wird wieder daherkommen und alles zerstören. Hier weiß ich, was mich erwartet. Und wir haben Frieden mit den Topsidern geschlossen! Dafür verzichte ich gerne auf Terra und Luna. Das grenzt ja schon an Religion, wie ehrfürchtig manche damit umgehen!«
Empört stampfte er davon. Auch die restlichen Leute zerstreuten sich, denn die Sendung war vorbei.
Und außerdem, dachte Chu, kommen ja dann der ursprüngliche Planet samt Mond zurück und stehen frei zur Besiedelung. Zum kompletten Neuaufbau. Eine gewaltige, eine große Aufgabe, aber sie ist zu bewältigen. Und ermöglicht der Menschheit einen Neuanfang, frei von allen kosmischen Mächten und Bestimmungen.
Es sprach ebenso viel dafür, auf Terra zu bleiben und in den ersten Zweig zurückzukehren, wo es von Leben nur so brodelte, wie an Ort und Stelle weiterzumachen und eingeschränkter, aber so frei wie nur möglich zu sein.
Die Entscheidung darüber war sehr schwer, und sicherlich schwankten viele und änderten täglich ihre Meinung.
Es wurde Zeit, dass die Vanothen tätig wurden, um die Bürger bei ihrer Wahl zu unterstützen. Noch besser wäre es, das Volk gar nicht erst zu entzweien.
Chu desaktivierte den Ton und setzte seinen Weg fort.
Ja, es war ein Tauziehen. So wie der Mann argumentiert hatte, dachten viele. Und wie es aussah, hatten sich viele auf diesen Tag X vorbereitet, denn eine große Wanderung in alle Richtungen war seit der Erstausstrahlung der Sendung vor drei Tagen in Gang gesetzt worden. Sämtliche Passagierschiffe waren bereits auf Wochen hinaus ausgebucht. Die einen zogen nach Terra um, weil sie »nach Hause« wollten, die anderen ergriffen die Flucht von dort, um die lieb gewonnene Lebensweise nicht aufzugeben.
In Frankfurt war es noch verhältnismäßig ruhig, doch in anderen Metropolen, etwa in Terrania, sah es anders aus.
Die Stimmung heizte sich von Stunde zu Stunde mehr auf, je öfter die Sendung wiederholt wurde. Perry Rhodan hatte versprochen, alle Wünsche zu berücksichtigen, nun sollte sich zeigen, ob er sein Versprechen auch hielt. Sollte es mit dem Transfer überhaupt klappen. Überzeugt von der Machbarkeit war Milton Chu noch nicht. Dennoch – man musste sich auf alles vorbereiten, keine Frage.
Chu hoffte, dass es nicht zu aggressiven Entladungen kam oder gar eine Panik ausbrach. Fast permanent gab es auf vielen Sendern Diskussionsrunden über das Für und Wider mit illustren Prominenten und »Leuten von der Straße«. Nahezu jedes Mal wurden die Debatten hitzig, und die Fronten verhärteten sich zunehmend.
Warum taten sie das? Durfte nicht jeder für sich entscheiden? Niemand musste sich rechtfertigen. Am wenigsten gefielen ihm diejenigen, die glaubten, andere überzeugen zu müssen, weil nur sie allein wüssten, welche Entscheidung die richtige war. Das verunsicherte die Bevölkerung in zunehmendem Maße und löste Angst aus. Es war nicht mehr zu verhindern, dass die Gesellschaft sich spaltete.
Chu ging davon aus, dass auch Frankfurt, sein kleines, beschauliches, nostalgisches Frankfurt, nicht davon ausgeschlossen blieb. Es dauerte vielleicht ein bisschen länger, aber unaufhaltsam rückte der Tag näher, an dem es auch dort zu Auseinandersetzungen kommen würde.
Der Spaziergang an diesem Tag war nicht mehr so unbelastet wie an den Tagen zuvor. Nach der Ansprache vor drei Tagen hatte zuerst Schockzustand geherrscht, doch nach und nach löste sich dieser, und das Wechselbad der Gefühle begann.
Das bedeutete für Chu, dass er demnächst energisch darauf beharren würde, an Bord der GIACOMO PUCCINI zurückkehren zu dürfen. Dort fühlte er sich geschützter und besser aufgehoben. Er würde den aufziehenden Sturm aus der Distanz beobachten und sich von dem zusehends aufgebrachter werdenden Volk fernhalten.
Und in aller Ruhe und unbeaufsichtigt tun, was getan werden musste.
