Herrn Alfeis. Die Antwort der Ruberoidgesellschaft besagte, daß mein Gehalt wesentlich erhöht und daß eine Stenotypistin zu meiner Entlastung engagiert würde. Herr Kirchner könnte mich auf Reisen schicken. Von einem Motorrad sehe man ab, weil ein staubbedeckter Motorfahrer nicht repräsentativ erschiene. Alles sehr einleuchtend. Ich freute mich. Herr Kirchner sandte mich auf Reisen, und ich erzielte einige nette Erfolge.

      Ich wohnte nicht bei meinen Eltern, sondern hatte mir im Musikviertel nahe vom Büro ein Zimmer gemietet. Abends dichtete ich, malte oder schwärmte mit meinen früheren Bekannten, mit Martin Fischer, mit Bodensteins und dem wissensdurstigen Bruno Wille. Unser Verein, das »Nachtlicht«, existierte noch wichtig mit vollen Idealen. Ich hielt dort einen Vortrag über die Heilsarmee.

      Leider muß ich aus Rücksichtnahme einige lustige Anekdoten aus dieser Zeit unterdrücken.

      Es muß in dieser Zeit gewesen sein, daß ich einen langgehegten Wunsch erfüllte, mich an der Universität immatrikulieren ließ. Bei meiner geringen Vorbildung kam nur Kameralia in Frage. Ich stand mit einer kleinen keramischen Zeitung in Verhandlung, die mich eventuell als Redakteur engagieren wollte. Durch die Hoffnung auf diesen Verdienst ermutigt, meldete ich mich an der Universität an und war nach dem feierlich dem Rektor geleisteten Handschlag Student. Schneiderofferten regneten auf mich herab. Studentenverbindungen luden mich als Gast ein und versuchten, mich zu keilen. Ich war selig. Als mein Vater von diesem Schritt erfuhr, machte er mir freundliche Vorwürfe. Wovon ich solch teures Studium bezahlen wollte und wozu es mir dienen könnte. Ich hörte nicht auf ihn, der es wirklich gut mit mir meinte. Weil der derzeitige Rektor der Leipziger Universität, Georg Rietschel, ein Verwandter von uns war, erwirkte mein Vater, daß meine Immatrikulation rückgängig gemacht wurde. Über diese Nachricht war ich so traurig, daß ich, von der elterlichen Wohnung zurückfahrend, auf dem Perron der Trambahn dicke Tränen weinte.

      Am 14. September 1907 wohnte ich der Hochzeit meines Bruders in Freiberg i.S. bei. Das wurde eine umfangreiche, lustige und reiche Feier. Sowohl mein Vater wie auch ich hatten Tafellieder dazu verfaßt. Mein Bruder war tief ergriffen davon, daß ihm die Feuerwehr ein Ständchen brachte.

      Ich wurde auf Wunsch nach der Frankfurter Filiale versetzt. Da hatte ich wie zuvor einen Chef über mir und eine lustige Stenotypistin neben mir. Das Geschäft lag in der Stiftstraße. Ich fand nebenbei in der Kleinen Eschenheimer Gasse ein freundliches Zimmer bei der freundlichen Wirtin, Frau Müller.

      Die Häuser und Häuschen dieser Gasse waren altmodisch und hatten steile, ausgetretene Treppen. Die Wendeltreppe in meinem Haus führte kein Geländer, sondern es hing dafür ein loser Strick durch ihren Schacht herab.

      An dem düsteren Ende der Kleinen Eschenheimer Gasse führten zwei heruntergekommene, verrufene Mädchen einen Tabakladen. Die lernte ich kennen und besuchte sie in der Folgezeit oft. Sie hatten nie Geld, aber auch fast keine Ware, so daß ich ihnen manchmal fünf oder zehn Zigarren mitbrachte, die sie dann wieder verkauften. Sie schliefen in einem engen, trostlosen Raum hinterm Laden. Dabei war das eine Mädchen hochschwanger. Der Schuster gegenüber und dessen Anhang führten einen dauernden Kampf gegen die armen Dinger, warfen ihnen Stinkbomben in den Laden und schikanierten sie auf häßlichste Weise.

      Ich war wieder mit Büroarbeiten beschäftigt, reiste auch in der Umgegend, wodurch ich den Taunus und viele hessische Orte kennenlernte. So fuhr ich nach Fulda und saß andermal auf einem Dach in Wiesbaden.

      Einmal hatte ich auf einem Neubau Dachdecker zu beaufsichtigen. Als ich auf dem obersten Holzsteg des Gerüstes am Dach entlang schritt, löste sich eine Planke unter mir. Ich stürzte in die Tiefe, blieb in Parterrehöhe hängen. Die Planke schlug mir auf den Kopf. Niemand hatte den Vorfall bemerkt. Als ich aus meiner Ohnmacht erwachte, war niemand zugegen. Es war nichts Ernstes geschehen. Meine Nase blutete Aber daß mein Hut zerschlagen und daß meine Kleider blutig und zerrissen waren, das bekümmerte mich sehr. Ich erzählte mein Unglück dem Chef. Der war sehr aufgeregt. Nicht aus Besorgnis um mich, sondern weil mich die Stenotypistin noch nicht zur Versicherung angemeldet hatte.

