Nein, dieser Körper wird erstellt, damit er autonom funktioniert.«
»Aber die Seele.«
Alle schauten Momo an, der sich in diesem Moment auch noch als spirituell interessierter Mann entpuppte. Es war eine Zeit großer Wunder.
Sia warf noch einen letzten Blick auf den Tank, aus dem nun ganz leise, rumpelnde Geräusche zu hören waren, als würde jemand darin eine Suppe anrühren. Möglicherweise ein Vergleich, der gar nicht so unsinnig war, wie er sich anhörte.
»Ich verstehe deinen Einwand, Momo«, sagte sie dann sanft. »Von wissenschaftlicher Seite aus kann ich dir sagen, dass er unsinnig ist. Die Neurobiologen halten die Seele für eine Einbildung. Sie betrachten unser Gehirn als eine unendlich komplizierte Maschine. Demnach ist all unser Fühlen, Erleben und Denken das Ergebnis physikalischer Vorgänge im Kopf. Könnten wir diese Neurobiologie vollständig begreifen, dann wäre die Seele endgültig als Illusion entlarvt, als religiöse Spinnerei. Das Ich-Bewusstsein ist ein Konstrukt des Gehirns, um auf der Basis von Intelligenz – also einer biologisch determinierten Informationsverarbeitungskapazität – die Umwelt wahrzunehmen und optimal in ihr zu funktionieren, was im Falle von uns Säugetieren vor allem bedeutet: optimal zu überleben und sich optimal fortzupflanzen.«
Momo war anzusehen, dass er mit dieser Sichtweise nicht einverstanden war oder einfach nicht jedes der komplizierten Worte verstand. Bei Ryk war Letzteres der Fall, er hatte über so etwas noch nie nachgedacht und dementsprechend auch keine Meinung dazu.
Doch ehe Momo seinem Missfallen Ausdruck verleihen konnte, hob Sia eine Hand und lächelte. Sie war noch nicht fertig. »Es gibt auf der anderen Seite Wissenschaftler, die diese Problematik etwas differenzierter betrachten. Dabei helfen Erkenntnisse aus der Quantenphysik.«
»Sia, das versteht hier niemand«, wandte Ryk schwach ein. Wenn sie einmal richtig in Fahrt war und auf Lehrmodus schaltete, war sie wirklich kaum aufzuhalten, und auch diesmal ließ sie sich durch die Bemerkung des Springers keinesfalls beirren.
»Hör mir zu, Ryk. Es ist eine wichtige Frage.«
»Ich weiß nicht einmal, was Quantenphysik ist. Und ich bin mir sicher, alle Quantenphysiker wurden vom Hive gefressen.«
Momo kicherte.
Sia fand das nicht ganz so witzig. »Umso wichtiger, dass du etwas lernst. Also: Der Dualismus zwischen Körper und Seele ist für viele Quantenphysiker ebenso real wie die Tatsache, dass Licht beide scheinbar gegensätzlichen Formen annehmen kann: elektromagnetische Welle und handfestes Teilchen. So existiert auch ein universeller Quantencode, in den die gesamte lebende und tote Materie eingebunden ist. Dieser Quantencode hat sich seit dem Urknall über den gesamten Kosmos erstreckt. Konsequenterweise glauben solche Theoretiker also an eine Existenz nach dem Tode. Was wir unser Leben in dieser von unseren Sinnen erfassbaren Welt nennen, ist im Grunde nur die Schlacke, die Materie, also das, was greifbar ist. Das Jenseits ist alles Übrige, die umfassende Wirklichkeit, das viel Größere. Insofern ist unser gegenwärtiges Leben bereits vom Jenseits umfangen. Unser Bewusstsein, oder vielmehr die Seele, ist mehr als das, was sich in der Materie ausdrückt.«
»Sia«, sagte Momo. »Ich verstehe dich nicht.«
Ryk nickte ihm zu. Uruhard saß mit gerunzelter Stirn da und wollte nicht zugeben, dass er möglicherweise den Faden verloren hatte. Vielleicht hatte er das auch gar nicht.
Sia jedenfalls, erleichtert darüber, eine weitere Lektion an ihr Publikum gebracht zu haben, schenkte ihnen allen ein Lächeln und zeigte auf den Tank. »Wenn die Quantenphysiker recht haben, wird das Wesen, das aus diesem Tank steigt, mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Seele haben, wenn die biologisch-chemischen Prozesse und Zustände für den Ausdruck einer solchen in der materiellen Welt vorhanden sind. Was sie sein werden, denn Unionstechnologie hat wirklich gut funktioniert, wie wir alle sehen. Man nennt es einen Klon. Und er wird funktionieren. Wie gut, weiß ich nicht. Aber die Ankündigung des Admirals, wir würden unser Gespräch fortsetzen können, weist darauf hin, dass er ganz genau wusste, was er da tat.«
»Aber warum bringt er sich dann um?«, fragte Ryk.