»Verzeihung«, riss ihn eine sanfte Stimme aus den Gedanken. Er blieb stehen und sah eine junge Frau vor sich, mit hellblonden Haaren und dunkelblauen Augen, klein und zierlich.
»Ja, bitte?«, fragte er irritiert. Normalerweise sprachen ihn keine hübschen jungen Frauen auf der Straße an. Er war nicht nur bedeutend älter, sondern mit 1,55 Metern noch kleiner als diese blonde Terranerin und ebenfalls zierlich – bis auf den Buckel, der seine rechte Schulter und den Hinterkopf verunzierte und seinen Rücken verkrümmte.
»Du bist es doch, oder?«
»Ich bin normalerweise ich, das stimmt. Jedenfalls nicht viele.«
Sie lachte herzlich. »Es tut mir leid, ich habe dich vorhin schon ansprechen wollen, dann ging diese Diskussion los, ich verlor den Mut, aber jetzt ... muss ich es einfach wagen.«
Er erinnerte sich nun, sie hatte sich in der Nähe der verunsicherten Frau aufgehalten.
»Ich bin ein großer Fan der Oper, und ich bin sicher, du bist Milton Chu!«, fuhr sie aufgeregt fort.
»Das Glück ist mit dir«, sagte er und lächelte dabei. Dass sie ihn erkannte, war kein Zufall. Chu bezweifelte, dass er sonst jemandem ähnlich sah. Er war einmalig. Das gehörte zu seinem Status als Mäzen, als Kunstliebhaber, als Musikliebhaber und Intendant der größten Oper des Solsystems. Er musste unverwechselbar sein, ein Unikat, ein Original.
Sein persönlicher Hintergrund war ebenso einzigartig, aber der tat momentan nichts zur Sache.
»Großartig!«, rief die junge Frau und schlug begeistert die Hände zusammen. »Wäre es möglich ... könnte ich ... ein Autogramm bekommen?«
»Du schmeichelst mir«, erwiderte er. »Es ist mir natürlich eine Ehre.«
»Für Sulola Joop, bitte.«
»Sehr gerne. Einen Moment.«
So bekam das Gesicht einen Namen. Keine Frage, sie war TLD-Agentin und dazu abgestellt, ihn zu überwachen. Persönlich begegnet waren sie sich bisher kaum, und nie zuvor direkt im Gespräch, und das würde sich auch nach dieser kleinen Ausnahme wohl nicht ändern. Aber für ein Autogramm machte der Mäzen schon einmal eine Ausnahme.
Milton Chu hatte eine weitere Marotte – er verteilte Visitenkarten auf Papier, und ebenso Autogrammkarten. Folien oder Holoshots passten nicht zur Oper, zum Pompösen.
Selbstverständlich führte er immer ausreichend Karten mit sich. Breit lächelnd zückte er Stift und Karte mit Konterfei und schrieb etwas auf die Rückseite. Mit leichter Verbeugung überreichte er Sulola Joop die Karte mit dem Bild nach oben. »Bitte sehr. Hoffentlich sehen wir uns bald zu einer Aufführung auf der GIACOMO PUCCINI!«
»Ganz bestimmt! Ich habe ein Abo!«, versicherte sie und schritt strahlend von dannen, die Karte fest an die Brust gedrückt.
*
Milton Chu setzte mit einem düsteren Lächeln seinen Weg fort.
Egal, wer die harmlose Szene beobachtet haben mochte, würde nicht bemerkt haben, dass der Mäzen statt des Autogramms und der Widmung etwas ganz anderes aufgeschrieben hatte. Eine Anweisung, die niemand außer Sulola Joop verstehen konnte, sollte die Karte zufällig in nicht autorisierte Hände fallen.
Ja, es war höchste Zeit, tätig zu werden.
Es musste geschehen, bevor der Transfer in Gang gesetzt wurde. Genau für diesen Moment hatte er sich seit langer Zeit aus bestimmtem Grund einen ganz besonderen Trumpf bewahrt und nie auf sich aufmerksam gemacht.
Es ist so weit, dachte Milton Chu.
1.
Das Team
Anzu Gotjian tauchte eine Hand in das glutflüssige Gestein.
Der Geologe Marek Derowia sah sie tadelnd an. »Nimmst du die Sache überhaupt ernst?«
Ein wenig fühlte sich Anzu wieder wie das Schulmädchen, das bei einem Streich ertappt worden war: Entschuldige, dass ich eine Miniaturschwebeplattform unter deinem Stuhl verankert habe.
»Selbstverständlich«, sagte sie in feierlichem Tonfall. Ihre Stimme klang durch den abgedunkelten Raum. Sie konnte die anderen nicht