      Ich mußte meine Reiseberichte nach Hamburg senden. Die waren im Stil oft mehr literarisch als kaufmännisch. Man lächelte in Hamburg darüber. Einmal besuchte ich als Reisender in irgendwelchem Ort eine Weißbierbrauerei. Der Direktor hatte keinen Bedarf für Ruberoid. Aber er empfing mich sehr zuvorkommend, zeigte mir alle Einrichtungen der Fabrik und erklärte genau den Werdegang seines Bieres. Dabei tranken wir sehr viel von diesem Bräu. Ich verfaßte noch in gehobener Stimmung meinen Geschäftsbericht und schilderte darin sehr anschaulich alles, was ich soeben gehört hatte. Das Bestätigungsschreiben aus Hamburg enthielt dann einen leichten Hinweis, daß ich über Weißbier nicht ganz Ruberoid vergessen möchte.

      Meine Wirtin war dahinter gekommen, daß ich bei den Zigarrenmädchen verkehrte, und machte mir ernste Vorhaltungen.

      Ich hatte inzwischen reizvolle Kneipen entdeckt, wo es köstlichen, billigen Apfelwein gab. Dahin ging ich nun abends. Manchmal sangen oder spielten dort italienische Mädchen und Männer, die von Lokal zu Lokal zogen. Ich stieg einmal solch schwarzhaarigem Mädchen nach. Da bemerkte ich, daß diese Italiener alle in derselben Gegend wohnten und sehr treu zusammenhielten. Das flößte mir Respekt ein. Ich verfolgte das Mädchen nicht weiter.

      Meinen Freund Telschow hatte das Schicksal auch in die Nähe Frankfurts geführt, nämlich nach Eltville. Er war dort in der Sektfirma Mattheus Müller beschäftigt. Ich besuchte ihn jeden Sonntag. Wir saßen am Rhein, hörten den Nachtigallen zu, begeisterten uns an köstlichem Müller Extra und trieben angeheitert dann soviel Unfug, daß die Bürger des Städtchens sich über uns aufhielten. Wir wollten den Leuten einen Streich spielen und verabredeten etwas. Es war noch ein dritter Kommis, namens Krämer, im Bunde.

      Telschow und Krämer verbreiteten bei den Redaktionen der beiden Lokalblätter und überall, daß am kommenden Sonntag der Kalif von Bagdad Eltville besuchen würde. Telschow beauftragte den Bahnhofskellner, dem Kalifen bei der Ankunft ein Tablett mit zehn Glas Bier zu präsentieren. Diese Aufmerksamkeit hatte ich einmal in Leipzig beim Empfang König Alberts beobachtet. Außerdem sandte ich einen versiegelten Brief nach Eltville mit der Aufschrift »Seiner Hoheit, dem Kalifen von Bagdad bei seiner Ankunft zu übergeben«.

      Telschow schrieb, daß ihm niemand Glauben schenkte. Trotzdem fuhr ich am 14. Juni 1908 nach Eltville. Zunächst vierter Klasse nach Wiesbaden. Im Waschraum des Bahnhofs beschmierte ich mir Gesicht und Hals erst mit Vaseline, dann mit Indianerbraun. Ich setzte einen Turban auf, bestehend aus zusammengesteckten Windeln, die ich mir von den Zigarrenmädchen geliehen hatte. Von dem Turban herab wallte ein Stück violette Seide über meinen Überzieher. In die Seide war eine halbe Möwe eingestickt, eine Arbeit, die ich einmal nach chinesischem Vorbild versucht, aber ihrer Schwierigkeit wegen bald aufgegeben hatte. Ich trug weiße Glacéhandschuhe und darüber einen Ring mit einem pfenniggroßen Diamanten. Zum Schluß besteckte ich Turban und Mantel mit Medaillen aus meiner Sammlung. Als ich so maskiert den Perron betrat, erregte ich großes Aufsehen. Es war Hochsaison, und der Bahnhof voll von Menschen. Gruppen bildeten sich, die über meine Persönlichkeit stritten. »Das ist das Türkische Großkreuz«, sagte jemand und deutete auf eine Medaille an meinem Turban, die in Wirklichkeit das Münchner Kindl zeigte.

      Das kurze Stück bis Eltville fuhr ich erster Klasse. Und war ganz allein im Abteil. Es war der Kölner D-Zug, der nur eine oder zwei Minuten in Eltville hält. Als wir dort einbogen, beugte ich mich weit aus dem Fenster. Ganz Eltville war am Bahnhof versammelt. Krämer und Telschow standen im Frack auf dem Bahnsteig. Der Zug hielt.

      Krämer öffnete die Coupétür. Ich entstieg.

      Telschow überreichte mir einen Blumenstrauß mit einer langen Ansprache, die ich selbst entworfen hatte. »... Kalifen von Bagdad, desser hoher Ahne uns schon aus den Märchenbüchern unserer Kindheit ...«

      Der Stationsvorsteher zog sich weiße Handschuhe an und schielte ängstlich nach der Uhr.

      Als Telschow endlich ausgeredet hatte, wollte ich mit einer englischen Rede erwidern. Mir fiel aber vor Aufregung kein