»Keine Ahnung.«
»Das weißt du nicht?«
Sia sah ihn missbilligend an. »Ich weiß viel, aber bei Weitem nicht alles. Stell mich nicht immer auf ein Podest, das meiner nicht gerecht wird.«
Dass die Sängerin durch ihre Vorträge manchmal selbst dazu neigte, sich auf dieses Podest zu stellen, ob sie es nun als solches wahrnahm oder nicht, erwähnte Ryk besser nicht. Er liebte diese Frau, daran bestand kein Zweifel, und er fürchtete ihre Missbilligung. Letzteres hing damit zusammen, dass sie verdammt noch mal auf diesem Podest stand und, egal was sie sagte, unausweichlich nur auf ihn herabblicken konnte.
Es war so. Sie wollte es vielleicht nicht. Aber es war so.
Sie mussten beide wohl noch lernen, mit dieser Tatsache richtig umzugehen.
Drei Stunden, hatte der Selbstmörder gesagt.
Anstatt über Quantenphysik und Hirnforschung nachzudenken, widmete sich Ryk dem Nahrungsautomaten, der mit zuverlässiger Emsigkeit Kohlenhydrate ausspuckte, und zwar zu viel davon. Das war Ryk allerdings in diesem Moment egal, vor allem weil er entdeckte, dass der Schokoladenkuchen tatsächlich so schmeckte, wie er Schokolade in Erinnerung hatte. Er aß zu viel davon, fühlte sich dann aufgebläht und träge, warf sich auf das Sofa und merkte irgendwann, dass sein Kopf an Momos Schulter ruhte, was dieser mit der tiefen Gelassenheit aufrichtig empfundener Freundschaft akzeptierte. Ryk döste einige Zeit vor sich hin, ohne richtig einzuschlafen, aber es half, das Zeitgefühl so weit zu betrügen, dass er die drei Stunden überstand, ohne in Grübelei oder Langeweile zu verfallen.
Er spürte Sias Hand an seiner Schulter und fuhr hoch.
»Es ist so weit.«
Er war sofort hellwach und sah sich um, doch die Umgebung hatte sich nicht verändert und der Tank rumpelte immer noch leise vor sich hin. Erst wollte er fragen, wie Sia zu ihrer Erkenntnis kam, dann erkannte auch er, dass sich die Anzeigen auf den Kontrollflächen verändert hatten, ohne im Einzelnen zu verstehen, was sie aussagten.
Ein sanftes Zischen erklang.
Uruhard zuckte und öffnete die Augen. Auch er war weggenickt. Momo hingegen war ohnehin wach und aufmerksam, was man allerdings nur an seinem aufmerksamen Blick erkennen konnte.
Ein dumpfer Laut erklang und der Deckel des Tanks begann sich zu bewegen. Ein Schwall sehr unangenehm stinkender Luft entwich. Es roch ein wenig wie die Müllhalden unter einem Hivestock, wenngleich es kein Verwesungsgeruch war. Ryk rümpfte die Nase, erhob sich, schaute hinüber zum Tank und sah darin, bedeckt von einem weißlichen, halb durchsichtigen Schleim, einen nackten Mann liegen.
Admiral Rothbard. Oder, wie Sia ihn mittlerweile überzeugt hatte, eine sehr gute Kopie.
Er stank wirklich.
Mit einer heftigen Bewegung richtete sich der Körper auf. Ihm entrang sich ein Aufstöhnen, ein Japsen nach Luft folgte und der Schleim tropfte zäh an der Haut hinab. Es blubberte vor Mund und Nase, als der Mann heftig ausatmete. Er rieb sich die Augen in einer automatischen Bewegung und der Schleim löste sich widerwillig. Rothbard blinzelte und seufzte erneut, mit einem rasselnden Geräusch aus seinem Brustkorb, als wären die Lungen nur widerwillig bereit, ihre Pflicht zu erfüllen.
Er bewegte den Kopf, schaute die vier Menschen an, die ihn anstarrten, und wirkte orientierungslos, vielleicht sogar überrascht. Dann klärte sich sein Gesichtsausdruck, als hätte jemand einen Knopf gedrückt und Informationen freigegeben.
Er schaute an sich herab, bemerkte Schleim und Nacktheit und blieb dennoch unbekümmert. Mit bedächtigen Bewegungen kletterte er aus dem Tank. Etwas unsicher und schwankend. Das Gleichgewicht zu halten war für ein Neugeborenes sicher nicht einfach, auch nicht für ein so großes. Dafür klappte es ganz gut. Er tapste zur Wand, öffnete eine Luke und holte ein großes Handtuch mit Blümchenmuster hervor, auf das Ryk eine Weile verwundert starrte, da es so dermaßen deplatziert wirkte, dass der Anblicke beinahe physische Schmerzen verursachte.
Mit